Glücklich verwirrt

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In der Schule stand der Schülersprechtag an. Da dieser an einem Freitag war, hatte niemand aus unserer Klasse die Möglichkeit, daran teilzunehmen. Schließlich mussten wir bis zum Ende des Schuljahres ganze 600 Stunden im Kindergarten gearbeitet haben.
Ich war so traurig, weil ich zu gerne gekommen wäre, um Frau Sommer wenigstens für ein paar Minuten ganz alleine in einem Raum anzutreffen und mit ihr zu reden. Doch ich dachte, dass auch ich an diesem Tag bis 17 Uhr im Kindergarten bleiben müsste, weil es so im Arbeitsvertrag stand.
Nachdem Frau Sommer die Einladungen verteilt hatte und alle Klassenkameraden durcheinander riefen, dass wir sowieso nicht teilnehmen könnten, kam sie direkt auf mich zu und setzte sich neben mich. Meine Gedanken überschlugen sich und mein Puls stieg auf 150. Ihre Nähe war alles, was ich mir gerade wünschte und meine Trauer verflog sofort. "Ella?", fragte sie und ihre himmelblauen Augen leuchteten. Ich öffnete meinen Mund, versuchte etwas zu sagen, doch vor Aufregung kam nichts mehr heraus. So schloss ich den Mund wieder und nickte ihr zu, um ihr zu vermitteln, dass ich ihr zuhörte. Frau Sommer sagte: "Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie zum Schülersprechtag kommen. Wenn der Kindergarten streikt, werde ich Sie beurlauben... Natürlich nur, wenn Sie das möchten... Aber dann könnten wir noch einmal ganz in Ruhe über Ihre Problematik sprechen und uns gemeinsam einen Lösungsweg suchen, weil Ihre Therapeutin mir am Telefon gesagt hat, dass wir bei Ihnen jeglichen Druck erstmal rausnehmen sollen. Wäre das für Sie in Ordnung?" Ich war völlig überwältigt. Sie wünschte sich, dass ich trotz des Praktikums käme und wäre sogar bereit dazu, mich zu beurlauben, nur damit ich am Schülersprechtag zu ihr kommen könnte. Mit offenem Mund und weit geöffneten Augen nickte ich und ich erkannte ein noch helleres Strahlen in ihren Augen. In einer etwas erhöhten Stimmlage fragte sie: "Also... kommen Sie?" Ich sah ihr tief in die Augen und stotterte: "J-ja, i-ich k-komme." Dabei lächelte ich über beide Ohren, Frau Sommer legte ihre Hand auf meinen Arm und strich dreimal darüber. Dabei freute sie sich: "Super! Dann sehen wir uns Freitag!"

Fassungslos saß ich auf meinem Platz und starrte ihr hinterher, wie sie zum Lehrertisch ging und Schwester Wilhelmine ein Zeichen gab. Heute war also Schwester Wilhelmine wieder an der Reihe, den Unterricht zu halten.
Immer wieder schaute ich zu Frau Sommer und jedes Mal trafen sich unsere Blicke. Mein Herz raste wild und ich war kaum noch in der Lage, meine Gefühle versteckt zu halten. Am liebsten hätte ich der ganzen Welt erzählt, wie toll diese Lehrerin war und wie sehr ich sie anhimmelte.

Mia schien das alles längst bemerkt zu haben. In der Pause fragte sie: "Du, Ella, ist da was zwischen dir und Frau Sommer?" Ich erschrak, mein Herz machte einen viel zu großen Sprung und blieb daraufhin kurz stehen. "Warum?", fragte ich etwas zu ängstlich. Mia antwortete: "Naja, so wie sie dich gerade angeschaut hat, hat mein Freund mich lange nicht mehr angesehen. Und dieses Strahlen in ihren Augen, als du gesagt hast, dass du kommst..." Ich war erleichtert. Sie bezog es also auf Frau Sommers Verhalten, nicht auf meins. Aber das Tollste daran war, dass auch Mia dieses besondere Strahlen in Frau Sommers Augen wahrgenommen hatte. Somit war es definitiv keine Einbildung. All meine Zweifel flogen davon, meine unterdrückten Hoffnungen erblühten ganz neu und mein Sommertraum erschien mir plötzlich greifbar, so unerreichbar er eigentlich sein sollte.
"Meinst du, sie hat Gefühle für mich?", fragte ich viel zu euphorisch. Mias Gesicht verzog sich. So sah sie immer aus, wenn eine Situation sie verwirrte. Anstatt mir diese Frage zu beantworten, erfasste sie: "Du bist in Frau Sommer verliebt. Stimmt's?" Ich grinste nur vor mich hin, weil ich mir noch immer unsicher war, ob ich es zugeben sollte oder nicht. Doch diese Entscheidung nahm Mia mir ganz schnell ab. Sie nahm mich in den Arm und quiekte: "Nein, wie süüüß! Meine Maus hat sich verliiiebt!" Mir kamen die Freudentränen. Gott sei Dank waren die Jungs in der Cafeteria und unsere Mitschüler, die an den anderen Tischen saßen, waren so sehr in eigenen Gesprächen vertieft, dass sie all das nicht bemerkten. "Ach Ella, das ist doch nicht schlimm", flüsterte Mia, als sie meine Tränen bemerkte. Ich lächelte und beruhigte sie: "Ich weine gar nicht, ich freue mich nur so sehr." Mia fragte: "Wusstest du, dass du auch auf Frauen stehst?" Ich versprach ihr: "Das erzähle ich dir heute Nachmittag ganz ausführlich. Und ganz ehrlich, neben Frau Sommer erscheinen Herr Baum und Herr Fröhlich auf einmal belanglos." Noch einmal nahm Mia mich fest in den Arm und sagte: "Ich freue mich so sehr für dich."

Nur wegen IhnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt