ihm sagen

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Sie starrt aus dem Fenster des Busses, auf den Ohren laut 'I wanna be your girlfriend' von girl in red, der Tag war lang gewesen. Zwar war erst Nachmittag, doch sie war früh aufgestanden und schon den ganzen Tag unterwegs. Eigentlich wollte sie gar nicht unterwegs sein und vor allem nicht nach Hause.
Tausend Mal lieber wäre sie bei ihm geblieben, hätte ihm weiter sein Zeug hinterher geräumt, wie sie es ja immer tat. Sie fand es nicht schlimm, nicht nervig, sie war froh etwas für ihn tun zu können, er hat so viel für sie getan. Sie wollte Dankbarkeit zeigen, denn sagen konnte sie es nie. Immer wenn sie versuchte ihm zu sagen was in ihr vorging, was sie über ihn und sich dachte, immer dann schlug ihr Herz lauter, als sie reden konnte, so hielt sie doch immer wieder den Mund, nickte stumm auf seine Fragen.
Ab und an lächelte sie ihm zu, doch sie hatte Angst er würde die Lüge sehen, deshalb wandt sie den Blick so schnell es ging wieder ab. Jetzt tat es ihr wieder leid, sie wollte ehrlich zu dem jungen Mann sein, der ihr soviel Sicherheit und Heimat bot. Die Tränen spürte sie schon aufkommen, doch in der Öffentlichkeit war es ihr nicht erlaubt zu weinen, sie verbat es sich selbst. Die sanfte Stimme von Cavetown in dem Lied 'fool' brachte Gänsehaut über ihren Körper, sie liebte diese Lieder, er mochte sie nie. Sie waren so unendlich verschieden, doch trotzdem gleichten sie sich auf den letzen Millimeter. Das was er gerne tat, konnte sie nicht und wenn er ihre Stifte zur Hand nahm, bildeten sich nur Zahlen, statt hübschen Blumen, auf dem Papier ab.
Wie gesagt, verschieden und doch gleich.
Draußen flogen Häuser, Bäume und Menschen an ihr vorbei, doch ihre Augen sahen nicht die Wirklichkeit, nur ihre Gedanken. Sie dachte an das, was sie nun für eine Woche erfolgreich aus ihrem Kopf raushalten konnte, den Gedanken an später, an bald, an vielleicht schon morgen.
Sie hat es ihm schon wieder nicht gesagt, zu feige, zu selbstuneinsichtig, zu mutig, zu stur. Was es war konnte man nicht sagen, von allem ein wenig, wahrscheinlich aber am meisten ihre Angst vor sich selbst.
Auch wenn sie es nie zugeben würde, sie hatte Angst, unfassbare sogar. Sie hatte Angst vor morgen, Angst vor neuen Menschen, Angst vor alten Bekannten, Angst zu leben, Angst zu Sterben.
Angst vor ihrem Ende.
Sie konnte es nicht zugeben, sie war doch immer selbständig und stark, doch manche Dinge zwingen jeden Einsamen in die Knie.
Sie wird es bis zu ihrem Tod nicht schaffen, es ihm zu sagen, viel Zeit blieb nun ja auch nicht mehr.
Sie konnte ihrem Bruder nicht sagen, dass sie Krebs hat.

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