2. Menschen sind Monster

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Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen wachte ich auf. Bilder meiner Schwester schwirrten in meinem Kopf herum und verliehen mir das Gefühl, glücklich zu sein. Ihr freudiges Gelächter, ihre, vom Wind zerzausten, gelockten Haare, all das ließ zu, dass ich mich ganz fühlte. Die Erinnerung an ihre treuen, braunen Augen, mit denen sie mich immer bettelnd angeblickt hatte, wenn sie etwas von mir wollte, füllte das Loch in meinem Herzen. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte ich das Gefühl, wieder ich selbst zu sein. Ich war keine Hülle mehr, die nur noch lebte, um Rache auszuüben. Nein, ich war wieder ich. Voll und ganz. Ein Gefühl, das ich genießen sollte, solange es anhielt. Denn tief im Inneren wusste ich, dass all das nur eine Einbildung war. Eine Illusion, eine tote Erinnerung. Und dass sie nicht ausreichte, um das Loch in meinem Herzen zu füllen. Nein, ganz im Gegenteil: Es war größer denn je.

Ich seufzte traurig. Immer wenn ich es schließlich über mich brachte, meine Augen doch zu öffnen, brachen diese Erinnerungen ab. Die Bilder verblassten langsam, bis mich die grausame Realität mich irgendwann wieder einnahm. So wie jedes Mal.

Statt glücklichem Gekicher hörte ich nur noch die tödlichen Schüsse der Gewehre. Statt Liebe und Wärme verspürte ich nur noch Angst und Hass. Und Trauer. Statt des funkelnden Brauns blickte ich nur mehr in leeres Weiß.

Die Trauer hat mir alle schönen Momente genommen und durch furchtbare ersetzt.

Ich sah mich, wie ich mich schützend auf den Leichnam meiner Schwester gelegt hatte und vor Angst am ganzen Körper gezittert hatte. Ich sah das gehässige Grinsen auf den Gesichtern der widerlichen Monster, die mich brutal von meiner kleinen Schwester gezogen hatten. Es schmerzte. Immer noch. Die tiefen Wunden waren längst nicht verheilt.

Das einzige Andenken an sie, das ich noch besaß, war ein zerrissenes Stück Stoff. Seit es an ihrem Todestag abgerissen wurde, trug ich es stets bei mir. Da ich meine leicht gelockten Haare damit zu einem halbwegs sauberen Zopf band, konnte ich es nicht verlieren. Es war das Einzige, das meine störrisch gewordenen Locken zu bändigen vermochte. An dem Streifen hingen zu viele Erinnerungen. Sowohl schöne, als auch schmerzhafte. Außerdem war so stets ein Teil von ihr bei mir, das mir Hoffnung gab und mich vor mir selbst schützte.

Vielleicht war er auch der Grund, weshalb ich nicht wie die Anderen den einfachsten Weg gewählt, sondern immer weiter gekämpft hatte. Er hatte mir dabei geholfen, niemals aufzugeben, auch nicht wenn die Situation noch so aussichtslos schien. Er gab mir dir Kraft, die ich zum Überleben brauchte.

Gedankenverloren strich ich mir durch die ungekämmten Haare und vertrieb somit die letzten Reste des unschönen Traumes. Erst dann wurde mir bewusst, wie sehr mein Rücken von dem harten Boden doch schmerzte. Mühsam richtete ich mich also auf und klopfte den Staub von meiner zerrissenen Hose. Anschließend dehnte ich mich, bis mein Rücken laut krachte, was mir ein erleichtertes Seufzen entlockte.

Zaghaft verlagerte ich mein leichtes Gewicht vom rechten auf das linke Bein, mit der Hoffnung, die Schmerzen seien über die Nacht abgeklungen. Doch als ich den brennenden Schmerz spürte, der blitzschnell durch meinen Fuß zuckte, stieß ich ein gequältes Zischen aus. Nein, geheilt war es definitiv noch nicht. Aber vielleicht würde man mich die nächste Zeit mit Experimenten in Frieden lassen.

Jedoch zeugte nicht nur das gebrochene Gelenk von der Brutalität der Menschen, sondern auch unzählige Narben an meinen Handgelenken. Sie sind der Beweise dafür, dass diese Biester vor gar nichts zurückschreckten, wenn es um die Wissenschaft und um das "Wohl der Allgemeinheit" ging. Aus dem gleichen Grund hatten sie meine Knochen auf schmerzhafteste Art und Weise gebrochen und anschließend beobachtet, wie mein Körper sich wieder zusammenflickte. "Faszinierend" und "unglaublich" hatten sie es genannt, wenn ich vor Pein gekrümmt auf dem kalten Boden meiner kleinen Zelle lag, und der Ohnmacht nahe war.

Aber nicht nur die Handgelenke waren von Narben nur so übersäht, sondern auch der restliche Körper. Einige stammten von Versuchen, mich verbluten zu lassen, andere dienten dazu, zu erfahren, ob ich ohne überlebenswichtige Organe auskam. Ebenfalls interessant fanden sie es zu sehen, wie ich es schaffte mich trotz zertrümmerten Lungen, wieder von den Strapazen zu erholen.

Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und kniff die Augen zu während das Blut in meinen Ohren rauschte.

Um möglichst viel über den "homo sapiens magicis", wie sie uns nannten, herausfinden zu können, führten sie unzählige Experimente oder Untersuchungen an uns durch. Deren Resultate versuchten sie dann sich selbst zu Nutzen zu machen. Für sie waren wir nur eine unerforschte Spezies, eine unterentwickelte Rasse, mit der man machen konnte, was man wollte, obwohl wir Menschen in fast jeder Hinsicht gleich waren. Es gab nur etwas, das uns voneinander unterschied: Wir besaßen die Fähigkeit, uns selbst zu heilen. Diese machte uns quasi unsterblich. Trotzdem waren wir laut ihnen nicht viel mehr als Versuchskaninchen oder Testobjekte.

Sie fanden uns zwar interessant, aber fürchteten und gleichzeitig auch, weil wir anders und somit fremd für sie waren. Und bekanntlich liegt es ja in der Natur des Menschen, das Unbekannte zu zerstören.

Wütend knirschte ich mit den Zähnen, als ich an all diejenigen dachte, die wegen diesen Monstern schon ihr Leben lassen mussten. "Zum Nutzen der Allgemeinheit." Alleine schon der Gedanke löste Verabscheuung in mir aus, weshalb ein Puls sich beschleunigte sich. Meine Atmung ebenfalls.

Nur wegen ihnen saß ich nun alleine in diesem verdammten Loch fest! Sie waren schuld daran, dass die Anderen vorsätzlich den Tod gewählt hatten. Denn auch sie hatten nichts zu verlieren. Schließlich war ihre Familie war vermutlich tot - ermordet - und ihr Zuhause dem Erdboden gleich gemacht worden. Wofür lohnte es sich dann noch zu leben?

Ich gab ein verachtendes Schnauben von mir. Diese Menschen waren einfach abscheulich!

Zurück blieb nur ich. Zusammen mit meinen Rachegedanken eingesperrt in einer kleinen, dreckigen, und dunklen Zelle, die ich über alles hasste. Nicht einmal die Mühe, andere meiner Art aufzutreiben hatten sie sich gemacht! Wozu auch? Ich lebte ja noch. Wobei man das nicht mehr als Leben bezeichnen konnte. Es war eher ein Schmoren in meiner persönlichen Hölle. Irgendwann - das hatte ich mir geschworen - ja, irgendwann würd ich meine Rache schon bekommen. Bis dieser Moment allerdings kommen sollte, musste ich allerdings warten.

Da der Schmerz wieder etwas abgeklungen war, humpelte ich bis zum Lichtschalter, der nicht allzu weit entfernt an einer der kahlen, steinernen Mauern hing und knipste die vereinzelte Glühbirne an, die lose von der Decke herabhing. Orangegelbes Licht erhellte mein Gefängnis. Sonderlich stark war das Licht nicht, aber es reichte aus, um die vielen Spinnweben in den Ecken zu erkennen.

Wozu auch im Dunkeln herumzusitzen wenn man rund um die Uhr mit Nachtsicht-Kameras überwacht wurde, die eine Flucht verhindern sollten. Das Geld hätten sie jedoch auch besser investieren können. Es war praktisch unmöglich zu fliehen - ich hatte schon alles versucht. Wenn sich aber minimale Möglichkeit ergeben würde, würde ich trotzdem immer wieder versuchen.

Der Fluch der Unsterblichkeit #ProvisorischerTitelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt