Ich war gerade dabei, den Spinnen beim Herumkrabbeln zuzusehen, als ich plötzlich gedämpfte Schritte auf dem Gang hörte. Zuerst dachte ich, es sei nur der übliche Wärter, der mir täglich Essen und Wasser in die Zelle brachte, doch je länger ich lauschte, desto sicherer wurde ich, dass es mehrere Personen sein mussten. Den Schritten nach zu urteilen waren es zwei, vielleicht auch sogar drei. Zum einen waren da schwere Schritte, die ich einem, oder mehreren, der Männer zuordnen konnte, zum anderen aber auch leichtere.
Aufmerksam spitzte ich die Ohren. Es schien, als seien die Personen nicht mehr allzu weit entfernt. Die leichteren Schritte schienen unregelmäßig, wenn nicht sogar schleppend zu sein. Fast klang es so, als könne die Person nicht mehr richtig laufen.
Gab es etwa einen neuen Gefangenen?
Mit klopfendem Herzen trat ich näher an das verrostete Eisengitter heran und legte meine Hände um die kalten Stäbe. Bekam ich nach so langer Zeit endlich wieder Gesellschaft? Oder wen schliff der Wärter hinter sich her?
Sie Schritte kamen immer näher. Vor lauter Neugier drückte ich meine Nase an den Stäben platt.
Dann ging auf einmal das Licht im Gang der zu meiner Zelle führte, an. Obwohl das grelle, leicht ins bläuliche gehende Licht mich blendete, kniff ich die Augen nicht zu, sondern starrte erwartungsvoll auf die zwei dunklen Silhouetten, die sich nun in unmittelbarer Nähe befanden. Unaufhaltsam setzten sie ihren Weg zu mir fort, wobei die eine Person mehr gezogen wurde, als sie tatsächlich ging.
Mein Herz klopfte wie wild. Ich hatte also Recht! Sie hatten jemand Neues.
Als ich jedoch erkannte, wen der Mann hinter sich her bugsierte, stieß ich den angehaltenen Atem ungläubig aus. Es war eine Frau. Die kleinere Person war eine Frau!
Sie schien ziemlich Schmerzen zu haben, wehrte sich aber trotzdem mit aller übrig gebliebener Kraft. Von Treten über Beißen versuchte sie alles, Hauptsache es verletzte ihn.
Irgendwann reichte es dem Mann und er blieb abrupt stehen. "Du verfluchtes Biest", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, "Wann wirst du endlich lernen, dass es klüger ist, sich nicht zu wehren, hm?"
Mit einer Hand er einen ledernen Gegenstand hervor, der verdächtig nach einem Gürtel aussah, und schlug mehrmals mit voller Wucht auf die schutzlose Frau ein.
Spitze, gepeinigte Schreie, die durch Mark und Bein gingen schallten durch den Gang uns lösten bei mir eine Gänsehaut aus.
"Nicht bevor ihr eure gerechte Strafe erhalten habt, ihr Mörder!", spuckte sie ihm trotz heftiger Schmerzen ins Gesicht und riss an den Seilen, die an ihren blutig geschundenen Handgelenken verknotet worden waren, bis sie schließlich vor meiner Zelle standen.
Der Mann ignorierte diese Bemerkung nicht, sondern riss so fest wie möglich an ihren langen Locken, die ihr bis in den halben Rücken hingen, sodass ihr Kopf auf äußerst unsanfte Art und Weise nach hinten gezerrt wurde. Doch anstatt ihm die Genugtuung zu geben und erneut gequält aufzuschreien, verzog sie keine Miene, sondern suchte nur stumm meinen Blick. In ihren Augen glitzerten Tränen.
Kräftiges Blau, das in ein türkis-grün überging, traf auf einfaches Braun. Ihre Augen spiegelten das ganze Leid der letzten Stunden wieder. Wunde Hände klammerten sich so fest um das Gitter, dass die Knöchel weiß hervortraten. Tränen sammelten sich in den Augenwinkeln, rollten über ihre zarten, rosigen, Wangen und benetzten ihre spröden Lippen. Ihr Mund schien die Worte "Bitte hilf mir" zu formen. Alles an ihr schrie nach Hilfe, doch ich senkte nur stumm den Kopf. Ich konnte ihr nicht helfen. Noch nicht. Und ich schämte mich dafür. Schuldbewusst ließ ich das Gitter los und trat zurück.
Der Wärter, der dies bemerkt hatte, kramte schneller nach den Schlüsseln und als er sie schließlich gefunden hatte, befahl er mir auf einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, mich nach hinten zu stellen. Eilig schoss er die Zelle auf.
"Hinein mit dir, du kleine Hexe", zischte er abfällig und schubste die junge Frau brutal hinein. Noch bevor sie hart auf dem dreckigen Steinboden aufschlug, rasteten die Schlösser mit einem leisen Klicken wieder ein. Anschließend verschwand der Mann wortlos. Uns ließ er im Halbdunkel der Glühbirne zurück.
DU LIEST GERADE
Der Fluch der Unsterblichkeit #ProvisorischerTitel
Short StoryEine fantasievolle Kurzgeschichte, ohne Klappentext und Cover, die demnächst überarbeitet werden soll und die mit einem Wortlimit geschrieben wurde. Einmal durchzulesen dauert nicht allzu lange, da bleibt sogar Zeit, um mein bescheuertes Geschreibse...