7. Stunde der Vergeltung

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Tränen traten in meine Augen und verschleierten meine Sicht. Ich wollte nicht, dass noch jemand wegen mir das Leben lassen musste. Es hatte schon zu viele Tote gegeben. Ich war ein Versager, der es nicht einmal schaffte auf ein Mädchen aufzupassen. Der Gedanke an mein Versagen ließ Selbsthass in mir hochkommen, der mit jeder Sekunde die verstrich, stieg. Ich machte mir Vorwürfe. Ich hatte soeben unser Ende besiegelt. Und trotzdem war die Vorstellung davon so surreal. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben. Das hier war alles meine Schuld.

Es fiel mir nicht leicht, in Naomis weit aufgerissene Augen zu sehen, doch ich schaffte es. Ihr mitreißender Blick zog mich in einen Strudel aus Enttäuschung, Angst, Furcht und Hass, der mich den Tumult um uns herum für einen kostbaren Moment vergessen ließ. Hier fühlte ich mich geborgen, hier fühlte ich mich frei. Hier gab es nur Naomi und mich.

Mir wurde klar, dass ich handeln musste, solange es noch ging. Also kämpfte ich gegen den Strudel bis ich wieder an der Oberfläche war. Im Hier und Jetzt. Zwischen Leben und Tod. In der Realität.

Ich hatte einen Entschluss gefasst: Ich würde alles tun, was in meiner Macht stände, um Naomi zu retten. Ich würde nicht zulassen, dass man mir die einzige Person, die mir noch etwas bedeutete, wegnimmt. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich, dass es meine Bestimmung sei, sie vor dem gleichen Schicksal wie Mira zu bewahren - und dass ich alles dafür geben würde, sie zu erfüllen. Koste es, was es wolle.

Aus diesem Grund schloss ich meine Augen und blendete Naomis Flehen vollkommen aus, obwohl es mir schwer fiel. Ich atmete mehrmals tief ein und aus. Ich konzentrierte mich. Es gab etwas, das sie noch retten konnte, das wusste ich. Ich erinnerte mich an die Worte meiner Mutter.

"Wenn die Stund tiefster Not schlägt, findest dus in deinem Herz", hatte sie mir zugeflüstert, bevor sie das Zeitliche gesegnet hatte. Jetzt wurde mir klar, was dies bedeutete.

Sie hatte oft davon gesprochen, dass unsere Gabe mehr konnte, als nur heilen. Sie war der Überzeugung, dass wir nur auf der Erde lebten, um das Böse im Menschen zu bekämpfen und zu vernichten. Wir waren der Frieden, während sie der Krieg waren.

Ich konnte Naomi retten in dem ich sie zerstörte.

Ein kleiner Funken in meinem Herzen entfachte sich, breitete sich aus und hüllte mein ganzes Herz in lodernde Flammen, die sich mit jedem Herzschlag weiter ausbreiteten. Das brennende Feuer fraß sich durch meine Adern, bis ich das Gefühl hatte, komplett in Brand zu stehen. Meine Haut glühte so stark, dass die Männer mich allesamt losließen. Sie hatten sich wohl verbrannt, dabei war mir seltsamerweise nicht einmal warm.

Von diesem Feuer hatte meine Mutter gesprochen und - sie hatte Recht. Es fühlte sich fast an wie eine Heilung, nur etwas anders. Etwas, das dazu führte, dass es zerstörte, anstatt zu heilen.

Würde das Feuer erlöschen, wären wir verloren. Doch im Moment sorgte der Hass auf die Männer dafür, dass die Flammen umso höher loderten und alles zerstörten, das sich ihnen in den Weg stellte.

Rache. Und Freiheit.

Ich öffnete meine Augen. Meine Haut schimmerte golden.

Ich stürzte auf Naomi zu. Ein siegessicheres Lächeln lag auf meinen Lippen. Gleich waren wir frei!

Dann spürte ich ein leichtes Pieken, als etwas meine Haut durchdrang.

Das Feuer brach ab und wurde durch Kälte ersetzt, die sich wie Eis durch meinen Körper schlich. Ich verlor jede Kontrolle über meinen Körper.

Alles wurde schwarz. Ich sackte zu Boden, wo ich regungslos liegen blieb.

Der Fluch der Unsterblichkeit #ProvisorischerTitelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt