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11 September, 2017 (zwei Tage vor Schulanfang)

P.o.V. Tim

Ich saß im Auto, hörte Musik und schaute zum Fenster raus.

Meine Mutter drehte sich um und tippte mir auf die Schulter. Ich nahm die Kopfhörer heraus und sah sie gleichzeitig erwartungsvoll und genervt an. "Wir sind bald da, wir wollten noch ein bisschen mit dir quatschen bevor du fährst." Genervt brummte ich auf. Können sie mich nicht mal in Ruhe lassen?

"Freust du dich schon auf das Internat? Dort kannst du endlich mal Leute kennen lernen und Freunde finden." - "Fickt euch einfach.", murmelte ich leise. "Was hast du gesagt, Mäuschen?" - "Ach ich sagte nur das ich mich sehr freue", log ich und zwängte mir ein Lächeln auf. Ich hatte gar keinen Bock auf das Ganze hier.

Vor allem weil ich mit einem wild fremden Jungen in einem Zimmer schlafen muss.

"Wir sind da!", holte mich mein Vater aus den Gedanken. Ich stieg aus dem Auto aus und schaute mich um.

Wow. Das ist ein echt großes Gebäude. Aber sicher kommen hier nur so reiche Schnösel Jungs her. Ich hab so gar keine Lust hier hin zugehen.
Nur weil meine Mutter sagte ich solle mehr Soziale Kontakte haben.

Ich nahm meine Tasche und trottete desinteressiert meinen Eltern hinterher. Wir gingen in den Eingangsbereich und dort empfing uns eine blonde, junge Frau. "Ahh, du musst Tim sein, oder?", fragte sie mich lächelnd. "Uh-hm." Ich versuchte so viel Genervtheit in meine Antwort zu legen. Sie lächelte mich nur weiterhin an und fügte hinzu: "Ich bin Katherina. Aber du kannst mich Kathi nennen. Ich bin Vertrauenslehrerin und Sekretärin."

Ich hasse Menschen die mich dauernd anlächeln. Ich hoffe, ich bekomme nicht so 'nen gutgelaunten Zimmerkameraden.

Ich folgte ihr ins Sekreteriat. Dort angekommen deutete sie eine Geste, dass ich mich setzen sollte. Ich setzte mich und sie mir gegenüber. Sie zeigte mir zwei Blätter Papier.

"Also, wir können dich entweder in das Zimmer von Sebastian stecken oder du bist mit Stegi in einem Zimmer. Du musst wissen Sebastian ist sehr aggressiv und kann leicht mal ausrasten. Stegi hingegen ist eine sehr ruhige Person.", fragend blickte sie mich an.

Ich könnte entweder mit einem Typen in ein Zimmer kommen der mich wahrscheinlich zusammenschlägt und ausrastet. Oder mit einem Typen der nur wenig redet. Was für eine Auswahl. Ich meine haben die nicht auch normale Leute hier?

"Ich geh zu Stegi ins Zimmer", sagte ich nach kurzem überlegen. Sie musterte mich kritisch. "Stegi redet nie", sagte sie nach ner Weile.

Ja ok, ich hatte mir jemanden gewünscht der mich nicht nervt. Aber gar nicht reden?

"Also ist er stumm?", fragte ich nach.

"Nein, nein er kann reden aber das tut er nur mit Leuten denen er vertraut und in seiner Situation vertraut er leider niemandem.", kurz schaute sie mich traurig an. Doch sie fasste sich schnell wieder und stand auf.

"Ich führ dich dann mal zu deinem Zimmer, Stegi ist schon gestern eingetroffen."

Während wir einen großen Gang entlang gingen, erklärte sie mir dies und das. Ich hörte nur zur Hälfte zu, denn ich war damit beschäftigt alles zu beobachten. Ein paar Teenager wuselten an uns vorbei und ich schnappte ein paar Wörter auf.

"Wusstest du schon, dass Taddl anscheinend mal gemobbt wurde?", fragte ein rothaariger Junge gerade einen Braunhaarigen.

Ich wusste weder wer Taddl war, noch dass ich das ziemlich schnell herausfinden würde.

Wir kamen schließlich an der Zimmertür 138 an.

Kathi klopfte an der Tür und nach einer Weile schwang diese auf. Ein blonder, kleiner Junge trat auf den Gang. Seine Haare standen verstrubbelt von seinem Kopf ab und ein paar Strähenen hingen ihm in seine grün-blauen Augen. Seine Beine steckten in einer lockeren grauen Jogginghose und dazu trug er ein weißes T-Shirt.

"Du hast dieses Jahr einen Zimmerkameraden, Stegi!", lächelte Kathi aufmunternd und strahlte. Stegi schaute sie an, danach musterte er mich kritisch, verschwand wieder im Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

Kathi seufzte und rüttelte an der Tür. Sie war abgeschlossen.

"Stegi! Er ist wirklich nett! Du wirst dich super mit ihm verstehen!", schrie sie verzweifelt durch die Tür.

Die Tür gegenüber ging auf. "Könnt ihr mal aufhören hier so rum zu schreien?!", fragte eine tiefe genervt klingende Stimme. Ich drehte mich um. Ein etwas größerer Typ mit kurzen türkisen Haaren und Tattoos im Gesicht und am Hals lehnte im Türrahmen und schaute uns mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Kathi drehte sich auch um. "Thaddeus! Könntest du Ardian bitte holen. Stegi hat sich eingesperrt." Thaddeus schnaubte und ging zurück in sein Zimmer.

"Tut mir Leid, Tim. Stegi ist sehr eigensinnig", seufzte Kathi. Ich winkte nur ab. Ich hatte schließlich selbst einen kleinen Bruder, der mindestens genauso eigensinnig war.

Ein kleinerer Junge trat in den Gang. Er hatte weißliches Haar, grüne Augen und genauso wie Thaddeus überall Tattoos. "Hey", begrüßte er uns, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen und schritt zu Stegis Tür.

Er klopfte. Als keine Antwort kam, nahm er Anlauf und trat die Tür ein. Diese flog mit einem lauten Knall auf und ich konnte in mein neues Zimmer sehen.

Links und Rechts standen gemütlich aussehende Betten. Ein Regal trennte die zwei "Abschnitte". Neben den Betten stand jeweils ein kleiner Schreibtisch und ein Schrank. Ich erkannte hinten im Raum noch ein großes Fenster und eine Tür, die anscheinend ins Badezimmer ging.

Auf einem Bett saß Stegi und hatte Kopfhörer drinnen. Desinteressiert kritzelte er in einem kleinen schwarzen Buch.

Kathi schnaubte und schob mich ins Zimmer. "Viel Glück mit dem kleinen Plagegeist." Hinter mir hörte ich noch wie die Tür zugeknallt wurde und jetzt stand ich hier. Mit einem schweigenden Zimmerkameraden. Unwissend, dass der Kleine wahrscheinlich mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würde.

Schweigen // Stexpert ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt