Obsidian

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Ich sehe in den Spiegel. Mir gegenüber steht ein Mädchen mit schmalem Gesicht, dunkelbraunen Locken und katzenartigen grünen Augen, das mich prüfend begutachtet.
Sorgfältig streiche ich meinen dunkelgrauen Rock glatt und stecke meine Bluse ordentlich hinein.
Dann flechte ich mir einen Zopf den ich zu einem Knoten hochstecke.
Ich seufze.
Herzlich willkommen an der Cliffland Academy Luc'.
Mein Blick fällt auf meine silberne Kette mit dem Anhänger aus Obsidian. Das tiefe schwarz des Edelsteins beruhigt mich irgendwie und endlich habe ich das Gefühl, dass es vielleicht doch nicht so schlimm werden würde, wie ich es mir vorstellte.

Cliffland Academy.
Der Ort, an dem ich lernen sollte, mit all dem umzugehen, was ich in den letzten Jahren nur schwer bändigen konnte.
"Du wirst lernen, sie zu kontrollieren." Höre ich die Worte meiner Eltern in meinen Gedanken.
Kontrolle.
Etwas, das ich immer zu haben glaubte oder hoffte.
Und jetzt, da ich erkannte, die Kontrolle verloren zu haben, sollte mir irgendein komischer Typ zeigen, wie ich sie wieder erlangte.
Eigentlich seltsam, wenn man bedenkt, dass ich sonst immer diejenige war, die ihr ganzes Leben organisieren wollte.
Und das aller anderen gleich mit.
Ich hatte immer die Kontrolle über alles gewollt. Aber jetzt, da ich dies, zumindest für meine Kräfte, geboten kriegen sollte, war ich mir dessen nicht mehr so sicher.
Wollte ich mich überhaupt noch kontrollieren?
Als ich vor einer Woche die Kontrolle verlor, hatte ich mich so mächtig gefühlt.
So energiegeladen.
So frei.

Wollte ich das wirklich loswerden?
Wollte ich wirklich die Kontrolle zurück?
Will man nicht immer das, was man am wenigsten hat?

Erneut sah ich mit selbst in die grünen Augen. Dieses Mal sah das Mädchen noch verunsicherter aus als vorher.
Na toll Luc'. Du bist echt super darin, dir selbst Mut zu machen.
So wie ich im Spiegel aussah, wirkte ich wie ein kleines Kind, das irgendjemand in eine Uniform gestopft hatte, in der Hoffnung, es würde so seinen Drang nach Freiheit gegen Disziplin eintauschen.

Wieder hörte ich die Stimmen meiner Eltern. "Denk daran, was das letzte Mal passiert ist. Du musst das in den Griff bekommen oder es wird wieder geschehen."
Das letzte Mal. Als ich mich ein Mal mit meiner Mutter, wegen meinen Kräften gestritten hatte, hatte ich versehentlich das Haus in Brand gesetzt.
Nicht weil ich es böse gemeint hatte. Ich wusste einfach nicht wohin mit meiner ganzen Energie und so hat sie sich selbst ein Ziel gesucht.
Es war zuviel Macht in zu kleinen Händen gewesen. Und es hatte mir sehr viel Angst gemacht. Damals hätte ich alles dafür getan, diese Macht kontrollieren zu können.

Letztes Mal jedoch war es anders gewesen.
Vor zwei Wochen ist meine Großmutter gestorben und bei ihrer Beerdigung, vor einer Woche, war es erneut passiert. Ich hatte sie so gern gehabt. Ihre faltigen aber weichen Hände, ihr Lachen, ihr Gesang, wenn ich nicht schlafen konnte. All diese Erinnerungen hatten mich überflutet und in mir scheinbar unendliche Energie freigesetzt. Energie, mit der ich nicht wusste wohin. Ich wusste einfach nicht was ich tun sollte.
Die Tatsache, dass meine Großmutter tot sein sollte. Dass ich sie niemals wiedersehen sollte, machte mich fertig. Wer sollte mich denn jetzt in den Arm nehmen und mir vorsingen wenn ich traurig war? Wer sollte mir zu Weihnachten immer eine riesige Dose voller Schokoladenkekse schenken? Wer sollte an meinem Geburtstag zu mir kommen und sagen"Da ist ja meine kleine Zauberprinzessin"?

Und auf einmal war ich nicht mehr traurig, sondern unfassbar wütend. Wütend auf den, der mir meine Großmutter einfach genommen hatte. Wütend auf diejenigen, die sie einfach in der Erde verscharren wollten, wie Müll. Und wütend auf mich selbst, weil ich rein gar nichts hätte tun können, um das zu verhindern.
Und so ist es einfach aus mir herausgeplatzt.

Ein Mensch ist an dem Tag verletzt worden. Ich hatte es nicht mit Absicht getan.
Aber das was dort durch mich hindurch geschossen ist, hatte sich so gut angfühlt. So als könnte ich allen Schmerz einfach loslassen. Das Gefühl etwas nicht kontrollieren zu können hatte sich befreiend angfühlt.

Doch jetzt sollte ich das ein für allemal in mein Innerstes verbannen. Das hatten meine Eltern daraufhin beschlossen und ich bin sicher sie wollten nur das Beste für alle.
Ich will das alles hier nicht mehr.
Früher hätte ich alles für Kontrolle gegeben, aber jetzt fühle ich mich als wollte mich jemand in einen viel zu engen Käfig sperren.

Der dunkelgraue Faltenrock schnürt mich auf einmal ein. Die Bluse fühlt sich steif und unbequem an.
Ich bekomme kaum noch Luft.
Es pasdiert schon wieder.
Wieder gehen meine Gefühle mit mir durch. Und ich kann nichts tun.
Komm schon Luc'. Beruhige dich. Du willst niemanden verletzten.
Will ich sie jetzt doch die Kontrolle?
Hätte meine Großmutter gewollt, dass ich Menschen verletze, nur weil ich mein Temperament nicht zügeln will?
Der Gedanke an meine Großmutter beruhigt mich ein wenig.
Nein. Ich denke sie hätte auch gewollt, dass ich mich zusammenreiße.
Komm schon. Du schaffst das.
Noch einmal sehe ich meinem Spiegelbild in die Augen. Jetzt entschlossen.
Dann drehe ich mich um und gehe durch die Tür meines Zimmers in, mein neues Leben.

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