Sam

187 5 2
                                    

Sam

"Hey Sam, komm doch mal rüber!" Kyle winkte mich mit seiner freien Hand heran, in der anderen hielt er ein Bier. Er stand mit seiner Clique, die aus den coolsten Typen und Mädels der Schule bestand, in einer Ecke. Hinter ihnen, auf einer schäbig aussehende Bank, war, wie es schien, ihr gesamter Vorrat an Alkohol platziert und überall um sie herum verstreut lagen halb gerauchte Joints.

Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Lust darauf, mit diesen 08/15 Hipster abzuhängen, also lehnte ich dankend ab. "Ne, Kumpel, echt nicht. Muss noch zu meinem Spind und du weißt ja", ich wies auf die Räder meines Rollstuhles, "bei mir dauert es mittlerweile ein bisschen länger."

Kyle zuckte nur mit den Schultern und drehte sich dann ohne ein weiteres Wort um. So egal war ich ihm also. Früher waren wir einmal beste Freunde. Brüder, wie wir immer zu sagen pflegten, aber seit ich in diesem beschissenen Ding saß, was sich lächerlicher Weise Rollstuhl nannte, guckte er mich nicht mal mehr mit dem Arsch an. Ich konnte es irgendwie verstehen, weil ich wusste wie Kyle war. Es war ihm schon immer besonders wichtig gewesen, bei seinen ach-so-coolen Freunden gut anzukommen und wenn wir mal ehrlich sind - mit einem langweiligen Rollstuhlfahrer wie mir wäre sein Image komplett zerstört gewesen. Trotzdem verletzte es mich. Und an allem war nur dieser dumme Rollstuhl schuld. Ich weiß, es ist erbärmlich wie ein kleines Kind auf einem armen, wehrlosen Rollstuhl herumzuhacken. Zu allem Überfluss sagte meine Mutter mir auch immer wieder, dass dieses Ding nur dazu da war, mir den Alltag zu erleichtern. Also wirklich, wenn dieses muffelige Teil mir den Alltag hätte erleichtern wollen, hätte es einfach bis zu dem Tag, an dem der Unfall passiert war, zurückgespult, und dann hätten sich unsere Wege auch schon wieder trennen können. Ich wäre nicht mehr wie ein ausgesetzter, abgemagerter Welpe angestarrt worden, wenn ich irgendwo durch die Stadt fuhr, und der unbequeme Sitz hätte nicht mehr an meinem Arsch riechen müssen. So was nenne ich Win-win-Situation. Aber leider passierte mir nie etwas Gutes.

So hatte ich jedenfalls das Gefühl, seit ich vor gut 4 Monaten von einem silbergrauen SUV angefahren wurde. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie sich der Fahrer, ein jüngerer Mann mit schwarzer Sonnenbrille, zuerst lauthals beschwerte, dass ich so unvorsichtig über die Straße gerannt war, und dann, als er merkte, dass er mich voll erwischt hatte, anfing zu heulen. Komischerweise habe ich mir jedes Detail von dem Unfall behalten, was aber vielleicht auch daran lag, dass ich das Szenario mehrmals am Tag in meinem Kopf durchspielte. Von dem kleinen Käfer, den ich von meiner Jacke geschnipst hatte, als ich die Straße überquerte, bis hin zu der hysterischen Stimme einer Krankenschwester, die mit einem Sanitäter sprach, als ich im Krankenhaus ankam.

Dort fragte man mich ob ich Schmerzen habe und ich sagte, dass ich einen starken Druck im Bauch spüre und mir nicht sicher war, ob ich meine Beine bewegen könne. Daraufhin wurde ich sofort zum Ganzkörper-CT gebracht. Dann ging alles relativ schnell... oder auch nicht!? Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.

Ich kam mir vor, als wäre mein Kopf von einem dichten Nebel eingehüllt, der meine Sinne nicht gerade schärfte. Sie stellten fest, dass meine Milz eingerissen war und brachten mich daraufhin sofort in den OP. Dann wurde erst einmal alles schwarz.

Als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich immer noch ein wenig benebelt, aber wenigstens schmerzte mein Bauch nicht mehr so wie vorher. Dafür konnte ich mich aber nicht mehr bewegen. Verdammt! Ich konnte mich nicht mehr bewegen! Ich bekam Panik und versuchte vergeblich meine Beine über die Kante des Bettes, in dem ich lag und das in einem spärlich möblierten Zimmer stand, zu schwingen. Es funktionierte kein bisschen. Ich fing an zu schwitzen und mein Atem ging schnell und flach. Das durfte nicht wahr sein! Das konnte nicht wahr sein! Das war nicht wahr! Um mich wieder ein wenig zu beruhigen, sah ich mich in dem Zimmer um, in dem ich gelandet war.

GeeksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt