Oh, did you know

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  61 Jahre später – Heute

Kakuzu fuhr hoch, schweißgebadet und mit schweren, unregelmäßigen Atemzügen. Er griff sich an die Brust, fühlte den schweren Stoff seines Mantels zwischen den Fingern. Ihm war übel und er musste sich zusammenreißen, sich nicht zu übergeben. Seine grünen Augen huschten hinüber zu Hidan, der auf der anderen Seite der glimmenden Glut seelenruhig schlief. Er hatte einen sehr tiefen Schlaf und darüber war der Schwarzhaarige in diesem Moment dankbar.
Sein Herz hämmerte in seiner Brust, schlug gewaltsam gegen die Rippen. Kalter Schweiß rann ihm über den Nacken und verbittert bemerkte Kakuzu, dass seine Hände zitterten. Nein, sein ganzer Körper bebte vor geballter Emotion.
Kakuzu wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und hielt inne. Er strich sich mit den Fingerspitzen über seinen Wangenknochen und sog frustriert die Luft ein. Tränen. Verdammt, wann hatte er das letzte mal geweint? Das war eine ganze Ewigkeit her.
Er sah in die rote Glut des Feuers und lauschte Hidans leisem Schnarchen. Es musste mitten in der Nacht sein, der Mond stand noch hoch am Himmel und beschien die kleine Lichtung auf der die beiden Akatsukis rasteten.
Mit einem heiseren Stöhnen fiel der Schwarzhaarige zurück auf seinen Mantel, auf dem er noch bis eben geschlafen hatte. Er vergrub das Gesicht in den Händen und schluckte schwer gegen den Brechreiz in seiner Kehle an.
Der letzte Albtraum war schon Ewigkeiten her – Monate, wenn nicht sogar ein ganzes Jahr. Doch jetzt hatte er wieder den bitteren Geschmack des Verlustes im Mund und seine Brust schmerzte schrecklich. Es kostete ihn einige Mühe, seine Atemzüge ruhig und stetig zu halten. Hidan hatte zwar einen tiefen Schlaf, doch Kakuzu wollte nicht, dass der junge Ninja aufwachte. Dann würde es Fragen geben, Vermutungen und noch mehr Fragen.
Kakuzu drehte sich auf die Seite, stierte in die letzten Reste der Glut und dachte an den Albtraum.
Es waren nur noch Fetzen übrig, verwischte Bilder und Erinnerungen. Doch das schreckliche, nagende Gefühl der Trauer fraß an seiner Seele. Diese Tatsache verärgerte ihn, hatte er doch schon vor über zwanzig Jahren jegliche Emotionen in eine tiefe, dunkle Ecke gedrängt. Er war ein Kämpfer, ein Mörder. Gesucht und verfolgt bis an sein Lebensende. Da hatten Gefühle keinen Platz, machten einem nur Ärger im Alltag.
Und doch war da dieser stechende, alles betäubende Schmerz. Es zerriss ihn jedes mal aufs neue, wenn er daran dachte. Er hatte schon viel erlebt, viel Schmerz erlitten und doch gab es nichts was dieser Qual auch nur annähernd gleich war. Er hatte dich verloren, weil er einen dummen Fehler begangen hatte. 


Kakuzu erhob sich lautlos von seinem Schlafplatz und verschwand in die Schatten des Waldes. Seine Beine trugen ihn durch das düstere Unterholz, ziellos wanderte er durch den kleinen Laubwald, in welchen er mit seinem Partner rastete. Kakuzu wünschte sich sehnlichst, sich jedes einzelne Herz aus der eigenen Brust reißen zu können, wenn damit nur der Schmerz aufhörte.

An einem kleinen Bach angekommen ließ sich Kakuzu auf einen umgestürzten Baum nieder und starrte hoch in den sternenklaren Himmel. Nur wenige, kleine Wolken zogen durch das Schwarz und störten den Anblick der tausend Welten über ihm.
Kakuzu verharrte kurz, beschloss dann aber dass ihm ein wenig Gesellschaft nicht schaden konnte.
Seine Wassermaske schien ihm dafür die richtige Wahl zu sein und er beschwor das schwarze Monster aus seinem Körper auf die Lichtung.
Suiton tapste zu ihrem Meister und ließ sich vor ihm nieder. Kakuzu streichelte ihren rustikalen Körper sanft und seufzte schwer. Ob sich Suiton noch an dich erinnerte?
»Weißt du noch?« Die Wassermaske sah zu ihm hoch und neigte fragend den Kopf. »Wir sind hier schon einmal gewesen.«
Der fragende Winkel der Maske verschwand und Sui sah zu dem kleinen Bach, der leise vor sich hin plätscherte.
»Das ist schon ziemlich lange her, da hast du recht. »Weiter streichelte er sein Monster und ein tiefer Schmerz legte sich über seine Stimme. »Ich vermisse sie.«
Kakuzu schluckte streng gegen den Kloß ins einem Hals an und bläute sich ein, dass ein echter Shinobi keine Gefühle zulassen durfte. Ihm standen Emotionen nicht zu, schon lange nicht mehr.
Doch da schien Suiton anderer Meinung zu sein, als sie sich aufsetzte und ihre mächtigen Arme um ihren Meister schloss.
Kakuzu zuckte etwas zusammen unter der Berührung. Etwas überrascht sah er hoch zu der Wassermaske, die ihn anscheinend zu umarmen versuchte. So etwas hatte noch nie eines seiner Monster getan! Sicher, sie alle hatten ihre eigenen Persönlichkeit und Suiton war schon immer die sanfteste von ihnen gewesen, doch selbst sie hatte noch nie etwas in der Art getan.
»Lass los.« Kakuzu drückte das schwarze Monster weg, war jedoch ein wenig berührt von der augenscheinlichen Fürsorge seines Wesens.
Suiton ließ von ihm ab, beobachtete ihn aber weiterhin sehr aufmerksam. Verwirrt vom Verhalten der Kreatur erhob sich der Schwarzhaarige und streckte seine müden Knochen. Sein Blick wanderte über den kleinen Bach und sofort kamen ihm Erinnerungen in den Kopf, die er schon sehr lange verdrängt hatte.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er den Duft deines Haars wahrnehmen zu können und auch wenn diese Illusion so schnell wieder erlosch wie sie gekommen war, trieb es ihm einen scharfen Stich durch die Brust. Er vergrub das Gesicht in den Händen und spürte wie ein tiefes Zittern durch seinen Körper ging. Jeder Muskel bebte auf und Kakuzu wünschte sich, nicht zum ersten mal, er wäre an deiner Stelle gestorben. Er würde noch heute alles dafür geben, mit dir tauschen zu können.
Dann würdest du leben – hättest vielleicht sogar eine Familie mit Kindern und die Sicherheit, die er nie haben würde. 


Nachdem er Suiton wieder zu sich gerufen hatte und sie mit seinem eigenen Körper verschmolzen war, saß Kakuzu noch einige Minuten auf dem Baumstamm, die Gedanken noch immer bei dir.

Das rascheln der Brombeersträucher ließ ihn aufsehen und Hidan kam durch das Gebüsch getaumelt, noch müde und sich die Augen reibend.
»Ey, Kakuzu. Was machst du? Du warst plötzlich weg.«, murmelte der Jüngere und ließ den Blick über die kleine Lichtung schweifen. »Gibt's Probleme?«
»Nein. Und jetzt verschwinde.«
Etwas pikiert über seine kalte Antwort runzelte Hidan die Stirn, doch er zuckte genervt mit den Schultern und machte sich nach einem kurzen Zögern auf den Rückweg zum Schlafplatz der beiden Akatsukis. Sonst stellte der Jashinist immer Fragen über Fragen und gab seine Meinung zu allem Preis – was meist in einer Schimpftirade endete. Aber diesmal sagte er nichts, drehte sich nur ohne ein weiteres Wort um und stapfte zurück durch die kratzigen ranken der Brombeersträucher.
Kakuzus grüne Augen folgten seinem Schatten, bis er außer Sichtweite war. Dann seufzte er noch einmal tief und schob all die Gefühle und Erinnerungen zur Seite, in eine tiefe Ecke seines Wesens.
Er war ein Shinobi – Gefühle waren fehl am Platz. 


»Wieso bist du aufgestanden?«, fragte Hidan leise und stocherte mit einem Stock in der Glut herum, um das Feuer wieder richtig zu entfachen. Seine violetten Augen ruckten kurz hoch von seiner Tätigkeit zu seinem Partner, der wieder aufs einem ausgebreiteten Mantel lag, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

»Geht dich einen Scheiß an.«
»Ich mein ja nur, wenn du etwas verdächtiges-«
»Dann lasse ich es dich wissen, keine Sorge.«
Kakuzus Stimme war wieder rau und kalt, aggressiv und abweisend. Er hatte sich wieder vollkommen unter Kontrolle. Kein Zittern in den Muskeln mehr, kein beißender Schmerz und vor allem keine Tränen mehr.
Er spürte den Blick des Jüngeren auf sich, schaute ihn aber nicht an. Dass sich der junge Mönch so passiv verhielt war selten und Kakuzu hatte die wage Vermutung dass er etwas zu ahnen schien. In der letzten zeit hatten sich seine Albträume gehäuft – vielleicht hatte Hidan ja etwas bemerkt?
»Wollte nur nochmal nachgefragt haben...«, murmelte der Weißhaarige mit nachdenklicher Miene und ließ sich ebenfalls wieder auf den Rücken fallen.
»Das Feuer sollte bis zum Morgen gut brennen.«, sagte er leise und Kakuzu sah zu ihm, um in zwei berechnende, violette Augen zu sehen. »Nicht, dass du wieder schlecht träumst.«
Innerlich gefror der Schwarzhaarige zu Eis.
Er wusste es. War er doch die ganze Nacht über wach gewesen?
Dicke, schwarze Fäden drängten sich unter Kakuzus Haut hervor und bahnten sich ihren Weg um die Feuerstelle herum zum Jashinisten, der jedoch nicht einmal mit der Wimper zuckte.
»Wir alle haben etwas verloren.«, raunte er düster – so leise, dass Kakuzu ihn über das Knacken der Glut kaum hören konnte. »Damit bist du nicht allein, alter Mann.«
Die Verbitterung in seiner Stimme ließ den Älteren die Stirn runzeln und die schwarzen Fäden wieder zurück ziehen. Die violetten, hasserfüllten Augen schlossen sich und Hidan seufzte tief, um dann weit zu gähnen und wieder einzuschlafen.
Kakuzu sah hoch zu den Sternen und wusste nicht so recht, wie er das aufnehmen sollte. Hidan war sonst immer ein solcher Idiot; vorlaut, ein Schandmaul und sein Blutdurst war unersättlich. Doch eben hatte er bewiesen dass noch viel mehr dahinter steckte als ein religiöser Volltrottel der aufs Töten aus war – in diesem Menschen steckte Schmerz.
Kakuzu atmete tief ein und schloss die Augen., lauschend auf die Geräusche des Waldes um ihn herum.
In ihm kroch die Angst hoch, dass er wieder träumen würde. Er war sich nicht sicher, ob er in dieser Nacht noch einen weiteren Albtraum aushalten würde.
Doch in dem Moment, als sein Bewusstsein in den Schlaf glitt war ihm klar, dass er weiter träumen würde.

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