8. Kapitel

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> J U N A <

Claire legt beschwichtigend ihre Hand auf Harrys Arm. „Harry, beruhige Dich."

Er hat immer noch diese Falte zwischen den Augen, die anzeigt, wie aufgebracht er ist. Aber zum Glück richtet er seine Aufmerksamkeit jetzt auf Claire. Als sie fortfährt, ist ihre Stimme ruhig, aber bestimmt.

„Hast Du Dir schon einmal überlegt, dass wir Junas Erfahrungen mit erfolgreichen Menschen nicht kennen? Vielleicht hat sie einfach noch nie erlebt, dass jemand so selbstlos handelt wie Du?"

Harrys Gesicht wird jetzt nachdenklich und er schaut mich fragend an. Aber ich bringe immer noch kein Wort zu meiner Verteidigung heraus. Claire versucht mir zu helfen, indem sie mich fragt: „Habe ich recht, mein Liebling?"

Der ungewohnte Kosename und ihr liebevoller Ton lassen mir die Tränen in die Augen steigen. Schnell blinzle ich sie weg und hoffe, dass niemand sie bemerkt hat.

Dann räuspere ich mich. „Ja, Du hast recht."

Beide schauen mich erwartungsvoll an und so starte ich einen Versuch, Ihnen zu erklären, wie es mir geht. „Mein Vater ist im diplomatischen Dienst tätig. Seit ich denken kann, sind wir oft von wichtigen und erfolgreichen Menschen umgeben, sei es aus Regierungskreisen oder aus der sogenannten ‚gehobenen' Gesellschaft. Mir wurde immer eingebläut, niemanden mit meinen Angelegenheiten oder Sorgen zu konfrontieren. Ja, es wurde mir sogar ausdrücklich verboten, je jemanden um Hilfe zu bitten."

Claires mitfühlender Blick lässt mich einen Moment lang meine Fassung verlieren. Ich muss tief durchatmen, ehe ich fortfahren kann.

„So bin ich von klein auf gewohnt, mich auf niemanden zu verlassen und mich anzupassen. Die Anerkennung, die ich dafür bekomme, hat einen bitteren Beigeschmack, denn sie zeigt mir immer wieder, dass ich ganz auf mich selbst gestellt bin. Mein Kopf ist voller Gedanken und Träume. Ich habe sie nie mit jemandem teilen können, geschweige denn dass ich jemals Unterstützung erhalten hätte.

In der heimeligen Atmosphäre in Claires Küche und mit zwei Zuhörern, die mir ihre volle Aufmerksamkeit schenken, kann ich einfach nicht aufhören, zu erzählen.

„Durch die vielen Umzüge habe ich nie enge Freundschaften geknüpft. Aber meine Einsamkeit geht weit darüber hinaus. Ich lebe jeden Tag mit einer Maske, die mir das Wohlwollen meiner Familie und meines Umfelds sichert. Jedes Mal, wenn ich einen kleinen Teil meines wahren Ichs zeige, werde ich zurechtgewiesen und verletzt."

Jetzt wende ich mich direkt Harry zu. „Es tut mir leid, Harry. Ich wollte Dich nicht beleidigen. Es liegt an mir. Es ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, dass man andere Menschen nicht mit seinen Problemen belästigen soll."

Harrys Miene ist nun weicher geworden. Aber es ist Claire, die als erste das Wort ergreift. „Juna, mein liebes Kind, es tut mir so leid."

Sie streicht mit ihrer kleinen Hand über meinen Unterarm. Ich kann mich nun nicht mehr beherrschen und mir laufen die Tränen lautlos, aber unaufhaltsam übers Gesicht. Es ist mir nicht mehr peinlich, dass die beiden mich so sehen. Meine Wunden, die in vielen Jahren entstanden sind, brechen nun auf und ich empfinde die Tränen als heilsam.

Ich nehme die Berührung von Claires Hand ganz deutlich war. Ich konzentriere mich auf ihre tröstenden Bewegungen auf meiner Haut. Für andere wäre es eine alltägliche Geste. Aber mir hilft dieser kleine Körperkontakt, nicht unterzugehen in all der Verletzung und Kälte. Ich habe das bereits einmal erlebt, als Harry mich im Keller des Restaurants durch die halbgeöffnete Tür an der Schulter berührt hatte. Ich frage mich, warum diese beiden Menschen mich so sehr berühren können – in jeder Hinsicht.

Healing Touch (H.S.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt