9. Kapitel

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Nach einem ausgiebigen Bad mit einer Kombi aus verschiedenen Badezusätzen, die zueinander passten, stand ich nun mit einem umgewickelten Handtuch vor dem runden Spiegel über dem Waschbecken.
Das Baden war himmlisch gewesen, aber ich kam mir beobachtet vor, obwohl ich mehrmals gecheckt hatte, ob es Videokameras gab.

Was passiert hier eigentlich?

Obwohl ich - vor allem nach Harrys eindeutiger Warnung - Angst hatte, wusste ich irgendwie, dass diese Entführung nicht dem Zweck diente, mir etwas anzutun. Dafür behandelte man mich bis jetzt viel zu gut, es war ja beinahe ein Wellnessurlaub. Ich strich mir eine nasse Locke hinters Ohr.

Mein Spiegelbild guckte grüblerisch zurück. Egal wie sehr ich es versuchte, ich konnte mir keinen Reim darauf machen, wozu ich hier festgehalten wurde.
Was würde ich jetzt normalerweise machen? An Sonntagen ging ich morgens immer mit unserem Schäferhund joggen.
Meine Augen füllten sich bei dem Gedanken mit Tränen, aber ich atmete tief durch und versuchte, einen klaren Kopf zu bewahren.

Was auch immer man hier von mir wollte, ich würde mich nicht brechen lassen.

Als ich den Kleiderschrank öffnete, vergaß ich für einen kurzen Moment meine Angst, die Tür könne jeden Moment aufgehen und ich würde nur im Handtuch vor Harry stehen.
"Der Wahnsinn.", murmelte ich.

Wem gehörte dieser Schrank? Das all diese Frauenkleidung für mich hier hingebracht worden sein soll, konnte ich mir nicht vorstellen.
Und wenn doch?
Mit zitternden Fingern suchte ich mir etwas heraus. Es war alles so durchgeplant, was wenn man geplant hatte, mich hier sehr lange festzuhalten und Gott weiß was mit mir zu tun?

Mittlerweile kam mir die Annahme, dass mir nichts Schlimmes passieren würde, unglaublich dumm vor.
Die Fenster waren abgeschlossen und von außen waren Rolladen heruntergelassen worden. In mir stieg die Hitze hoch, ich fühlte mich eingeschlossen. Ich ließ alles fallen, rannte ins Badezimmer und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.

Nach einigen Atemzügen entschloss ich mich, meine eigenen Sachen wieder anzuziehen. Das Kleid saß locker, roch also nicht verschwitzt.
Ich würde diese Sachen nicht tragen.

Als ein die Tür aufging saß ich im Schneidersitz auf dem Boden.

"Das Bett hast du aber gesehen, oder?", fragte der junge Mann, der gerade hereingekommen war.
Er sah mit einem spöttischen Lächeln auf mich herab. Ohne etwas zu erwidern stand ich auf.

Etwas an ihm sagte mir, dass ich vorsichtig sein sollte. Obwohl er kaum größer war als ich, schüchterte seine Erscheinung mich ein. Langsam, wie eine Raubkatze auf der Jagd näherte er sich mir durch den Raum.
Direkt vor mir blieb er stehen und nahm eine meine Haarsträhnen zwischen seine Finger und musterte sie, bevor er sie fallen ließ.

"Was denn, willst du mir nicht Hallo sagen?", fragte er lauernd.
"Ich..", ich räusperte mich, "Hallo", sagte ich.

Die Kälte seiner blauen Augen war das Beängstigendste, was ich heute erlebt hatte. Mein ganzer Körper sträubte sich dagegen, aber ich zwang mich dazu, nicht zurückzuweichen.
Nach einigen quälenden Sekunden verzog sich sein Mund zu einem Lächeln, das mir Schauder über den Rücken laufen ließ.

"Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich bin Louis. Du heißt Holly oder?", erkundigte er sich.

"Ja", bestätigte ich.

"Harry und Zayn haben dich... abgeholt. Hoffentlich waren sie nicht zu unfreundlich zu unserem Gast."

Er verarscht mich.

"Nein, deine Kollegen waren sehr zuvorkommend. Am besten haben mir die Kabelbinder gefallen- ", ging ich auf seine Ton ein und unterbrach mich schnell.

Louis' Gesichtsausdruck wechselte blitzschnell von süffisant zu mordlustig. Ich musste an Harrys Warnung denken und schluckte schwer. Mittlerweile war ich zurückgewichen und stand mit dem Rücken gegen die Wand. Er schloss den Abstand mit einem Schritt auf.

"Ich wollte nicht-", begann ich und wurde von ihm unterbrochen:

"Shhh"

"Du hast es ja auch nicht einfach. Du fühlst dich bestimmt nicht besonders gut, stimmt's?"

Ich konnte ihn nur anstarren.

"Das Problem ist...", er stützte seine Hände rechts und links neben meinem Kopf ab, "Das interessiert mich kein bisschen.", sagte er tonlos.

Seine Hand wanderte zu meinem Oberschenkel unter mein Kleid. Ohne zu zögern stieß ich ihm vor die Brust und rannte nach draußen. Den Flur entlang, eine weiße Marmortreppe herunter und durch einen großen Empfangssaal.

Natürlich waren die großen Türen verschlossen, trotzdem rüttelte ich  daran.

"Du kommst huer nicht raus, egal wohin du läufst.", hörte ich Louis' Stimme und erschreckte mich zu Tode. Er schlenderte scheinbar entspannt die Treppe herunter, aber sein Gesicht verriet seine Wut.

Ohne ihn zu beachten lief ich weiter, in einen anderen Flur hinein, einfach weg von ihm. Durch den dicken Teppich waren meine Schritte gedämpft.
Abrupt kam ich zum Stehen, als ich fast in Harry reinlief.

Vor Erleichterung kamen mir die Tränen und ich konnte mich gerade so zurückhalten, ihm in die Arme zu fallen.

"Holly, das bringt nichts!", sagte er verzweifelt und eindringlich.
Sanft griff er nach meinen Handgelenken. "Sieh mich an. Tu so als ob", raunte er.
Um zu wissen, was er meinte, musste ich nicht überlegen.

Also tat ich, als wolle ich mich von ihm losreißen und rief: "Lass mich los!"
Ohne mir weh zu tun drehte er mir die Arme auf den Rücken und zog mich fest an ihn. Louis kam auf und zu. Ich fragte mich, in welchem Verhältnis die beiden zueinander standen. Etwas sagte mir, dass Harry Louis untergeordnet war.

"Oh, Harry, du hast unsere kleine Ausreißerin bekommen. Sie war nicht besonders nett zu mir.", sagte er.
Es war deutlich spürbar, wie Harry sich hinter mir anspannte.
Obwohl ich erleichtert war, dass er jetzt da war, hatte ich Angst; Anscheinend hatte auch er Respekt vor Louis, der mittlerweile direkt vor mir stand.

Eingehend betrachtete ich seine Füße und versuchte die Spannung auszuhalten.

"Sie wird sich schon fügen.", hörte ich Harry sagen, was mir einen Schrecken versetzte. Ganz leicht verstärkte er kurz seinen Griff, als wollte er sich für seine Aussage entschuldigen. Er wollte mich beschützen, es traf mich wie ein Schlag und ließ mein Herz unerwartet  klopfen.

"Wir sollten jetzt gehen, sie warten schon.", sagte Harry emotionslos. Als ich hochguckte, begegnete ich Louis' Blick und wollte meinen Kopf sofort wieder wegdrehen, aber er legte eine Hand an mein Kinn und drehte mein Gesicht gewaltsam in seine Richtung.

"Klar, wir beide kommen nach. Wir haben noch etwas zu klären.", sagte er.

Ich biss die Zähne aufeinander und versuchte nicht vor Wut zu weinen. Meine starke Emotionalität war ein Zug an mir, den ich in manchen Situationen verfluchte, da er dazu führen konnte, dass mein Gegenüber mich unterschätzte.

Bitte lass mich nicht mit ihm alleine.

Ich hoffte, dass meine Stoßgebete Harry erreichen würden.

Kidnapped by Harry Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt