Wolkentürme

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Die Nacht gewandet liebevoll die Versteckten, Zaghaften. Wenn das wenige künstliche Licht aufsteigt, entweichen sie hinaus in die Gassen. Verstecken ihre Hässlichkeit, ihre Hinterlist, ihren Argwohn und ihre Unvollkommenheit hinter den Schatten ihrer selbst. Ihre Streifzüge folgen dem inneren Instinkt der gemeinen Gruppen. Langsame, späte Fluchten auf Zeit aus den selbsterbauten Kerkern.

Tags gelegt in Fesseln der Gewohnheit, steigen sie in besonderen Momenten auf, ameisengleich, aus ihren Höhlen. Sie erheben sich, um auszuschwärmen, um sich der Welt als dunkle, überflutende Wolke hinzugeben. Die wenigen Augenblicke bis zum unausweichlichen Tod mussten genutzt werden, müssen glanzvoll, unvergesslich strahlen. Der Verbrauch der kostbaren unwiederbringlichen Lebenszeit durfte nicht umsonst gewesen sein. So versuchten diese Geschöpfe in den kurzen leuchtenden Momenten verzweifelt zu scheinen.

Diejenigen, die ihrer Ausweglosigkeit, ihrer Tristes gewahr wurden in diesen Nächten, diejenigen, denen ob ihrer verdrängten Unzulänglichkeit mit Wucht ihr Spiegelbild entgegenschlug, sie antworteten mit roher Gewalt. Nichts konnte sie davon abhalten, den es gab nichts was sie hielt.

Mir gefiel das Tageslicht. Ich vertraute der Sonne. Die Nüchternheit des Tages gebar fantastischere Träume als Alkohol, Zigaretten, Kocks und Schweiß. Ich stand Partys die mitten in der Nacht begannen zwiespältig gegenüber. Dennoch es gab diese Momente, in denen etwas in mir nach mehr verlangte.

Ich traf gerne auf Menschen. Zu jeder Zeit. Auf Gleichgesinnte und andersartige. Solche, die etwas zu erzählen hatten und welche, die zuhörten. Und so machte ich mich am Abend auf, um Björn und Oddi abzuholen und auf der Party, organisiert von angehenden Grundschullehrerinnen, zu feiern.

Meine beiden Freunde saßen schon bei einem Bier in Björns kleiner Küche und schauten Musik- und Spaßvideos in einem Internet-Kanal auf dem Laptop. Sie lachten über kleine Kunststücke und harmlose Dummheiten, die einige Teenager mit Handykameras in ihrer unbekümmerten Naivität aufzeichneten. Ich gesellte mich zu den beiden, konnte aber nur mäßig über den Teenager-Unsinn lachen.

Mein Smartphone brummte leise. Eine Nachricht von Solveig: „Hey Tom, ich bin vermutlich blöd, aber ich werd es nochmal mit Sebastian versuchen.“

Ach Solveig, warum diese Pfeife?

Ich schrieb „Das freut mich! Hoffe es klappt mit euch!“

„Du bist total woanders, oder?“ Oddi wischte sich einige Tränen aus den Lachfalten. Er bemerkte, dass mich die kläglichen Versuche eines dicken Jungen nach drei Flaschen Bier und einem Joint noch einen Purzelbaum zu schlagen, nicht besonders amüsierten.

„Sind ein paar skurrile Tage an mir vorbeigeflogen.“

„Kann ich mir vorstellen. Trennungen sind Scheiße! Das bringt einen schon aus der Spur.“    

Ich nickte, um nicht diskutieren zu müssen. Tina bereitete mir in der Zeit, als wir leiert waren, mehr Kopfzerbrechen als jetzt.

Björn lenkte uns ab: „Das müsst ihr sehen.“

Ich lachte oft mit Björn und Oddi über den gröbsten Unsinn, doch die Jungs im Video taten mir leid und in mir herrschte Leere. Nicht auf eine negative Weise. Etwas in mir wartete auf Neues. Mein Verstand verlangte nach Abwechslung, nicht nach Zumutung.

Wir zogen los, nahmen die U-Bahn an der Kreuzstraße und stiegen an der Rheinoldi-Kirche um. Ein paar Jugendliche sammelten sich bereits an der unterirdischen Haltestelle, bewaffnet mit Bier und Handys, die die Top 40 unablässig und undefiniert aus den billigen Piezomembranen quälten.

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