Ein Zufall

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Wir saßen uns in der Bar gegenüber und tranken jeder etwas. Ich, ein alkoholfreies Bier und er wieder Tonic Water. Seine Augen sahen mich ununterbrochen an. Es schien, als würde er auf was warten. „Du hast wieder richtig gut gespielt.", sagte ich, um die Situation aufzulockern. Manuel lächelte. Ich faltete meine Hände vor mir und sah ihn weiter an, wie er an seinem Strohhalm zog. „Ich kann es irgendwie immer noch nicht glauben.", fing ich dann an. Meine Stimmbänder produzierten die Worte, ohne das mein Gehirn vorher überlegte. „Ich schaue dir schon über ein Jahr zu und jetzt sind wir sowas wie Freunde." Manuel hob seine Augenbrauen, ehe er breit grinste.

„Machst du eigentlich noch viel anderes in deiner Freizeit, außer Musik?", fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf. „Keine Freunde oder Freundin, mit der du Zeit verbringst?", fragte ich weiter. Ja, ich fragte gerade wirklich, ob er vergeben war. Ich hoffte, es fiel nicht auf. Manuel schüttelte wieder den Kopf. Er war Single. Irgendwie fiel mir in diesem Augenblick ein Stein vom Herzen. Ich hätte grinsen und in die Luft springen können, doch ich tat es nicht. Manuel senkte seinen Blick. Trauriger Blick. „Tut mir leid, wenn ich jetzt was Falsches gefragt habe.", murmelte ich. Man sah ihm an, ich hatte einen wunden Punkt getroffen. Das wollte ich nicht.

Manuel tippte auf sein Handy was ein und schob es zu mir rüber. "Ich habe nicht wirklich Freunde. Die meisten kommen nicht mit mir klar, weil ich Stumm bin." Ich sah auf, in seine traurigen Augen. „Ich habe damit kein Problem. Ich find dich toll, so wie du bist. Und wenn ich gut bin, lerne ich die Gebärdensprache und dann können wir über andere ablästern, ohne dass sie irgendwas verstehen.", zwinkerte ich, weshalb er wieder lächelte. So mochte ich ihn lieber. Glücklich. Ich wollte, dass er glücklich war. „Und, auf was für ein Typ Frau stehst du so? Vielleicht ist hier ja was bei.", ich sah mich in der Bar um.

Manuel zog wieder sein Handy zu sich, tippte drauf rum und reichte es mir. Als ich drauf sah, starrte ich in mein eigenes Gesicht. Er hatte die Innenkamera angemacht. Verwirrt sah ich auf. „Auf, auf, mich?" Mein Herz überschlug sich und ich könnte schwören, mein Gesicht war roter als eine reife Paprika.

Manuel nickte sachte. „Wie?", hauchte ich. Er nahm mir sein Handy aus der Hand und tippte. "Ich bin schwul." Wieder sah ich ihn an. Auch sein Gesicht war rot und er knetete seinen Daumen. Er war schwul. War meine Chance doch real? Meinte er damit, dass er mich gut aussehend fand? Ich konnte es nicht fassen, wie viel Glück musste man haben.

Ich hatte ihn womöglich ziemlich fassungslos angestarrt, denn gerade als ich mich aus meiner Starre löste, stand er auf. „Wohin willst du?", fragte ich und griff ihm schnell am Arm, um ihn zurück zu halten. In seine Augen standen tränen. „Was hast du?", fragte ich. Schnell stand ich auf, ging um den Tisch, noch immer die Hand an seinem Arm haltend. Er sah nur beschämt zu Boden. Ich hatte zu lange mit einer Reaktion gebraucht. Ich hatte ihn verletzt. Ohne zu überlegen, riss ich ihn also in eine Umarmung, um ihm zu zeigen, dass ich es überhaupt nicht schlimm fand. Das ich es aber als meine Chance sah, musste er nicht wissen.

Ich hielt ihn nah an mich. Zögerlich legte auch er seine Arme um meinen Körper. Ich atmete glücklich ein. „Manu, ich auch." Er drückte sich leicht von mir weg, hielt mich aber noch fest. Verwirrt sah er mir ins Gesicht. „Ja, ich war gerade nur so überrascht, naja also über den Zufall.", erklärte ich mich. Er nickte. „Ich treffe nicht oft andere Männer, die so sind wie ich und dann gerade du. Ich meine, du, du bist.", ich stoppte mich selbst, ehe ich ihn überrumpelte.

Und dann lächelte er wieder und legte erneut seinen Kopf neben meinen, um unsere Umarmung nochmal zu verinnerlichen.

Der Pianist / KürbistumorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt