2. Kapitel: bean-shìdh-loch

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Stunden später wacht Greg mit schmerzenden Schädel auf und reibt sich die Augen. Was war geschehen. Er erinnert sich noch daran, dass er Fionola verarztet und dann mit Craig Unmengen an Whiskey gesoffen hat.
Danach ist ein schwarzes Loch. Er betrachtet die kleinen Staubpartikel und pustet leicht dagegen, sodass sie umherwirbeln. Gestern ist irgendwas wichtiges passiert, aber er weiß nicht mehr was.  Stöhnend setzt er sich auf und reibt sein Bein. Seine Narben schmerzen unglaublich, aber er hat sich angewöhnt, sie einfach zu ignorieren.
Sein Blick fällt auf Fionola und seine Augen weiten sich. Sie liegt auf dem Bauch und ihr Hemd hängt aufgeschnitten aus dem Bett. Ihre Arme hat sie unter ihrem Kopf verschränkt und das Plaid war ihr bis auf die Hüfte gerutscht. Ihre Brüste liegen platt gedrückt unter ihr und ihr Haar fällt ihr wirr bis über die Schultern. Wenn sie schläft, sieht sie fast schon friedlich aus. Er betrachtet ihren muskulösen Körper und seine Männlichkeit regt sich das erste Mal seit langer Zeit bei einem weiblichen Körper. Er lässt solche Gefühle gar nicht erst zu, keine Frau würde ihn mit seinen Narben wollen. In ihren Augen war er entstellt, kein ganzer Mann, er kann ja nicht mal richtig Laufen. Die Hoffnung auf eine Frau hat er schon lange aufgegeben, bringt ja doch eh nichts. Deshalb hat er sich seinen Studien gewidmet und ist zu dem besten Heiler der Highlands geworden.

Sein Blick wandert ihren entzückenden Rücken entlang zu ihrem straffen Hintern. Ein Räuspern reißt ihn aus seinen Gedanken und er sieht, wie Fionola ihn angrinst: "Na, fertig gestarrt. Hast wohl lange keine Frau mehr gesehen." Er läuft rot an und steht dann umständlich auf. "Ehm ja, entschuldige. Ich hab nicht gestarrt, ich hab nachgedacht über..." Hilflos schaut er sich im Raum und sieht dann einen Topf: "... über deine Wunde. Wenn ich etwas davon rauf mache, sollte es sich nicht entzünden." Er schnappt sich den Topf und öffnet ihn. Ein Schwall von Fliegen entwischt und er wirft ihn angewidert von sich. "Ich werde neue Sachen herstellen müssen. Aber wie geht es dir, was macht der Rücken." Fionola muss über seine Unbeholfenheit schmunzeln. "Mein Rücken schmerzt und brennt wie Feuer." Sie versucht, sich ein wenig umzudrehen und will ihre Beine anheben. Ihr entfährt ein Aufschrei und sie fängt an zu weinen: "Ich dachte, es war ein Albtraum, aber es geht immer noch nicht. Meine Beine, ich kann sie nicht bewegen." Greg erbleicht und schlägt sich innerlich gegen die Stirn. Das war es gewesen, was er vergessen hatte. Sofort humpelt er zu ihr und kniet sich neben ihr Bett: "Bleib ganz ruhig. Ich hab von so Fällen gelesen. Bleib hier, ich muss mich weiterbilden!" Er humpelt aus dem Raum und bemerkt dann erst den Unsinn, den er redet. Er dreht sich nochmal um: "Es tut mir leid, also ich meine, du weißt schon... Ach verdammt, ich schick dir jemand, der dir hilft dich zu waschen!"

Greg eilt aus dem Raum und zum Innenhof. Sloan kommt auf ihn zu und hält ihn auf: "Was ist mit Fionola? Wo ist sie, wie geht es ihr?" Greg schaut ihn ernst an und legt ihm eine Hand auf die Schulter. "Sie kann ihre Beine nicht bewegen. Ich weiß nicht, wie ich ihr  helfen kann. Ich muss meine Bücher holen, vielleicht kann ich ihr dann helfen! Ah und such eine der Frauen, vielleicht diese Alte da. Ich weiß ihren Namen nicht. Sie soll Fionola waschen"
Sloan bleibt wie erstarrt stehen und betrachtet den Heiler, der zu den Ställen eilt. Seine Schwester- gelähmt? Sein Gesicht wird bleich und er rennt in Richtung Wohnturm.

Vor Fionolas Tür bleibt er stehen und klopft an. Als erstes fällt ihm die dicke Staubschicht auf, die alles überzogen hat. Hier muss dringend mal geputzt werden!
Sein Blick fällt auf seine schlafende Schwester und die große Wunde auf ihrem Rücken. Sie ist mit einem Plaid zugedeckt und ihr Haar fällt ihr wirr über den Schultern. Er läuft zu ihr und streicht ihr über das Haar: "Wach auf, Kleines." Fionola blinzelt gegen das Licht und zuckt erschrocken zusammen. Ihr Rücken spannt an der Wunde und sie schreit leise auf. "Mein Rücken, er tut so weh!" Eine Träne läuft über ihre Wange und Sloan starrt sie erschrocken an. Er hat seine Schwester seit Jahren nicht mehr weinen sehen. Sie streckt ihre Hand nach ihm aus und er ergreift sie. "Sloan, ich hab Angst. Riesenangst. Was ist mit meinen Beinen. Wieso kann ich sie nicht bewegen, was stimmt nicht mit mir?" Er schaut sie nur bestürzt an und malt mit dem Daumen Kreise auf ihre Hand: "Ich weiß es nicht... Du musst auf Greg vertrauen. Er ist der beste Heiler in ganz Schottland. Wenn dir jemand helfen kann, dann er."

Greg eilt zu den Ställen und sattelt sein Pferd. Er muss zu seinem Versteck, dort, wo er vor vier Jahren seine Bücher versteckt hat.  Er konnte sie nicht mitnehmen, deshalb musste er sie in Sicherheit bringen.

Er steigt auf und reitet aus dem Hof, erst ein Stück den Weg entlang. Als er im Wald ankommt, verlässt er den Weg und reitet in den Wald hinein. Er könnte diesen Weg blind gehen, er kennt jeden Stein und jeden Baum. Er reitet immer tiefer in den Wald. Die Bäume verdichten sich und das Licht wird immer dunkler. Tannen ragen auf und ersticken das Licht. Es ist immer seltsam still in diesem Teil des Waldes. So, als ob die Tiere den Wald hier meiden. Er reitet rasch weiter, bis er zu einer verlassenen Hütte kommt. Sie steht dort, halb verfallen, aber wie ein Wächter. Greg steigt ab und bindet sein Pferd fest.
Ein Summen liegt in der Luft und er spürt die magische Kraft. Hinter der Hütte liegt das bean-shìdh-loch. Die Feen sollen dort gelebt und das Wasser mit ihrer Magie berührt haben. Es soll heilende Kräfte haben und, wenn man zusammen aus dem See trinkt, Menschen verliebt machen. Wenn man bei Neumond ein Opfer und die Haare des Geliebten hier ablegt, bindet man ihn ewig an sich.

Er glaubt natürlich nicht daran, aber der Ort ist schön. Das Licht bricht durch die Tannen, die um das Loch rumstehen und taucht alles in ein dunkelgrünes Licht. Steine umrahmen es und das Wasser glitzert blau und grün.
Er kniet sich an das Wasser, formt seine Hand zu einer Mulde und trinkt daraus. Das Wasser ist eisig und schmerzt an seinen Zähnen. Er erhebt sich und merkt, dass seine Kopfschmerzen besser werden. Er schüttelt lächelnd den Kopf über sich selbst und humpelt zu der Hütte. Er öffnet die Tür und schaut sich um. Er hat diese Hütte als Bursche gefunden. Vor zehn Jahren war sie noch besser intakt gewesen, aber niemand kümmert sich um sie.
Zielstrebig steuert er eine Diele an und hebelt sie mit seinem Sgian dubh auf. Unter ihr liegt ein großer Lederbeutel. Er nimmt ihn, öffnet ihn und holft die in Leder eingeschlagenen Bücher aus der Tasche. Sie waren unversehrt und schnell packt er sie wieder ein. Er eilt aus der Hüte, steigt auf sein Pferd und reitet zurück Richtung Borve Castle.

Highlands: Schrei nach LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt