Kapitel 5

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Leon P.o.V.

Müde wische ich mir durchs Gesicht. Ich bin auf dem Weg zum Training. Es ist viel zu früh. "Ey, nicht einschlafen!" Sam stupst mich von der Seite an und deutet auf die Straße. Die Ampel ist mittlerweile auf grün gesprungen. "Sorry." murmele ich und fahre los. "Bist du noch so müde?" fragt Sam und lacht.

"Ja, bin ich und du darfst dich eigentlich nicht beschweren. Du bist ja der Grund, weshalb ich nicht geschlafen habe." antworte ich und zwinkere ihr zu. Sam erwidert das Grinsen wissend. "Pass einfach auf, dass du keinen Unfall baust." sagt sie dann und lehnt sich lächelnd in den Sitz.

Als wir das Trainingsgelände erreichen, verabschiede ich mich von Sam. Sie geht mit Kate so lange wir trainieren, einen Kaffee trinken, anscheinend haben die beiden sich viel zu erzählen. Ich betrete das Trainingsgelände. Ich bin mal wieder zu früh dran und keiner meiner Teamkollegen ist schon anwesend. Ich gehe raus auf den Trainingsplatz und sehe dort eine kleine Gruppe Jugendspieler eng beieinanderstehen.

Sie sehen auf etwas hinab und scheinen zu tuscheln. Neugierig gehe ich zu ihnen. Vielleicht gibt es ja etwas umsonst. Als die Jungen mich bemerken, fangen sie noch mehr an zu tuscheln und machen mir dann pflichtbewusst Platz, sodass ich gleich zu dem in ihrer Mitte durchgehen kann.

Der Anblick erschreckt mich so sehr, dass ich fast wieder umgekehrt wäre. Vor mir liegt Alessandro mit einer fetten Platzwunde am Kopf und mit einer Schnapsflasche in der Hand. Man kann nicht sagen, ob er schläft oder nicht. Seine Augenlider flackern. "Scheiße." murmele ich und sehe in die Runde. Die neugierigen Jungen mustern mich unsicher.

"Ihr sagt nichts." weise ich sie an und die Jungen nicken hastig. Ich knie mich neben Alessandro und versuche ihn wach zu machen, indem ich ihn leicht an der Schulter schüttele, aber er gibt nur ein Grummeln von sich. "Ales, komm schon, steh auf!" sage ich. "Wenn dich jemand hier so sieht, kriegst du mächtig Ärger."

Von Alessandro kommt nur ein unverständliches Genuschel, dann dreht er sich auf die andere Seite und will weiterschlafen. Verzweifelt sehe ich mich um. Wenn Domenico ihn so sieht, gibts ein riesiges Donnerwetter. "Klasse." sage ich leise und nicke einem der Jugendspieler zu. "Hilf' mir mal!" bitte ich ihn und er kommt sofort zu mir und hilft mir Alessandro auf die Beine zu bekommen. Wir müssen ihn beide stützen, damit er nicht wieder umfällt.

Langsam bringen wir ihn vom Platz. Ich sehe mich immer wieder um, sodass wir möglichst unbemerkt in eine der Kabinen kommen. Wir sind fast angekommen, da höre ich hinter uns ein Räuspern. Ich stoppe und bete inständig, dass unser Trainer nicht hinter uns steht. Langsam drehe ich mich um und sehe dort Domenico mit verschränkten Armen stehen. Mist.

"Ähm..." beginne ich, aber ich weiß nicht recht, was ich sagen wollte. Domenico betrachtet uns einfach nur und diese Stille ist unerträglich.

Ales hat mittlerweile auch realisiert, dass der Coach vor uns steht, aber ich vermute es ist besser, wenn er nichts sagt. Der Jugendspieler, der Alessandro immer noch stützt, wird langsam unruhig. Klar, er darf sich keine Fehler erlauben, wenn er irgendwann den Sprung ins A-Team schaffen möchte, denn hier Auf Schalke wird viel Wert auf korrektes Verhalten gelegt.

Ich stupse ihn an und nicke ihm zu. "Du kannst gehen. Du hast damit ja nichts zu tun. Danke!" bedanke ich mich und er sieht mich dankbar an. Mit gesenktem Kopf verschwindet er hinter der nächsten Ecke. Der Trainer sieht ihm kurz hinterher und wendet sich dann wieder zu uns. Alessandro hat ernste Schwierigkeiten sich auf den Beinen zu halten und taumelt hin und her. Das macht die Situation nicht besser. Im Gegenteil.

"Alessandro, was hast du gemacht?" fragt Domenico ruhig. Ales sieht ihn an. "Gar nichts. I-Ich bin heu-heute schon früher beim Trainer- ähm Training." lallt er und ich verdrehe die Augen. Wie viel Restalkohol hat er denn noch im Blut? "Bist du betrunken?" fragt Domenico weiter. "Neeein." antwortet Ales, aber es ist offensichtlich, dass er noch ordentlich einen sitzen hat. "Und was ist mit deiner Platzwunde?!" man merkt, dass Domenico immer wütender wird.

Anstatt einer Antwort, verdreht Alessandro die Augen. Ich glaube, das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. "Denkst du wirklich, du kannst dir rausnehmen, was du willst?! Alessandro, das geht so nicht, du kannst hier so nicht aufkreuzen. Du bist komplett besoffen und stinkst. Die jungen Spieler sehen euch als ihre Vorbilder, du bist kein Vorbild. Du bist eher das abschreckende Gegenteil davon." eingeschüchtert sehe ich unseren Trainer, der Alessandro gerade fast in Grund und Boden geschrien hat an. Auch wenn nicht ich die Standpauke bekomme, sondern Alessandro, bekomme ich das Gefühl ich habe etwas falsch gemacht.

Das Temperament unseres Trainers ist tatsächlich nicht immer zu unserem Vorteil und das bekommen wir gerade zu spüren. Während ich mich schuldig fühle, weil ich mit Alessandro erwischt wurde, scheint dieser davon gar nichts mitzubekommen.

Auch Domenico scheint irgendeine Reaktion zu erwarten, denn er sieht Alessandro erwartungsvoll an. Als gar keine Antwort kommt, sehe ich zu Alessandro. Dieser ist ganz blass und starrt nur mit aufgerissenen Augen geradeaus. Fragend stupse ich ihn an.

Aber Alessandro dreht sich blitzartig zur Seite und übergibt sich auf den Pflasterstein, auf dem wir stehen. Schnell stütze ich ihn wieder und versuche so gut es geht, nicht hinzusehen. Alles geht ganz schnell und Domenico und ich bringen ihn in die Kabine. Während Domenico ihn weiterhin stützt, hole ich einen Eimer, den ich Alessandro in die Hand drücke.

Nachdem Alessandro sich einigermaßen gefangen hat, soll ich ihn nach Hause bringen. Ich nicke schnell und verfrachte Ales in meinen Wagen. Domenico steht neben dem Auto, er ist immer noch aufgebracht und er macht auch keine Anstalten, das zu verstecken. "Alessandro, ich hatte gehofft, dass du dich fängst, aber du lässt mir keine Wahl. Du bist suspendiert. Erstmal auf unbestimmte Zeit, aber ich möchte, dass du dich jede Woche mindestens zwei Mal bei mir meldest. Und dann sehen wir weiter, aber bitte: Bekomm' dein Leben in den Griff!" sagt er und schlägt die Tür zu.

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Als ich Alessandro zu seiner Schwester gebracht habe und nach Hause gefahren bin, habe ich direkt Max, Calli, Breel, Amine und Thilo zu mir eingeladen. Wir müssen Alessandro helfen, damit Domenico ihn nicht komplett aus der Mannschaft wirft.

"Jungs, wir müssen etwas machen. Das kann so nicht weiter gehen. Alessandro ist unser Freund, wir müssen ihm helfen." sage ich in die Runde. "Ja, aber was können wir denn machen? Ales will sich ja nicht helfen lassen." sagt Max. "Genau, wir können ihn doch nicht einfach in eine Klinik stecken." fügt Calli nachdenklich hinzu. "Vor allem würde das ein großes Aufsehen bei der Presse verursachen." überlegt Thilo.

"Wir könnten ihn zu einem Psychologen schicken." schlägt Amine vor. "Ich glaube nicht, dass Alessandro sich auf so etwas einlässt." ich schüttele den Kopf. "Hmm." So recht fällt keinem etwas ein. "Am besten wäre eine Art Person, die Alessandro begleitet und ihn vom Trinken abhält. Und diese Person sollte am besten nichts verraten, sonst bekommt die Presse etwas mit." sagt Max.

"Wo bekommen wir so eine Person her? Kann man dafür jemanden einstellen?" fragt Breel. Da kommt mir ein Gedanke. "Wie wäre es, wenn wir ihm einen Life-Coach besorgen? Meine Schwester macht sowas in der Art, nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hat. Sie hilft uns bestimmt, ihn wieder auf die Beine zu bekommen." schlage ich vor. "Sie kommt in ein paar Tagen aus Massachusetts wieder. Ich werde ihr das vorschlagen."

Meine kleine Schwester Olivia hat die letzten zweieinhalb Jahre an der Harvard Medical School studiert. Seit ein paar Wochen ist sie anerkannte Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt auf Sportmedizin und Life-Coaching. Sie ist praktisch perfekt für den Job. Übermorgen kommt Liv endlich aus den USA wieder und möchte dann für den S04 arbeiten. Es scheint, als hätte sie ihren ersten Job bereits sicher, allerdings wird Alessandro ein hartes Stück Arbeit.

Die Runde nickt zustimmend. Einen Versuch ist es wert. "Sehr gut, dann rufe ich Liv gleich mal an und berichte ihr von unserem Vorhaben." sage ich. "Ich glaube, dass das Alessandro wirklich helfen kann und er sich freut."

Hätte ich gewusst, dass ich diese Worte noch bereuen werde, dann hätte ich Olivia wahrscheinlich niemals angerufen und um ihre Hilfe gebeten.

forbidden - AS28 | jmjmmnyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt