Kapitel 4

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Das lange Wachbleiben und Lauschen rächt sich am nächsten Morgen: Ich bin total übermüdet und da ich ziemlich lange wach gewesen bin und mir über das Gespräch Gedanken gemacht habe, habe ich jetzt dementsprechend starke Kopfschmerzen. Ein Blick auf meine Eltern sagt mir, dass es ihnen genauso geht. Wahrscheinlich hat die Diskussion wohl doch länger gedauert, als ich gedacht hatte. Die einzige, die einigermaßen wach und fröhlich ist, ist Mary. Kichernd löffelt sie ihren Haferbrei und verursacht dabei eine riesen große Sauerei, weil nicht alle Löffel am Mund ankommen. Entnervt wische ich ihr schon zum 3. Mal den Haferbrei aus dem halben Gesicht. Sie grinst mich nur an und macht dann genauso weiter wie davor. Und ich versinke wieder in meine Müdigkeit. Gerade als ich kurz davor bin während des Frühstücks ein Nickerchen zu machen, reißt das laute durchdringende Geräusch unserer Türklingel aus meinem Halbschlaf. Plötzlich fühle ich mich hellwach. Wer kann das bloß sein? "Das System hat Area von 22 Uhr bis 8 Uhr mit einer Ausgangssperre belegt und jetzt ist es erst halb acht. Das bedeutet, dass das an der Tür nur Carams sein können," grübele ich und bemerke, wie langsam Panik in mir aufsteigt. Auch Mum scheint panisch zu werden, es ist schließlich nicht gewöhnlich, dass die Carams vor dem Ende der Ausgangssperre im Tram Viertel auftauchen. Plötzlich packt sie mich am Arm und sagt zu mir:" Clarice, beeil dich. Nimm Mary mit und geht in dein Zimmer. Wir kümmern uns um alles, habt keine Angst." Diese Worte werde ich für immer in Erinnerung halten, denn sie waren die letzten, die meine Mum zu mir sagte. Ich befolge ihre Anordnung, nehme Mary an der Hand und gehe mit zügigen Schritten in mein Zimmer. Vorsichtshalber verriegele ich auch noch die Tür von innen. Dann setze ich Mary auf mein Bett. Doch ich verspüre den Drang mich zu bewegen und laufe deshalb unruhig durch mein Zimmer. Kurz bleibe ich stehen, um das Mädchen, das mir aus meinem kleinen Spiegel entgegenschaut, zu betrachten. Es hat langes, braunes, welliges und große blaue Augen, die von dichten, schwarzen Winpern umrahmt sind. Viele Menschen sagen mir, dass ich hübsch bin, doch ich gebe ihnen nicht unbedingt Recht. Mary ist mit ihren braunen Locken und den grauen Augen jetzt schon deutlich hübscher als ich.

Durch den Klang von schweren Schritten werde ich aus meinen Gedanken aifgeschreckt. Die Schritte nähern sich der Zimmertür und verstummen direkt davor. Dann ertönt eine dunkle Stimme. "Was ist das für ein Raum?". "Ach das, da lagern wir nur Vorräte",antwortet meine Mutter. Dem Caram vor der Tür mag es vielleicht nicht auffallen, doch ich bemerke das leichte Zittern, dass in Mums Stimme mitschwingt. Auch mir wird langsam ziemlich bange. "Warum ist der Raum dann abgeschlossen?", fragt der Caram und rüttelt dabei an der Türklinke. Mum schweigt. Daraufhin wird der Caram wütend und sagt mit drohendem Unterton:" Öffnen sie sofort diese Tür oder ich mache sie zu einer Law." Mum schweigt beharrlich weiter. "Also gut", sezt der Caram an, doch ich komme ihm zuvor, indem ich die Tür aufschließe und öffne. Mein Schutz ist es nicht wert, dass meine Mum ausgestoßen wird. Der Caram trägt, so wie alle Carams, einen weißen Kampfanzug. Doch anders als die anderen sieht er einfach umwerfend darin aus. Er ist groß und schlank und hat kurze, schwarze Locken und wundeerschöne dunkelbraune Augen. Er sieht mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an und gibt ein gedehntes "Aha" von sich. Dann schiebt er mich zur Seite und betritt den Raum. Er zeigt auf Mary und fragt Mum, ob das Mary Ryan sei. Mum bejaht das mit einem Nicken. Dann sieht er mich an und sein Blick verfinstert sich. "Und wer ist dann das?"Gerade als Mum eine Erklärung abgeben will, sage ich mit fester Stimme:" Ich bin Clarice Ryan, die Tochter von Charles und Cynthia Ryan." "So?", sagt der Caram und packt mich am Kinn. "Nur seltsam, dass die Ryans nur eine Tochter haben, nämlich Mary Ryan." Ich versuche mich gegen seinen Schraubstockgriff zu wehren, doch meine Mum wirft mir einen warnenden Blick zu. Noch so eine Regel des Systems: Wer einen Caram mutwillig verletzt, wird zum Ausgestoßenen. Der Caram blickt mich nochmal durchdringend an und lässt mich dann endlich los. "Um dich kümmere ich mich später", sagt er anfällig. "Jetzt bin ich erstmal wegen Mary hier." Mit diesen Worten dreht er sich zu meiner Mum. "Ihre Tochter hat gestern in der Kindererziehungsaufsicht ein Mädchen geschlagen und sie beschimpft. Wir halten sie deshalb für unfähig, sich weiter um Mary zu kümmern und entziehen ihnen deshalb mit sofortiger Wirkung das Sorgerecht. Mary wird in eine andere Tram Familie gebracht." Mum starrt ihn entsetzt an und ich fühle mich wie versteinert. Als er keine Reaktion wahrnimmt ruft er zwei Carams, die vor dem Raum gewartet haben herein und diese packen Mary an den Armen und ziehen sie aus meinem Zimmer. Plötzlich erwache ich aus meiner Erstarrung und spüre, wie Wut in mir aufsteigt. Als dann auch noch Mary anfängt zu schreien und zu weinen, reicht es mir endgültig. Ich trete zu dem Caram, der sich jetzt um mich kümmern will und hole aus. Meine Faust trifft ihn direkt unterhal der Gürtellinie. Der Hieb war so stark, dass er zusammensackt und nach Luft schnappt. Ich spüre ein Gefühl der Befriedigung, doch dann wird mir klar, was ich getan habe. Ich habe mich gerade selbst zur Law gemacht. Als der Caram sich wieder gefasst hat, tritt er zu mir und sagt die Worte, vor denen ich mich immer so sehr gefürchtet habe :" Clarice Ryan. Ich erkläre dich hiermit zu einer Ausgestoßenen des Systems. Falls du jemals Area wieder betrittst, wirst du umgehend getötet werden." Dann beugt er sich weiter zu mir und flüstert:" Du hast 2 Minuten um zu fliehen. Nutze die Zeit." Kaum hat er ausgesprochen wirbele ich herum und renne aus dem Zimmer. Bevor ich durch die Tür renne, sehe ich noch wie Mum zusammensackt und zu Weinen beginnt. Einen Moment überlege ich hier zu bleiben, doch das würde nur meinen sicheren Tod bedeuten. Also drehe ich mich weg, renne durch den dunklen Gang an den anderen Carams und Mary vorbei und verlasse das Haus. Als ich draußen den ersten Schritt mache, fühlt es sich an als würde ich mein gesamtes Leben hinter mir lassen. Ich war jetzt eine Law. Plötzlich wird mir klar, dass die 2 Minuten schon so gut wie um sein müssen. Ich drehe mich hektisch um mich selbst und versuche, einen klaren Gedanken zu fassen: "Okay, denk nach! Wohin könnte ich jetzt fliehen? Ich muss Area auf jeden Fall verlassen, aber wo soll ich hingehen?". So grübele ich noch einige Sekunden, doch dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Die einzige Lösung ist die Flucht in den Wald, der den nördlichen Teil von Area und somit auch die Siedlung der Tram umgibt. Ich war bis jetzt nur einmal dort, doch ich hoffe, dass ich den Weg dorthin finden werde. Gerade als ich in eine kleine Gasse einbiege höre ich eine Stimme sagen:" Halt. Da drüben ist sie!" Panisch renne ich die Gasse entlang, als auch schon die ersten Schüsse zu hören sind. Glücklicherweise verfehlen sie mich und treffen nur die graue Hauswand neben mir. Schnell laufe ich in die nächste Gasse und die nächste Ladung Kugeln fliegt mir um die Ohren. Ich kann mich gerade noch rechtzeitig ducken, sonst wäre mein Kopf durchlöchert worden. Mittlerweile werden die Schritte der Carams hinter mir immer lauter und langsam mache ich mir keine Hoffnung mehr darauf, den Wald lebend zu erreichen. Ich versuche noch schneller zu laufen, doch ich bin schon am Limit angekommen. Plötzlich packt mich eine Hand an der Schulter und hält mich grob fest. Ich versuche mich zu wehren, aber gegen einen Caram habe ich einfach keine Chance. Der Caram beugt sich weiter zu mir und flüstert:" Du hast Glück Clarice, oder wie du auch immer heißt. Sei froh, dass sie mich zu euch geschickt haben und keinen anderen. Und jetzt lauf!" Er lässt mich abprubt los und ich schaue ihn verwundert an. "Geh schon", zischt er mir eindringlich zu und schubst mich leicht nach vorne. Ich bin zwar immer noch reichlich verwundert, doch ich renne so schnell wie möglich in Richtung Wald, bevor der seltsame Caram es sich anders überlegt.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt hinter den grauen Tram Häusern der Waldrand in Sicht. Ich gebe nochmal alles und sprinte unter die schützenden Bäume. Als ich ein letztes Mal in Richtung Area blicke fühle ich seltsamerweise keine Trauer. Ich spüre zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl von Freiheit. Und dann drehe ich mich um und lasse alles hinter mir: Mein altes Leben, meine Familie und sogar mein altes Ich.

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A/N:

So, mit diesem Kapitel beginnt endlich der spannende Teil meines Buches. :) Ich hoffe ihr freut euch genauso drauf wie ich und seid gespannt, welche Abenteuer Clarice noch erleben wird.

Ach ja, ich würde mich übrigens sehr über einen Vote oder einen Kommentar freuen ;)

LG eure Flying_Fantasy

Rule BreakersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt