Kapitel 6

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Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit erneut aufwache, bin ich allein. Das gibt mir ein bisschen Zeit, die Information über meinen Aufenthaltsort, die mir die unbekannte Frau gegeben hat, zu verarbeiten.

Es gibt also wirklich so etwas wie ein Ausgestoßenen Lager? Das scheint mir fast unmöglich zu sein. In der Schule haben wir gelernt, dass die meisten Laws Einzelgänger sind und die Anderen meiden. Aber das ergibt keinen Sinn, warum bin ich hier dann in ihrem Lager?

Dann kommt mir der Gedanke, dass das System uns belogen haben könnte. Schließlich gibt es keine Garantie dafür, dass sie uns immer die Wahrheit sagen. Aber diese Annahme stellt mich vor eine weitere Frage: Warum sollte das System uns belügen? Vielleicht will es uns weismachen, dass wir uns nicht vor den Laws fürchten müssen und dass sie keine Bedrohung sind. Aber auch dass ruft wieder einige Fragen auf. Als ich durch das ganze Nachdenken starke Kopfschmerzen bekomme, beschließe ich, erst mal alle Theorien zu verwerfen und einfach die Frau, die mich besucht hat, um Antworten zu bitten.

Gerade als ich es mir wieder in meinem Bett gemütlich mache, betritt die Frau, an die ich gerade gedacht habe, den Raum. Sie lässt sich an meinem Bett nieder und fragt, ob es mir schon wieder besser geht. Ich bejahe. Sie nickt. "Gut. Mike wird sich freuen." "Wer ist Mike?", frage ich besorgt. "Oh, entschuldigung, ich wollte dir keine Angst machen", antwortet sie sanft. "Mike ist der Anführer aller Laws, die sich uns angeschlossen haben." Dann redet sie im Flüsterton weiter: "Unter uns, manchmal ist er ein wenig unheimlich, aber zeige deine Angst vor ihm nicht. Er hasst Leute, die Angst haben." Das hätte sie vielleicht nicht sagen sollen, denn jetzt habe ich noch mehr Angst wie vorher. Schnell wechsele ich das Thema. "Wie heißt du eigentlich?" "Valentina", antwortet sie ruhig. "Wenn du etwas brauchst, frag einfach nach mir." Sie lächelt mich an. Dann deutet sie auf einen Stuhl, der in der Ecke des Zimmers steht und auf dem ein bunter Haufen aus Kleidung liegt. "Die sind für dich. Zieh dich schnell um, ich warte draußen auf dich." Ich schaue sie verständnislos an. Doch sie beachtet meinen Blick nicht und verlässt den Raum. Warum soll ich mich anziehen? Wo gehe ich hin?

Um eine Antwort darauf zu bekommen muss ich tun was sie sagt, das ist mir klar. Also hiefe ich mich schwerfällig aus dem Bett und laufe die paar Schritte bis zum Stuhl. Glücklicherweise ist mir nur leicht schwindelig, ich hatte mit schlimmerem gerechnet. Ich lasse mich auf den Stuhl fallen und ziehe, dass hellgraue Nachthemd, dass ich trage aus und tausche es gegen eine schwarze, enganliegende Hose und eine rote Bluse ein. Ich überlege, ob ich auch die blaue Jacke, die auf dem Stuhl liegt anziehen soll, aber entscheide mich dagegen. Ich entdecke einen Spiegel mit einem Tisch, auf dem eine kleine Haarbürste liegt und gehe darauf zu. Vorsichtig kämme ich meine total verknoteten Haare, bis sie mir lang und glänzend über den Rücken fallen. Schlussendlich ziehe ich mir danach die schwarzen Stiefel, die vor der Tür stehen an. Ein letzter Blick in den Spiegel sagt mir, dass ich ganz passabel aussehe und dann verlasse ich den Raum.

Valentina führt mich durch das Lager, das mir eher vorkommt wie ein Dorf. Ich sehe Frauen in bunten Gewändern, die sich lautstark unterhalten und Kinder, die lachend über den Platz rennen, an dem wir gerade angekommen sind. Hier befindet sich auch ein großes, wuchtiges, graues Gebäude, auf dass wir zugehen. Wahrscheinlich soll ich hier diesen Mike treffen.

Das Innere des Gebäudes ist genauso schäbig wie das Äußere: In jedem Raum bröckelt der Putz von den Wänden und eine nackte Glühbirne baumelt von der Decke. "Und in so  einem Haus lebt der Anführer", ist alles was ich dazu denken kann.

Nachdem wir durch unzählige Gänge marschiert sind  erreichen wir endlich unser Ziel: Ein schäbiger grauer Raum mit abgenutzten Sofas und einem blinden Fenster. Valentina bedeutet mir, mich zu setzen und ich lasse mich auf eines der Sofas fallen. Dann verschwindet sie. Und ich sitze auf dem alten, staubigen Sofa und warte. Ich warte und warte, bis es mir vorkommt, als würde ich schon eine Ewigkeit hier sitzen. Endlich öffnet sich die Tür und ein schlanker, hochgewachsener Mann mit leicht fettigem Haar und einer Augenklappe, die sich über seinem rechten Auge befindet, betritt den Raum. Ich erhebe mich und schüttele ihm die Hand. Er stellt sich mir als Mike vor und ich nenne ihm meinen Namen, wobei er leicht den Mund verzieht. Ich sehe ihn verständnislos an. Daraufhin erklärt er mir, dass er durch einen Informanten im System erfahren hat, dass sich dieser Name nicht im Namensverzeichnis des Systems befindet. Jetzt bin ich diejenige, die den Mund verzieht. "Aber ich schwöre, dass das mein Name ist. Vielleicht hat das System nur einen Fehler gemacht", sage ich mürrisch. "Wohl kaum ", sagt er verärgert und lässt sich neben mir auf das Sofa fallen. "Aber nun zu etwas anderem", setzt er an. "Ich habe gehört, dass es dir bereits besser geht." Ich nicke. "Gut", sagt er zufrieden. "Dann wirst du bereits morgen an den Tests teilnehmen." "Welche Tests?", unterbreche ich ihn. Er sieht mich leicht säuerlich an. "Du wirst in den verschiedenen Bereichen im Lager eingesetzt und wir finden heraus, was du am besten kannst. Dementsprechend wirst du dann ausgebildet." "Und welche Bereiche sind das", frage ich. "Entweder wirst du zum Soldat, Spion, Forscher, Heiler oder zum Landwirt ausgebildet." Ich nicke. Mit meiner  fast abgeschlossenen Schulausbildung als Assistenzärztin werde ich garantiert Heiler sein. "Das war alles", sagt Mike barsch und bedeutet mir zu gehen. "Aber ich habe noch ein paar Fragen", werfe ich ein. "Zum Lager und vor allem zu meinem Namen!" "Das war alles", wiederholt er verärgert. "Valentina wird dir dein Quartier zeigen und dann geduldest du dich einfach bis morgen." Mit diesen Worten schiebt er mich zur Tür hinaus und ich verlasse enttäuscht mit Valentina das Gebäude. Sie führt mich durch verwinkelte Gassen, wobei mir auffällt, dass alle Häuser so schäbig sind, wie das von Mike.

Dann bleiben wir vor einem kleinen grauen Haus stehen. "Hier ist das Quartier, für alle, die an den Tests teilnehmen. Im Moment hast du das Haus für dich allein." Dann geht sie. Doch kurz bevor sie ganz verschwindet dreht sie sich noch einmal um und ruft mir zu:" Keine Sorge, wir werden deinen Namen schon noch herausfinden." Dann winkt sie mir ein letzes mal zu und verschwindet endgültig.

Ich seufze. Wenn alle hier so unfreundlich sind wie Mike, wird das mit dem Namen noch eine Weile dauern.

Schließlich betrete ich das Quartier. Es besteht aus nur zwei Zimmern: Das erste ist ein kleines Badezimmer mit einer Toilette, einem Waschbecken und einer alten Badewanne. Im anderen befinden sich zahlreiche Stockbetten, die aussehen, als wären sie schon etwas älter. Ich lasse mich auf eines der unteren Betten fallen und bemerke, dass jemand für mich Wechselkleidung bereitgelegt hat.

Dann versinke ich ins Grübeln. Wenn Clarice Ryan nicht mein richtiger Name ist, ist dann meine alte Familie nicht mal meine Familie? War mein gesamtes Leben nur eine Lüge?

Ich seufze. Seit den letzten 3 Tagen ist alles so schrecklich kompliziert geworden. Die ganze Zeit lang schweben schon hundert tausend Fragen in meinem Kopf herum.

Ich schwinge meine Beine aufs Bett und gleite langsam ins Land der Träume. Doch kurz bevor ich einfschlafe fällt mir etwas ein: Am Tag meiner Abschlussprüfung ist doch dieser seltsame Name auf dem Bildschirm des Hologramms erschienen: Josephine Hall.

Vielleicht ist es ein Hinweis auf meine wahre Identität. Ich muss unbedingt diese Josephine Hall finden!

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So meine Lieben, ich bedanke mich hier ersmal für fast 600 Reads :D Ich weiß, es ist nicht wirklich viel, aber ich freue mich trotzdem riesig :). Also macht bitte weiter so; dann wird meine Geschichte vielleicht irgendwann die 1000 erreichen.

Das war eigentlich schon alles.

Ich wünsche euch noch weiterhin viel Spaß beim Lesen und bitte bleibt dabei :)

Eure Flying_Fantasy

Rule BreakersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt