Kapitel 3

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Mum blickt irritiert von ihrer Arbeit auf, als ich die Küche betrete. "Was ist los, mein Schatz? Du bist heute ja richtig früh fertig". Besorgt runzelt sie die Stirn. "Mach dir keine Sorgen Mum," sage ich beruhigend. "Eigentlich sollte ja heute die Abschlussprüfung stattfinden, aber der Strom ist ausgefallen. Das ist alles." Mums Stirnrunzeln vertieft sich noch mehr. "Das ist seltsam, sehr seltsam", murmelt sie vor sich hin. "Mum, was meinst du damit?", frage ich neugierig. "Nichts es ist nichts, mein Engel. Komm setz dich, du kannst mir beim kochen helfen." Das finde ich jetzt meinerseits sehr seltsam, doch ich lasse mir nichts anmerken und lasse mich gehorsam auf den Stuhl fallen. Mum bringt eine große Schüssel mit Salat aus der Vorratskammer und stellt sie auf den Tisch. Ich nehme das Salatöl, das vor mir steht und beginne eine Salatsoße zuzubereiten. Mum schneidet währenddessen das Hühnchen in Scheiben und stellt es auf die Herdplatten unseres alten Gasherds. Dann setzt sie mich neben mich. "Also, was genau ist heute morgen in der Schule passietr?", bohrt sie weiter nach. Ich seufze. Kann sie es einfach nicht dabei belassen. Dann sage ich: "Mum es war wirklich nicht schlimm. Ich werde die Abschlussprüfung eben einfach morgen nachschreiben." An ihrem Gesichts ausdruck kann ich erkennen, dass sie mit dieser Antwort ganz und gar nicht zufrieden ist, doch sie bemerkt, dass weiteres Nachfragen nichts bringen wird. Also belässt sie es dabei und wir machen schweigend die Salatsoße fertig. Plötzlich höre ich das Geräusch der aufgehenden Haustür und drehe mich schnell um, um meine Schwester, die in meine Arme springt, aufzufangen. Lachend krallt sie sich an mir fest, als ich amfange sie zu kitzeln. Auch ich muss lachen, dann drücke ich sie fest an mich und ziehe sie auf meinen Schoß. Neugierig lugt sie über den Rand der Salatschüssel und tunkt ihre Finger in den fast fertigen Salat. Ich stupse sie ihn und werfe ihr einen tadelnden Blick zu, worauf sie schuldbewusst ihr Gesicht verzieht. Bei diesem Gesichtsausdruck muss ich einfach lachen.  Ich kann ihr nie wirklich lange böse sein und das weiß sie viel zu gut. Als ich erneut das Geräusch der sich öffnenden Haustüre höre, weiß ich, dass Dad zu Hause ist. Dad arbeitet in einem kleinen Hospital als Assistenzarzt. Und da meine Mum als Krankenschwester arbeitet, muss ich ebenfalls in einem Hospital arbeiten. Noch so eine Regel des Systems: Die Kinder müssen einen Beruf im selben Bereich wie ihre Eltern ergreifen. Ich hatte die Wahl zwischen Krankenschwester und Assistenzärztin und habe mich dann auch für letzteres entschieden. Es macht mir nicht wirklich viel Spaß, aber das ist ja auch nicht der Zweck dieser Regel. Dads Stimme reißt mich plötzlich aus meinen Gedanken. Auch er fragt mich, warum ich schon so früh zu Hause bin und ich gebe ihm dieselbe Antwort wie Mum. Auch er wirft mir einige besorgte Blicke zu, doch ich ignoriere sie einfach. Wenn ich von dem Zettel und dem Blut auf dem Bildschirm erzählen würde, würde mir sowieso niemand glauben. Als das Essen fertig ist, hat die Fragerei endlich ein Ende: Wie das  Frühstück verläuft das Mittagessen in absolutem Schweigen. Ich bin darüber sehr erleichtert, aber auch ein bisschen traurig, denn ich würde meinen Eltern gerne alles erzählen was heute passiert ist, aber ich will sie nicht irgendwo mit reinziehen und sie dadurch gefährden. Ihren Gesichtern sehe ich an, dass für sie das Thema noch nicht vom Tisch ist. Ihnen scheinen 100.000 Fragen ins Gesicht geschrieben, doch zu meinem Glück werden sie mir den ganzen Tag über nicht gestellt. Doch am Abend, als ich ins Bett gehen muss, kommt Mum zu mir und setzt sich auf mein Bett. Sanft streicht sie mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. "Du weißt doch, mein Engel, dass du mir alles erzählen kannst, oder?", fragt sie zärtlich. Als sie mein Nicken sieht, scheint sie beruhigter zu sein. Dann wünscht sie mir eine Gute Nacht und verlässt mein kleines Zimmer. Total erschöpft sinke ich in einen traumlosen Schlaf und habe nicht einmal mehr die Zeit, die heutigen Erlebnisse zu verarbeiten. Doch plötzlich schrecke ich auf. Ich höre lauter werdende Stimmen aus der Küche. Leise decke ich mich auf und schwinge meine Füße aus dem Bett. Dann schleiche ich  zur Küchentür und lege mein Ohr daran. Ich höre die Stimme von Mum und Dad: Mum scheint total aufgelöst zu sein und Dad versucht sie zu beruhigen. Ich presse mein Ohr noch dichter an die Tür, um zu verstehen worüber Mum sich so aufregt. "Cynthia", sagt mein Vater sanft."Du weißt das es einfach nicht sein kann. Sie hätten ihr eine Nachricht geschickt oder ihr ein Zeichen gegeben.""Aber Charles", erwidert meine Mutter mit einem Anflug von Panik in ihrer Stimme, "du weißt das es das vorher noch nie im System gegeben hat. Ich bin mir zu hundert Prozent sicher: Das war das Zeichen! Wir müssen sie so schnell wie möglich in Sicherheit bringen, bevor es zu spät ist! Sie muss auf jeden Fall überleben, wir alle hängen von ihr ab. Wir dürfen unsere vielleicht einzige Chance auf Freiheit nicht verpassen! Sie muss sofort weg von hier!" Langsam wird mein Vater wütend und ein verärgerter Unterton schwingt in seiner Stimme mit. "Und was machen wir, wenn das nicht das Zeichen war? Wir dürfen es nicht riskieren einen Fehler zu machen, die Sache ist einfach zu wichtig." "Aber...," setzt meine Mum zu einer Erwiderung an, doch mein Dad fährt etwas sanfter fort:" Ich weiß, dass dir es sehr wichtig ist, doch durch einen zu frühe Reaktion würden wir Clarice nur noch zusätzlich gefährden." Ich ziehe scharf die Luft ein. Sie reden von mir! Aber warum, das ergibt doch keinen Sinn! Warum wollen sie mich in Sicherheit bringen? Und von welcher Sache sprechen sie die ganze Zeit? Langsam wird mir klar, dass der Name und der Zettel von heute morgen vielleicht doch nicht so unwichtig sind, wie ich dachte. "Ich muss Mum und Dad unbedingt davon erzählen, doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt,  ich werde bis morgen abwahrten", beschließe ich in Gedanken. Dann presse ich mein Ohr noch dichter an die Tür, um weiter dem Gespräch zu lauschen. Doch dann zucke ich zusammen: Ich höre ein leises Schluchzen aus der Küche, Mums Schluchzen. Ich bekomme einen Kloß im Hals und muss schwer schlucken, um nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen. Wenn Mum so sehr weint, dann muss diese "Sache" wirklich total ernst sein., Ich höre noch, wie Dad versucht Mum zu beruhigen, doch dann wende ich mich schnell ab und flüchte in mein Zimmer. Ich habe genug gehört um zu erkennen, dass ich in Gefahr bin. Und das macht mir ehrlich gesagt sehr große Sorgen. Ich spüre sogar, dass meine Hände leicht zittern, als ich zurück in mein Bett krieche. Normalerweise bin ich nicht so ein Mensch, der sofort Todesangst verspührt, doch heute tue ich es. Und ich weiß noch nicht mal so genau warum.

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