Nach unserem unangenehmen Treffen in der Bibliothek machte es den Anschein, dass Riddle es auf mich abgesehen hatte. Er schien überall aufzutauchen, wo ich mich grade befand. Während des Unterrichtes unternahm er keine Versuche mehr, den Platz neben mir zu meiden. Er sprach zwar nicht mit mir, doch seine Präsenz war mir immer bewusst. Sein Verhalten war nun schlichtweg einschüchternd: Er behielt mich wachsam im Auge und versuchte erneut mehrere Male, Leglimentik anzuwenden. Doch trotz meiner Entkräftung war es mir bis jetzt gelungen, ihn aus meinen Gedanken fernzuhalten. Schließlich war das für mich tatsächlich überlebensnotwendig.
Ich war ihm offensichtlich ein Dorn im Auge, doch ich versuchte mich damit zu trösten, dass ich so seine Aufmerksamkeit auf mich gezogen hatte. Er wusste, dass ich ihn fürchtete - Aber nicht so sehr, wie er es gewohnt war und wie er es schätzte. Das würde er mit aller Kraft unterbinden wollen. Deshalb beobachtete er mich auch so nachhaltig - Bis jetzt hatte er mich nicht durchschauen können. Er wollte herausfinden, warum ich mich so ungewöhnlich verhielt. Warum ich nicht aus Angst vor ihm erzitterte und seine Präsenz mied. Niemand in Hogwarts wagte es, Tom Riddle's persönliche Distanzzone zu missachten und seine Geduld herauszufordern. Schließlich war Riddle mehr als nur ein gewöhnlicher Einzelgänger. Bestenfalls tolerierte er die Gesellschaft von denen, die er als nützlich, gleichgesinnt oder - falls das überhaupt möglich war - ebenbürtig anerkannte. Doch ich war mir sicher, dass er keinen einzigen Freund in ganz Hogwarts hatte - Nicht, dass es ihn stören würde. Tom Riddle wollte gefürchtet und ehrfurchtsvoll gemieden werden.
An diesem Tag hatte ich Riddle und seine Gefolgsleute glücklicherweise weder im Schloss, noch sonst irgendwo gesehen. Es war das erste Hogsmeade-Wochenende des Schuljahres und ich vermutete ihn im Dorf.
Ich brauchte diese wohlverdiente, angstfreie Atempause und spazierte ungestört über die herbstlichen Ländereien von Hogwarts. Die Sonne würde bald untergehen und warf immer länger werdende Schatten auf die Bäume um mich herum. Das abendliche Licht tauchte die Umgebung in warme, beruhigende Farben und das bunte Laub knisterte bei jedem Schritt unter meinen Stiefeln. Ich ließ mich ein gutes Stück vom Schloss entfernt, in der Nähe des Großen Sees und am Rande des Verbotenen Waldes, unter einer alten Eiche nieder. Mein Herz fühlte sich so frei und unbesorgt wie schon lange nicht mehr. Ich wollte grade das Buch über magische Tierwesen, das Ellie Ollivander mir geliehen hatte, aufschlagen, als ich hinter mir das leise Rascheln eines Umhanges hörte, der über das Laub streifte. Ich drehte mich nach dem Unbekannten um, doch die Kälte, die sich augenblicklich in mir ausbreitete, war Vorzeichen genug. Als ich Tom Riddle entgegenblickte, waren seine schwarzen Augen kalt und unergründlich.
„Ich habe darauf gewartet, dass du alleine seien würdest."
Mein Hals wurde ungewohnt trocken, als ich sah, dass er in seinen langen, bleichen Fingern seinen Zauberstab wog. Ich erhob mich langsam und schob möglichst unauffällig die Hand in meine Manteltasche, um auch meinen Zauberstab hervorzuziehen. Aber natürlich sah er meine Bewegung vorher. Mit einem gespielt missbilligenden Schnalzen seiner Zunge schwang er den Zauberstab und meiner flog augenblicklich in seine ausgestreckte Hand.
„Den wirst du nicht brauchen, Holmwood." ließ er mich höhnisch wissen und um seine vollen Lippen zuckte beinahe so etwas wie ein kleines Lächeln. „Ich will nur mit dir reden."
„Was möchtest du wissen?" fragte ich und versuchte dabei so gelassen wie möglich zu wirken.
„Du beherrscht Okklumentik. Warum?" seine schwarzen Augen waren, soweit ich das sagen konnte, neugierig. Aber es hätte auch eine andere Emotion darin mitschwingen können. Er war für mich wie ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln.
„Es gab keinen bestimmten Grund dafür." log ich.
Aber natürlich hatte es den gegeben. Als ich während des Krieges vor ihm selbst - Oder besser gesagt seinem älteren Ich und dessen Anhängern - geflohen war, war meine größte Angst gewesen, dass ich gefunden und gezwungen werden könnte, all meine Geheimnisse und Verbündeten zu verraten. Ich hätte lieber sterben wollen, als meinen Freunden zu schaden. Also hatte ich tagtäglich stundenlang Okklumentik gelernt, bis mir die Fähigkeit in Leib und Blut übergegangen war.
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The Heir of Slytherin || Tom Riddle
ФанфикEvangeline Holmwood ist Zeitreisende mit einer seltenen Begabung und einer gefährlichen Mission: Im Auftrag von Albus Dumbledore soll sie Tom Riddle von seinem dunklen Werdegang abbringen und so den Aufstieg von Lord Voldemort verhindern. Doch wann...