Nächtliche Ruhe lag über dem Wald, in dem er sich befand. Lediglich das leise Rascheln der Laubbäume klang in seinen Ohren wider. All seine Erinnerungen waren wie weggewischt und er fragte sich, wo er sich befand und wie er überhaupt hierher gekommen war. Suchend glitten seine Augen über seine Umgebung, die vom strahlenden Schein des runden Silbermondes über ihm erhellt war — Nichts als Bäume, die sich bis in den Himmel erstreckten, grünen Mooses und hoher Farne war zu erkennen. Der Wald bot den Eindruck perfekter Ruhe und Abgeschiedenheit. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den rauen Stamm einer Kiefer und ließ sich langsam zu Boden sinken, verharrte regungslos auf dem weichen Moos. Seine Finger glitten über den Zauberstab in seinem Umhang und entspannt schloss er die Augen. Als er sie nach einer Ewigkeit wieder öffnete, hatte sich die Szenerie um ihn herum verändert: Dichter Nebel verhüllte seine Umgebung und ein heftiger Wind zog von Norden herauf. Der Wald war nun bedrohlich, voll von einer unheilverheißenden Vorahnung, die der Wind mit sich trug. Doch Tom kehrte nicht um, versuchte keinen Ausweg zu finden: Gewöhnliche Schauerlichkeiten konnten ihm nichts anhaben, nicht dem Dunklen Lord, der sich selbst bereits seit einiger Zeit als den Ursprung allen Übels und als den Meister von Vernichtung sah. Wachsam pirschte er durch die Dunkelheit, den Zauberstab gezückt. Der Nebel wurde dichter, desto weiter er in das Herz des Waldes vordrang und obwohl er kein Ziel vor Augen hatte, spürte er, dass er sich etwas Bedeutsamen annäherte. Als seine Füße schließlich den moosigen Erduntergrund hinter sich ließen und auf Eis traten, lichtete sich der Nebel. Tom befand sich nun am Ufer eines zugefrorenen Sees, in dessen Mitte eine Person auf ihn zu warten schien, verhüllt in einen azurblauen Umhang. Das Mondlicht fiel auf die Gestalt, die ihm den Rücken zukehrte. Er vermutete eine Frau unter den Mantel, dessen Stoff leicht im Wind flatterte. Wachsam verharrte Tom, der Körper regungslos bis auf die Hand, die sacht den Zauberstab hob. Der unverzeihliche Fluch lag bereits auf seinen kalten Lippen, doch die Neugier überkam ihn.
„Zeig dein Gesicht." forderte seine Stimme laut und deutlich, die ihm in diesem Moment jedoch zischender als gewöhnlich schien.
Die Frau nahm die Kapuze ab, drehte sich langsam zu ihm, so dass er ihr Gesicht erkennen konnte. Taillenlanges, dunkles Haar, das in Locken herabhing, eine geschwungene, spitz zulaufende Nase und hohe Wangen, die von der Kälte gerötet waren.
Sie lächelte als empfände sie wahres Glück über seine Anwesenheit und flüsterte seinen Namen, „Tom", den er so deutlich hörte, als stände sie in Wahrheit direkt neben ihm.
Wärme breitete sich irgendwo in ihm aus und sein Misstrauen wuchs mit jeder Sekunde — Sie hätte ihn stattdessen lieber angreifen sollen, dachte er voller Wut.
Er starrte sie für eine Ewigkeit an, unschlüssig ob er einen Fluch auf sie hetzen sollte oder nicht. Sein Nacken fühlte sich auf einmal ungewöhnlich schlangenhaft an und er reckte seinen Kopf in dem Versuch das Gefühl abzuschütteln, nach hinten.
Ein leises Knarzen, das unverkennbare Geräusch von brechendem Eis, ließ ihn das animalische Gefühl wieder vergessen. Er richtete seinen Blick auf die Füße des Mädchens, unter denen das Eis in Sekundenschnelle zerbarst. Er war zutiefst verwundert, dass sie sich nicht zu retten versuchte. Noch immer lächelte sie ihn an, warf keinen Blick nach unten und verharrte regungslos.
Bevor er einen zweiten Gedanken an ihr Schicksal verschwenden konnte, war sie im Eis eingebrochen und unter der dunklen Wasseroberfläche verschwunden. Eine Welle von Panik ergriff ihn vollkommen unerwartet, so als befände er sich selbst unter der Oberfläche: Ohne zu denken rannte er über das gefrorene Eis, zur Mitte des Sees, wo sie gestanden hatte. Doch das Wasser war erneut gefroren und zu einer undurchdringlichen, dicken Eisschicht geworden, die ihn von ihr trennte. Er sank auf die Knie und sah ihre weißen Hände, die sich gegen das Eis drückten, ihr scheckverzehrtes Gesicht und wie sie vergeblich nach Luft rang. Er schoss Zauber und Flüche gegen die Decke aus Eis, die zu seinem Leid undurchdringlich war. Er sank auf die Knie und seine Fäuste hämmerten gegen diese unnachgiebige Wand. Er konnte ihren Anblick nicht ertragen, doch er konnte den Blick noch weniger abwenden. Er sah machtlos dabei zu wie sie starb, die dunkelblauen Augen weit aufgerissen und leer. Ihr Körper versank langsam unter ihm und seine eigenen wutentbrannten Schreie hallten zwischen den Bäumen nieder. Desto tiefer sie sank, desto mehr spiegelte die glatte Eisoberfläche des Sees sein eigenes Ebenbild wider. Rote Augen glommen ihm förmlich entgegen, seine Haut war fahl geworden, wirkte beinahe grau und seine Nase war flach und glich nur noch zwei schmalen Schlitzen die dort saßen, wo die Nasenlöcher hätten sein sollen.
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The Heir of Slytherin || Tom Riddle
FanfictionEvangeline Holmwood ist Zeitreisende mit einer seltenen Begabung und einer gefährlichen Mission: Im Auftrag von Albus Dumbledore soll sie Tom Riddle von seinem dunklen Werdegang abbringen und so den Aufstieg von Lord Voldemort verhindern. Doch wann...