Okklumentik

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Als ich am nächsten Morgen erwachte, hatte ich ganz und gar vergessen, wo ich mich befand. Die Bettlaken waren gewohnt weich, durch die offenen Fenster drangen die mir so bekannten Geräusche von Vogelgezwitscher und dem Rascheln des Windes im Laub des verbotenen Waldes. Der vertraute Geruch von Büchern und Pfefferminztee hing in der Luft des Ravenclaw-Schlafsaales. Ich fühlte mich so geborgen und zuhause. Es war erschreckend, wie wenig sich an einem einzigen Ort innerhalb von fünfzig Jahren verändern konnte. Nach und nach vernebelten nun, da ein neuer Tag begann, die unangenehmen Gedanken an Tom Riddle und meine bevorstehende Aufgabe meinen Geist.

Ein leisen Klacken, wie das von Kofferschnallen, riss mich aus meinen Gedanken. Das mussten meine neuen Klassenkameradinnen sein. Eigentlich konnte ich die unangenehmen Begrüßungsfloskeln und den Small Talk auch sofort hinter mich bringen. Ich schob die sternenverzierten, dunkelblauen Samtvorhänge des Himmelbettes beiseite und trat meinen Mitschülerinnen gegenüber. Nur zwei von ihnen waren schon wach und standen leise lachend und tuschelnd am Fenster.

„Hallo, ich bin Evangeline Holmwood. Die Neue." Ich lächelte sie zurückhaltend an.

Die Kleinere von beiden drehte sich mir grinsend zu und streckte die Hand aus. „Isobel Ollivander, aber nenn mich einfach Ellie. Schön dich kennenzulernen." Isobel hatte hellbraunes Haar, das sie in einer kurzen Kurzhaarfrisur trug, die mich an die 20er Jahre erinnerte. Ihre grünbraunen Augen funkelten mir frech und neugierig entgegen, und ihre Stupsnase war von Sommersprossen gesprenkelt.

„Ollivander? Wie in Garrick Ollivander, dem Zauberstabmacher?" fragte ich gespannt und hätte mir eine Sekunde später auf die Zunge beißen wollen. Mr Ollivander musste selbst noch jung sein, wahrscheinlich noch lange nicht der Besitzer von dem berühmten Zauberstabladen in der Winkelgasse.

Doch ich hatte Glück. Isobel, oder besser gesagt Ellie, antworte ohne jede Spur von Argwohn in der Stimme. „Oh ja, mein älterer Bruder ist nach seinem Schulabschluss sofort ins Familiengeschäft eingestiegen. Er wird noch von meinem Vater angelernt, aber er ist offensichtlich sehr begabt und schon eine kleine Berühmtheit. Eigentlich kann ich ihm dankbar sein. Meine Familie ist schon seit Generation im Geschäft... Aber ich will lieber Magizoologe werden, wie Newt Scamander. Das wäre genial, oder?"

„Ja, das wäre klasse." grinste ich und war dankbar, dass meine Tarnung nicht sofort aufflog. In Zukunft würde ich vorsichtiger sein müssen.

Nun mischte sich das andere Mädchen ein. Sie war hübsch, mit hüftlangen, schwarzglänzenden Haaren, sonnengebräunter Haut und dunklen, ausdrucksstarken Augen. „Ich bin übrigens Prisha Patil. Die Vertrauensschülerin von Ravenclaw. Wenn du Fragen hast, kannst du dich immer an mich wenden."

Ich bedankte mich höflich, aber verkniff mir dieses Mal einen Kommentar über irgendwelche möglichen Verwandtschaftstheorien. Es war allerdings mehr als wahrscheinlich, dass Prisha zur Familie von Padma und Parvati Patil gehörte.

„Wie konntest du eigentlich gestern Abend den Ravenclawturm finden? Ich wundere mich, dass Professor Dippet dich mir nicht anvertraut hat." harkte Prisha nach und wirkte etwas gekränkt.

„Er hat den Vertrauensschüler von Slytherin darum gebeten. Tom Riddle."

Ellie und Prisha tauschten einen kurzen, vielsagenden Blick aus.

„Kennt ihr ihn?" fragte ich möglichst unschuldig. Es würde sicher hilfreich sein zu erfahren, wie die anderen Schüler den jungen Voldemort erlebten.

„Ich glaube nicht, dass er eine gute Gesellschaft abgibt. Der Typ ist unheimlich." erklärte Ellie freimütig und erntete sich dafür einen Stoß in die Rippen.

„Das wäre vielleicht ein wenig zu harsch ausgedrückt." fügte Prisha hinzu und warf Ellie dabei einen vorwurfsvollen Blick zu. „Keiner von uns kennt Tom wirklich. Er ist sehr distanziert und umgibt sich nur mit seinen... Freunden."

The Heir of Slytherin || Tom RiddleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt