Müde von der langen Reise lasse ich mich erschöpft auf die Treppenstufen des kleinen Bahnhofes fallen und blicke auf meine zerschlissenen Converse herunter. Ich bräuchte tatsächlich mal neue Schuhe.
,,Okay, also ich habe gerade mit meiner Mutter gesprochen. Der Hausmeister kommt uns gleich abholen, damit wir hier nicht so lange warten müssen," sagt Anna, während sie auf mich zu kommt. ,,Zum Glück, ich hätte keine Lust hier noch länger zu bleiben," antworte ich, ,,Ist in diesem Kaff eigentlich irgendwas los?" Anna schaut sich um, als wäre sie zum ersten Mal hier. ,,Also ehrlich gesagt, nein. Das Dorf besteht nur aus Rentnern... naja und aus manchen Lehrern vom Bach, die keine Lust haben, uns 24/7 ertragen zu müssen," erwiderte sie und grinste. Sie hatte wirklich ein schönes Lächeln, all ihre Sommersprossen tanzten dabei und ihre Augen blitzten dabei. ,,Komm mit," sagte sie, ,,dort drüben gibt es einen kleinen Kiosk, in dem wir auf den Hausmeister warten können."
Ich stehe auf und folge ihr durch die kleinen, leeren Straßen des Dorfes. Die Vorgärten der kleinen Reihenhäuser sind alle mit kitschigen Gartenzwergen austaffiert und der Rasen scheint, auf den Milimeter genau geschnitten worden zu sein. Anna hat anscheinend meinen abschätzigen Blick bemerkt und sagte unvermittelt: ,,Ja ich weiß, total spießig! Wenn wir manchmal hier herkommen, lassen wir einige der Gartenzwerge ganz zufällig mitgehen. Zwei Wochen später bringen wir sie dann zurück." Ich grinste. An einer Straßenecke bleibt sie apprupt stehen. ,,Scheiße," murmelte sie, ,,komm, wir müssen umkehren." Und als ich meine Freunden fragend ansehe, schiebt sie mich in die entgegensetzte Richtung und packt mich am Handgelenk. Sie beginnt zu rennen, doch anscheinend war es schon zu spät, denn auf einmal schreit eine zornige Stimme hinter uns herrufen: ,, Hey ihr Gören, bleibt sofort stehen!" Ich blicke mich um und entdecke eine gebügte alte Frau mit lila gefärbten kurzen Haaren. Sie hebt ihren Gehstock in unsere Richtung und holt damit nach Anna und mir. Wir rennen weiter und ein paar Straßen weiter lehnen wir uns gegen eine Hauswand. ,,Oha, " mein Anna lachend , ,,ich habe unsere Aktion am letzten Schultag komplett vergessen. Wir haben eben ein bisschen gefeiert und ein Lagerfeuer angezündet, dabei ist uns nicht aufgefallen, dass es ein Feld von einem der Bauern aus dem Kaff hier war. Wir sind alle irgendwann eingeschlafen und am nächsten Morgen hat man uns erwischt. Die Oma von gerade eben, ist die Eigentümerin des Feldes." Ich schaue sie entsetzt und belustigt zugleich an. ,,Oh scheiße! Hat die Schule was davon erfahren?" frage ich sie. ,,Naja, also es war ja der letzte Schultag, wenn der Direktor was davon weiß, werden wir wohl heute dafür bestraft," erklärt sie. Plötzlich klingelt ihr Handy. Sie führt ein kurzes Gespräch und legt dann auf. ,,Unsere Mitfahrgelegentheit ist da. Er wartet am Bahnhof," fügt sie hinzu und nimmt mich am Ellenbogen, um mich in die richtige Richtung zu führen.,,Hallo Anna, schön dich wiederzusehen und du bist bestimmt Mila," begrüßt uns der Mann, der an der Tür des weißen Kleinbusses lehnt. Er trägt ein rot-schwarzes Karohemd, eine schwarze Outdoor Hose und Wanderschuhe. Ich schätze ihn auf Anfang vierzig und stufe ihn als sympathischen Typ ein. Während wir uns die Hände schüttelten, erklärte er mir, dass er der Hausmeister sei und ich ihn ruhig Thomas nennen dürfe. Nachdem unser Gepäck im Auto verstaut ist, klettern Anna und ich auf die Rückbank. Im Radio wird ein alter Song von den Beatles gespielt und ich muss augenblicklich mitsummen. ,,Du magst die Beatles?" fragt mich Anna und sieht mich begeistert an. ,,Ja! Ich bin ein totaler Fan!" erwidere ich. ,,Ich auch!" antwortet sie mir und wir wir beginnen uns sofort über unsere Lieblingslieder, die Band und ihre Mitglieder auszutauschen.
Mittlerweile haben wir das Dorf und die goldgelben Felder hinter uns gelassen und fahren durch einen Wald bergauf. Plötzlich lenkt Thomas den Bus um eine Kurve und da sah ich das Gelände vor mir. Hinter einem kleinen Zaun stehen vereinzelte hochgewachsene Bäume, zwischen denen einladende Holzhäuser stehen. Ich sehe einige Jugendliche, die auf der Wiese sitzen oder Volleyball auf den dafür vorgesehenen Feldern spielten. Alles wirkte so harmonisch und ausgelassen. Und ich begriff, hier wollte ich sein. Hier, wo alles so einfach und nicht so voll gestopft, wie in Frankfurt ist. Anna riss mich aus meinen Gedankengängen: ,,Hey, du kannst den Mund jetzt auch wieder zu machen. Wir müssen jetzt nämlich aussteigen." Ich folge ihr und bleibe vor dem Auto stehen, drehe mich um und beäugte alles aus nächster Nähe. Da bemerke ich die Blicke, die auf mich gereichtet sind. Natürlich, ich war ja schließlich die Neue. Diese Erkenntnis löste ein unbehagliches Gefühl bei mir aus und ich wollte es am liebsten abschütteln. Doch Anna lässt mich diese Gedanken schnell vergessen, sie hakt sich bei mir unter und sagt: ,,Da kommt meine Mum, ich frage sie gleich mal, in welchem Haus du bist." Ich schaue in die Richtung, in die sie gezeigt hat und sehe ein Frau, die Anna bis aufs Haar ähnelte. Sie hatte die selben roten Locken, die Sommersproßen und die gleiche fröhliche Ausstrahlung. ,,Ach da seid ihr ja!", begrüßt uns Annas Mutter und zog ihre Tochter sofort an sich. ,,Hallo Mama!" erwidert Anna und stellt mich vor. Wie sich herausstellt, ist die Mutter meiner neuen Freundin unsere Kunst und Bio Lehrerin. Ich mochte sie von Anfang an. ,, Anna, zeig doch Mila euer Haus und das gesamte Gelände," bittet Frau Mischke ihre Tochter und zwinkert uns zu. ,,Das heißt sie ist bei uns untergebracht?!" fragt Anna fassunglos und strahlt mich an. ,,Ja natürlich! Bis später dann!" antwortet ihre Mutter.
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Mein Sommer auf der Wildblumenwiese
Fiksi RemajaEndlich dem Chaos der Patchwork-Familie entfliehen, das Abi machen und einfach dem lauten und vollem Frankfurt entfliehen... das alles erhofft sich Mila mit ihrer neuen Schule, dem Bach-Internat im Bayrischen Wald ... und sie erlebt noch viel mehr...