wake me up when september ends

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  -Sam's Sicht-



„Ich kann das nicht glauben!"

Wütend stapfte ich durch das Wohnzimmer und knallte meinen halb vollen Teller auf den Tisch. Nach dieser Schreckensnachricht war mir der Hunger gehörig vergangen.


„Dad ist ein halbes Jahr tot und dir fällt nichts Besseres ein?!"

Frustriert und enttäuscht baute ich mich vor meiner Mutter auf, die bedrückt meinen Blicken auswich.


„Sag mal, wie gefühlskalt muss man eigentlich sein? Besitzt du überhaupt einen Hauch von Empathie, oder hast du die gleich mit begraben? Ihr wart 20 Jahre verheiratet. 20 verdammte Jahre und du eröffnest mir von einem auf den anderen Tag, dass dein neuer Macker hier vorübergehend bei uns einzieht, bis wir gemeinsam etwas Neues finden???!!! Nicht nur, dass du mit dem in die Kiste steigst ohne das erste Trauerjahr abzuwarten. Nein, du lädst ihn gleich zu uns nach Hause ein. Wie egoistisch bist du überhaupt?"
Sie ballte entsetzt die Fäuste.


„Mum, siehst du mich eigentlich? Antworte mir wenigstens! Was bin ich für dich? Ballast, der dich an die vergangene Zeit erinnert? Oder ist das deine neue Überlebensstrategie, weil du in Wahrheit zu faul zum arbeiten bist und Dad bisher immer die Kohle rann schaffen musste?", konfrontierte ich meine Erziehungsberechtigte.

Meine Mutter verengte ihre Augen zu Schlitzen. Sofort stieg ihr das Blut in den Kopf.
Mittlerweile schaute sie nicht weniger schockiert als ich selbst.


„Samantha es reicht! Treib es nicht auf die Spitze", forderte sie mit funkelnden Augen.


Aber ich setzte ungehindert fort.


„Hast du Dad überhaupt je geliebt?"

Sie seufzte laut, wurde jedoch deutlich ruhiger.


„Sam, du weißt, dass ich mich mit deinem Vater schon in den letzten Monaten vor der Diagnose nicht mehr verstanden habe. Vermutlich hätten wir uns ohnehin getrennt."



„Ach, so. Na, dann ist ja alles klar. Das rechtfertigt natürlich alles. Da kann man dann auch schnell mal neue Männer vögeln. Sag mal checkst du eigentlich, wie egoistisch du bist? Du, du, du. Aber wie es mir damit geht, dass ist dir in Wahrheit doch scheiß egal. Dass ich meinen Vater geliebt habe, dass er sich die letzten 16 Jahre den Hintern aufgerissen hast, damit es uns gut geht, das interessiert dich gar nicht. Hauptsache du hast Frischfleisch und jemanden, der dich ernähren kann."


Peng!
Der Schlag hatte gesessen. Im Affekt rieb ich mir die Wange, deren Schmerz der Hieb in mein Gesicht verursacht hatte.
Trotz der aufkommenden Tränen sah ich ihr fest in die Augen.


„Komm mach nur weiter. Schlag noch einmal zu. Das ist mir mein Vater auf jeden Fall Wert. Im Gegensatz zu dir."

Zu meiner Verwunderung drehte sie mir nun die Schulter zu. Ihre Hände bebten von der Aufregung.


„Es tut mir leid", hörte ich sie sagen, während sie konfus und mit zitternden Händen das restliche Geschirr vom Tisch auf den Schrank räumte.



„Das meinst du nicht so. Also spar dir die Heuchelei", gab ich ihr zu verstehen und taxierte ihre bebenden Schultern.

Tapfer versuchte ich den aufkommenden Kloß im Hals zu verdrängen. Unter keinen Umständen würde ich aufgeben und mir die Blöße geben vor ihr zu heulen. Ich hatte meine Tränen lange zuvor geweint.


„Du wirst Billie mögen. Immerhin liebst du Punk", ignorierte sie meine bisherigen Worte, weshalb sich meine Pupillen zunehmend weiteten. Ach, ja? Und woher wollte sie das wissen?



„Er hat selbst zwei Kinder in deinem Alter. Ihr werdet euch sicher gut verstehen. Gib ihm eine Chance."


Unter keinen Umständen und nur über meine Leiche. Ich hasste den Kerl schon jetzt. Allein wie der sich in der Öffentlichkeit zum Affen machte, sich kiloweise Lidschatten auf die Augen schmierte und bei seinen Auftritten mit 12 jährigen herum machte, ekelte mich an. Mit so vielen Teenagern, die er geküsst hatte, war es ein Wunder, wenn er keine Hepatitis übertragen würde.


„Wie naiv bist du eigentlich? Wie kann man sich von einem Rockstar so sehr einlullen lassen", flüsterte ich etwas leiser vor mich hin, während mir meine Mutter weiterhin die neue Situation schmackhaft zu machen versuchte.



„Er hat seinen Vater auch an Krebs verloren als er in der fünften Klasse war. Wenn dich jemand versteht, dann ist er es."

Entsetzt sah ich sie an, schüttelte dann verdattert mit dem Kopf.

„Mum ich bin 15 und nicht in der Grundschule. Nur zu deiner Information."
Mit einer beängstigenden Ruhe setzte sie den Abwasch fort.


„Wie lange läuft das hier eigentlich schon? Versuch mir doch bitte nicht zu erzählen, dass du deinen neuen Freund erst vor zwei Monaten zum ersten Mal im Supermarkt getroffen hast. Das geht mit Sicherheit seit über einem Jahr so. Vermutlich bist du zwischen dem Krankenhaus und seinem Appartement hin und her gependelt. Auf der einen Seite hast du Dad vorgeheuchelt, wie leid dir das alles tut, dass er für immer in deinem Herzen bleibt. Und spätestens mit dem Verlassen der Klinik hast du deinen Verstand an der Rezeption abgeliefert, um dich gedanklich auf dein Doppelleben einzustellen."


Nach diesen Worten riss ihr wohl endgültig der Geduldsfaden.
Heulend schmiss sie die Teller auf den Boden, stürzte dann blind vor Tränen ins Bad, während ich ein triumphierendes Lächeln aufsetzte. Eins zu null für mich.

Mit schnellen Schritten knallte ich hinter mir die Tür zu, ließ mich dann erschöpft auf mein Bett fallen, ehe mein Augenmerk auf meinen Computerbildschirm fiel, auf dem die Fratze ihres neuen Mackers abgebildet war.

Samt geballter Hände schwor ich mir schon jetzt, dass sich dieser Typ hier nicht allzu lange halten würde. Ich würde ihm das Leben zur Hölle auf Erden machen, ihn strategisch aus unserem Haus vertreiben.

Mit zitternden Händen holte ich ein altes Foto aus längst vergangenen Zeiten aus meiner Hosentasche, das meinen Vater mit mir auf dem Spielplatz zeigte.

„Dad, wo bist du nur. Warum kannst du nicht bei mir sein?", fragte ich traurig, ehe ich das Papier der Ablichtung küsste und es nachdenklich mit meinen Fingern umrandete.

Sam (Green Day fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt