Die Manipulation

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  Noch am gleichen Morgen begann mein Akt der Manipulation. Ich ließ schärfere Geschütze auffahren. Auch weil ich mich in meinem Vertrauen von ihm missbraucht fühlte.
Mein erster Rachefeldzug wurde sein Smartphone, das er dank seiner Schusseligkeit auch an diesem Tag wie so oft dort hatte liegen lassen, wo es nicht hin gehörte.
Der Mann war das reinste Chaos.
Kein Wunder, das er sich sofort wieder eine Frau gesucht hatte. Denn ohne weibliche Organisation wäre er vermutlich längst im eigenen Müll erstickt.

Ich verdankte es meiner internen Fähigkeit als Hackerin, dass sein Speicher innerhalb von wenigen Minuten gelöscht wurde und das Gerät recht schnell den Eindruck erweckte, als würde der kleine Defekt ein technisches Problem anmuten lassen.
Sein Rasierwasser wurde kurzfristig mit einem verdächtig weiblichen Duft versehen und auf seinem IPod brachte ich die komplette Reihenfolge an Titeln durcheinander.

Trotz aller Wut, versuchte ich jedoch gute Miene zu bösem Spiel zu machen und den von ihm gemachten Vorschlag eines Wochenendausfluges anzunehmen. Natürlich nicht ohne den Hintergrundgedanken, dass sich einer der Höhepunkte meines teuflischen Plans zu exakt der kleinen Unternehmung ereignen würde.

Noch beim Frühstück machte Billie einen relativ entspannten Eindruck, auch wenn er zu spüren schien, dass von meiner abendlichen Stimmung, die ich am Grab meines Vaters gezeigt hatte, nicht mehr allzu viel übrig geblieben war.
Auf Fragen antwortete ich sehr knapp, quälte mir mit Mühe und Not meine Cornflakes hinein, bis ich mich unter einem Vorwand in meinem Zimmer verschanzte. Angeblich, weil ich mich für unseren kurzen Trip umziehen wollte, der bereits in wenigen Minuten starrten sollte.

Meine Mutter, die noch immer nicht mit mir redete, hatte zum Glück besseres zu tun.
Irgendeine Modeausstellung in San Francisco schien wichtiger als alles Andere zu sein.

Kurz bevor ich meinen Rucksack schulterte und nach meinen Kopfhörern schnappte schien Billie dann doch noch vom katastrophalen Zustand seines Mobilfunkgeräts zu erfahren.

„Holy shit", stand er fluchend im Flur. Dass er wie eine ganze Damen- Parfümerie roch, schien ihm derzeit eher zweitrangig zu sein.
Wie besessen hämmerte er auf sein IPhone ein, konnte offenbar nur schwer begreifen was die Augen sahen.

„Verdammt, darauf waren über 500 Nummern gespeichert. Norah Jones, Bono und Mick Jagger. Die bekomme ich nie wieder", wetterte er, während ich mir ein süffisantes Lächeln zu verkneifen versuchte.

„Es ist sicher nass geworden, als du vorgestern joggen warst. Vielleicht solltet ihr eure kleine Unternehmung verschieben und du suchst besser den nächsten Mobilfunkladen auf", versuchte ihn meine Mutter zu überzeugen, weshalb mir bereits böses schwante. Denn wenn der Trip platzte, war mein gesamter Plan dahin.
Doch zu meiner Beruhigung wollte er an unserer Spontanunternehmung festhalten.

„Ach lass mal. Das kläre ich später", gab er ihr zu verstehen, während er die Tür seines schwarzen Wagens öffnete und mit einer raschen Handbewegung andeutete, dass ich auf der Beifahrerseite Platz nehmen sollte.

Aus der Beobachterperspektive meiner Sitzmöglichkeit verfolgte ich, wie ihm meine Mum einen langen Kuss auf den Mund drückte und ballte vor Wut die Fäuste.
So sehr ich mich bisher auch bemüht hatte und ganz gleich wie viel Sympathie er in mir weckte. Ich konnte nicht den Punkt überwinden, dass ich ihn als Konkurrenz zu meinem Vater sah. Auch wenn er und meine Mutter mir noch tausend Fach mit ihrer weichgespülten Art erzählten, dass er nicht an die Stelle meines Dads treten würde.

Nur kurz darauf nahm er endlich neben mir Platz, startete den Motor, löste die Bremsen und schlug den direkten Weg zum nahegelegenen Waldstück ein. Der Pfad, mit dem ich oftmals eine Klettertour mit meinem Vater veranstaltet hatte.
Allein die Tatsache, dass ich diesen Weg ausgerechnet mit ihm gehen sollte, erschien mir überaus unpassend.
Was für eine einfallslose Idee, die Dinge fortzusetzen, die nie wieder wie früher werden würden.
Bei seinem Bruder hatte das vielleicht noch funktioniert. Aber wir standen doch in einer völlig anderen Beziehung zueinander.

Schon auf dem Hinweg lehnte ich mich gelangweilt gegen die Fensterscheibe und zwirbelte eine Haarsträhne um meinen Zeigefinger, während Billie Joe eifrig damit beschäftigt war, den offenbar passenden Radiosender auszuwählen. Dass es diesen für seinen Geschmack nicht gab, gestand er sich erst ein, als wir schon fast unser Ziel erreicht hatten.

„Kann es sein, dass dich deine alte Stimmung wieder zurück hat? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?"
Ach nein. Checkte er das auch schon?
Ich gab ihm zunächst keine Antwort.

„Vielleicht kommst du ja von selbst darauf", flüsterte ich leise vor mich hin und war mir nicht sicher, ob er es verstanden hatte.

„Schade, ich dachte wir hätten uns ein wenig aneinander gewöhnt", stellte er trocken fest, während er den Wagen auf die zugehörige Parkbucht am Waldrand lenkte und zum halten kam.
Er taxierte mich eindringlich, schwieg aber und durchbrach erst die Situation, als einige Minuten vergangen waren.

„Hör mal, Samantha. Ich habe mir etwas überlegt. Ich sehe diesen Ausflug hier als kleine Chance. Aber wenn sich das fortsetzt, was sich in den vergangenen Tagen angekündigt hat, dann werde ich eine Entscheidung treffen. Ich habe vorhin noch einmal intensiv darüber nachgedacht und mir ein Ultimatum gesetzt. Auch wenn Amanda mich dazu drängt bei euch zu bleiben. Aber wenn das jetzt wieder so läuft, wie bisher und sich diese Stimmung bis zum Ende diesen Monats nichts gebessert hat, dann werden wir nicht wie geplant zu dritt umziehen, sondern ich suche mir etwas Eigenes. Deine Mutter kann mich dann gern besuchen. Nur vielleicht brauchst du sie stärker, als es derzeit aussieht."
Allein wenn ich an den bevorstehenden Umzug dachte wurde mir schon wieder schlecht.
Seine Worte klangen zwar recht passabel. Aber nach der gestrigen Pleite war ich mir nicht sicher, inwieweit ich ihm trauen konnte. Noch ehe ich auf seine Bemerkung antworten konnte, redete er unbeirrt weiter.

„An sich ist es mir das wert um dich zu kämpfen. Allein deshalb weil ich deine Mum liebe und du mir auf eine gewisse Art und Weise leid tust. Nur, andererseits habe ich schon zwei Teenager großgezogen, die erwachsen sind und diesen Zickenterror muss ich mir wirklich nicht mehr geben", platzte es aus ihm heraus, weshalb ich ihm herausfordernd in die Augen sah.

„Aha und warum sind wir dann hier? Bist du schizophren, oder was? Auf der einen Seite mimst du hier den Superdaddy und machst auf guten Kumpel und auf der anderen Seite lästerst du mit meiner Mutter und betonst, dass du keinen Bock auf mich hast."

„Das habe ich nie gesagt", stellte er mit einer beneidenswerten Ruhe fest, die mich fast aus der Haut fahren ließ.
Lässig öffnete er die Tür seiner protzigen Karre.

„Dann habe ich offenbar einen Hörfehler."
Er war schon halb aufgestanden, als er sich noch einmal zu mir umwandte.

„Warum denkst du eigentlich ständig, dass dir jeder etwas Böses will? Ich finde, wir reden aneinander vorbei. Ich habe dir mehr als einmal deutlich gemacht, dass ich nicht an die Stelle deines Vaters treten werde und mir lediglich an einer entspannten Freundschaft gelegen ist."

„Damit du dich mit meiner Mutter vergnügen kannst."
Er verdrehte die Augen.

„Weißt du was, Samantha? Glaub doch was du willst. Mir reichts langsam wirklich hin. Auf deinen Terror habe ich echt keine Lust mehr. Das muss ich mir mit über 40 nicht mehr anhören. Meine Kinder sind erwachsen. Ich verschwinde jetzt kurz hinterm nächsten Busch und muss pinkeln. Bis dahin kannst du dir überlegen, wie der angebrochene Tag weiter verlaufen soll. Entweder wir reißen uns jetzt beide etwas zusammen und geben unserem Ausflug eine Chance oder wir lassen es bleiben, ich fahre dich nach Hause und die Sache hat sich erledigt. Überleg es dir", knallte er die Tür zu, was ich als meine persönliche Chance sah.

Gerade als er hinter den nächsten Bäumen verschwunden war lehnte ich mich zur Rückbank, auf der die Klettersachen verstaut waren. Es brauchte nur wenige Handgriffe um die Ausrüstung zu manipulieren. Eigentlich hatte ich mir bereits eine andere Strategie überlegt. Aber nach diesem Auftritt hat er eine kleine Lektion verdient.
Er sollte Angst bekommen, hilflos in der Luft hängen, um zu begreifen, was das für ein Gefühl war, wenn man allein gelassen wurde.
Ich konnte meinen Racheakt gerade noch beenden, als er hinter de kleinen Lichtung hervor trat und zurück zum Wagen kam.

„Was ist jetzt? Entscheidung getroffen?"

„Wir gehen los", brachte ich ihm so normal wie möglich entgegen. Innerlich teuflisch grinsend, dass er bald echte Probleme bekam...

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Das Wetter wurde zunehmend schlechter.
Mittlerweile liefen wir seit einer halben Stunde zunehmend tiefer in den Wald hinein und es regnete Schnürsenkel. Der Donner tat sein übriges.
Nicht die optimalen Bedingungen zum klettern. Aber für einen Rückzieher war es zu spät.

Wir redeten nur das Nötigste miteinander, auch wenn Billie immer wieder versuchte ein Gespräch zu beginnen.
Meine Antworten waren spärlich und sie wurden immer kürzer, je näher wir dem Felsen kamen, den es zu überwinden galt.
Ich war nervös, aufgeregt. Zumal ich die Ausrüstung sabotiert hatte.

Mein eigentlicher Fehler wurde mir jedoch erst wenige Minuten später bewusst.
Eigentlich war geplant, dass er mich abseilte und ich auf ähnliche Weise mit ihm verblieb.
Aber erst als ich auf unser Equipment starrte wurde mir erstmals so richtig bewusst, dass ich eine folgenschwere Entscheidung getroffen hatte.
Beide Sicherheitsgurte waren blau. Nur, welchen Riemen hatte ich da eigentlich gelöst? Seinen oder meinen?

„Was guckst du so? Wir sollten loslegen", forderte er mich auf, weshalb ich recht schnell den Gedanken verwarf.
Augen zu und durch. Ich hatte eine 50 prozentige Chance, dass ich richtig lag und hoffte, dass der alt bewehrte Spruch „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein" nicht zwangsläufig auch auf mich zutraf.

Unsicher kletterte ich nach oben.
Für die ersten Meter machte es tatsächlich den Anschein, als hätte ich die richtige Ausrüstung getroffen, weil mir nichts passierte.
Ich atmete erleichtert auf, als ich fast oben war.

„Ich komme, gib mir Seil", forderte eine Stimme von unten und ich ließ ihn zwei Meter klettern. Eigentlich sollte exakt zu diesem Zeitpunkt der erhoffte Effekt eintreffen. Doch nichts geschah. Er hielt sich sicher in den Gurten.

Panik brach in mir aus. Der kalte Schweiß rann mir abwechselnd über Stirn und Rücken.
Der Donner hallte durchs Tal. Aber Billie kletterte unbeirrt weiter.
Mittlerweile befand er sich auf fünf Metern Höhe.

Ich wollte nach dem über mir liegenden Felsen fassen, als es geschah.
Ich begann zu taumeln, spürte wie eine der Schnallen nachgab. Reflexartig schloss ich die Augen und glitt mit ohrenbetäubenden Schreien zu Boden, der sich mit einer tiefen hysterischen Stimme vermischte. Dass ich Billie mitgerissen hatte, begriff ich erst, als ich mit einem harten Aufprall den Boden berührte.
Knochen knackten und das Blut spritzte über den Boden.
„Das wirst du nicht überleben", war der letzte Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, bevor mich die tiefe Dunkelheit verschlang und ich das Bewusstsein verlor...  

Sam (Green Day fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt