Der Kerl hatte eine Herpesblase. Genau wie ich vermutet hatte.
Zu meinem Leidwesen kam er pünktlich um neun und mit ihm zwei Koffer, welche die angekündigten Worte meiner Mutter zur Realität werden ließen.
Zunächst weigerte ich mich vehement aus dem Zimmer zu kommen.
Da der Hunger samt dem merkwürdigen Geruch aus Essen aber nach absehbarer Zeit das übrige tat wurde ich schwach und tapste mehr als unsicher in unser Wohnzimmer.
Und dann sah ich ihn zum ersten Mal.
Überarbeitet, mit durcheinander geratenen Haaren, samt Augenringen hockte er auf dem Platz MEINES VATERS.
Die Stimmung kippte. Spätestens ab diesem Moment.
Interessiert und aufmerksam, aufgrund meiner Schritte, wandte er sich nach hinten um, wo ich ihn mit düsterer Miene musterte.
Hätten Blicke töten können, wäre er auf der Stelle gestorben.
Ich hatte die halbe Nacht damit zugebracht über ihn zu recherchieren und genau wie die bisherige Meinung, die ich mir durch Videos und Auftritte gebildet hatte, trugen auch meine neuen Informationen nicht zwangsläufig zu seinem Vorteil bei.
Der Presse war er durch eine Medikamentenabhängig bekannt geworden, die er in den vergangenen Monaten durch verschiedene Entzüge bewältigt hatte.
Offenbar war auch das der Grund, warum er sich von seiner Frau getrennt hatte.
Wobei ich ihn an deren Stelle schon sehr viel eher raus geworfen hätte.
Ich konnte ohnehin nicht verstehen, wie man es freiwillig mit jemandem aushielt, der sich mit fremden Frauen auf dem Boden wälzte und sich mit ihnen in alle Fernsehkameras der Welt intime Liebkosungen austauschte.
So viel Selbstachtung hatte mir mein eigener Vater über die Jahre dann doch vermittelt.
Auch wenn meine Mum davon offenbar nur wenig mitbekommen hatte.
Immerhin schmachtete sie ihn an, als wäre der liebe Gott in Menschengestalt auf die Erde gekommen. So auch an diesem Abend.
„Hey, da bist du ja endlich", hielt er mir grinsend seine Hand entgegen, die
ich gekonnt ignorierte.
„Komm, setz dich", forderte mich Billie auf. Eine Bemerkung für die ich ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre. Dass ich mich in unserem Haus auf meinem Stammplatz niederlassen konnte, hatte ich in den 15 Jahren, die ich hier in Oakland lebte, auch schon kapiert. Da brauchte ich keine Extraeinladung, die mir vom neuen Lover meiner Mutter ausgesprochen wurde.
„Ich hoffe dir schmeckt mein Essen", sprang er dann plötzlich auf und lief geschäftig zu einer der Pfannen, in denen er das Fleisch wälzte.
„Es gibt Rumpsteak mit French Fries. Deine Mum hat mir schon viel von dir erzählt."
„Ich bin Veganerin", log ich gekonnt, während meine Mutter die Stirn runzelte.
„Seit wann denn das?", kam es schnippisch von ihrer Seite, woraufhin ich teuflisch grinsend mit den Schultern zuckte.
„Seit gestern", antwortete ich kühl, weshalb mich nun leicht vor den Kopf gestoßen musterte.
„Oh, verstehe. Mein Jüngster macht diese Phase auch gerade durch", grinste er amüsiert, weshalb ich kritisch die Augenbrauen nach oben zog.
Und das interessierte bitte wen?
„Schön für ihn. So sieht er gar nicht aus", konterte ich ironisch und warf ihm dann eine hinterhältige Fratze entgegen. Nicht ohne einen entsprechenden Kommentar von meiner Erziehungsberechtigten zu kassieren.
„Samantha, es reicht", brummte meine Mutter und stellte dann lautstark den Salat auf den Tisch, an dem ich angeekelt roch.
„Ja, mir schon lange", giftete ich zurück, weshalb mich unser Dauergast etwas seltsam musterte.
„Vielleicht solltest du lieber in deinem Zimmer essen", murrte meine Mum. Aber Billie hielt sie zurück.
„Amanda, lass sie doch. Das braucht eben alles seine Zeit. Das geht nicht von heute auf morgen. Das ist eben das, was ich meinte. Vielleicht hätten wir einfach noch damit warten sollen."
Sie hingegen verdrehte die Augen, setzte ein gekonntes Lächeln auf.
„Schatz, den richtigen Moment wird es nicht geben. Und wie du sagst. Das Leben muss auch weiter gehen."
Stöhnend verdrehte ich die Augen. Ich konnte es einfach nicht mehr hören.
Das sich vor mir erstreckende Bild war weitaus schlimmer, als jede Dailysoap im Vorabendprogramm.
Viel mehr noch. Für meine Mutter schien die Ehe zu meinem Dad längst der Vergangenheit anzugehören.
Mehr als genervt und mit angeekelter Miene packte ich mir etwas vom Gurkensalat auf den Teller.
Ich war der festen Überzeugung, dass das Zeug aus dem Kühlschrank stammte, wurde aber schnell eines Besseren belehrt.
„Na, kann ich wenigstens mit meinem neuen Rezept punkten? Schmeckt's?, deutete er auf meinen Teller, weshalb ich augenblicklich die Gabel fallen ließ. Das Zeug spritzte in alle Richtungen. Unter anderem auch auf sein weißes Sex Pistols T Shirt.
„Ja, echt scheiße", würgte ich den letzten Happen hinunter und hätte den Rest am liebsten auf den Teller gespuckt.
Meine Mum sah mich mehr als wütend an, ehe sie nach dem Lappen schnappte und ihrem Angebeteten die ersten Flecken vom T Shirt wischte.
„Samantha Prudence Walker. Es reicht. Verschwinde, ehe ich mich vergesse", schrie sie in meine Richtung, weshalb ich das Messer auch noch auf den Tisch knallte und dann laut würgend in Richtung Toilette verschwand.
Mit meiner schauspielerischen Leistung hätte ich glatt einen Oscar abgestaubt.
Ich würgte so lange, bis ich mich lauthals in die Kloschüssel erbrach.
„Vielleicht solltest du nach ihr sehen", hörte ich unseren Neuankömmling sagen, woraufhin meine Mutter lediglich die Tür zuschlug und ein deutliches Zeichen setzte.
Zu meinem Entsetzen, hatte sie meine Masche als Erste durchschaut.
„Wir könnten für morgen deine Söhne einladen. Vielleicht taut sie dann ein wenig auf", waren die letzten Gesprächsfetzen, die ich auf dem Weg in mein Zimmer mitbekam.
Spätestens nachdem ich ihr letzten Worte verdaute, hätte ich am liebsten den Rückweg zum Spülbecken angetreten.
Der Mann war der Alptraum in Persona.
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Nur zwei Stunden später lag ich in meinem Bett und starrte an die Decke.
Ein neuer Sport, den ich in den vergangenen sechs Monaten mit beachtlicher Kontinuität ausübte.
Seit dem Moment, als mein Vater gestorben war, hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren.
Seitdem ich denken konnte, war ich das typische Papa Kind gewesen.
Schon als Kleinkind schien ich extrem auf ihn fixiert zu sein. Ich liebte die Ausflüge, zu denen er mich am Wochenende mitnahm, war bereits als Säugling davon eingeschlafen, wenn er, nur um mich zu beruhigen, mit seinem alten Chevy Runden um die Häuser gefahren war.
Mein Dad hatte mir den Wert einer Frau vermittelt. Er war der erste Mann in meinem Leben, der mir Selbstbewusstsein beibrachte und mir gezeigt hatte, wie man mit Fantasie solide Dinge zum Leben erwecken konnte.
Vermutlich hätte ich ohne ihn nie Radfahren gelernt, weil ich dank meiner Tollpatschigkeit anfangs kaum geradeaus fahren konnte. Ich verdankte es seinen Stützrädern, dass ich irgendwann die ersten Strecken schaffte.
Es war einer dieser Momente, in denen ich jedes Detail an ihm vermisste.
Sein herzliches Lächeln, seine sanfte Stimme. Selbst die Art, wie er lief, oder die Türen aufschloss, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kam.
Und ganz plötzlich war da nur noch gähnende Leere.
Er war einfach nicht mehr da.
Dank meiner momentanen Glückssträhne wurde die Situation von niemand geringerem als Mr. Armstrong selbst unterbrochen.
Innerlich wartete ich nur noch auf den Moment, indem meine Mutter mit einem Heiratsantrag in mein Zimmer platzte und mich mit einem neuen Nachnamen konfrontierte oder mir freudestrahlend verkündete dass sie schwanger sei. Mittlerweile hielt ich selbst das für möglich.
„Knock, knock. Darf ich kurz rein kommen?", steckte er den Kopf in den Raum, weshalb ich resignierend die Augen schloss.
„Bist du doch schon", knurrte ich vor mich hin, während er abwertend die Hände erhob und dann etwas unglücklich im Raum verharrte.
„Hör mal, Sam. Falls ich dich überhaupt so nennen darf. Ich denke unser erstes Zusammentreffen ist mehr als unglücklich verlaufen. Und deshalb möchte ich vorab noch einmal eins klar stellen. Auch damit hier keine Missverständnisse entstehen. Ich möchte deinen Vater in keiner Weise ersetzen. Ich werde für dich nie wie einer sein. Und das liegt auch nicht in meiner Absicht. Aber vielleicht können wir so etwas wie gute Freunde werden."
„Hast du das auswendig gelernt und vorher aufgeschrieben? Oder hat dir das meine Mutter vorgeplappert?"
Er seufzte, sah mich missmutig an.
„Es war nicht meine Entscheidung hier einzuziehen, okay? Deine Mum hat mich darum gebeten, weil ihr die Decke auf den Kopf fällt. Ich finde es genauso früh, wie du selbst. Deshalb kann ich deine Abneigung verstehen."
„Ach was?", stammelte ich ironisch und richtete mich nach oben auf, während er unruhig von einem auf das andere Bein trat.
„Wird das jetzt die neue Nummer? Der neue „ich-bin-auf-deiner-Seite" Trip."
Er schüttelte ruckartig mit dem Kopf.
„Nein, Samantha. Das ist meine ehrliche Meinung. Und trotzdem finde ich, dass du dich unabhängig von mir, etwas toleranter gegenüber Amanda zeigen könntest. Deine Mutter leidet auch."
„Ach? Das sagt mir derjenige, der mit ihr nur 24 Wochen später regelmäßig in die Kiste geht? Hör mal, was soll das jetzt eigentlich? Lass es doch einfach. Ich bin nun mal keiner deiner Groupies, die dir naiv hinterher laufen. Sehen wir zu, dass wir die nächste Zeit noch irgendwie über die Bühne bringen. Und dann ist alles gut. Im Extremfall sind es drei Jahre und dann könnt ihr mein Zimmer zur offiziellen Kuscheloase umgestalten."
Wobei ich diese Zeitspanne innerlich stark in Frage stellte. Wenn meine Vertreibungstaktik funktionierte, hielt der sich keine vier Wochen hier.
„Zufrieden? Das ist doch ein Deal?"
Er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Nein, ist es nicht."
Moment. Sprach ich chinesisch? Was daran hatte er jetzt nicht verstanden?
„Was habe ich dir getan? Warum machst du sofort zu? Wieso lässt du niemanden an dich heran?"
Nervös wich ich seinen Blicken aus. Was sollte das jetzt wieder werden?
„Hör mal, ich mache auf der Bühne viel Mist. Aber ich bin auch nicht blöd. Vermutlich ist das deine Art, dein Inneres zu schützen, damit du niemanden zu nah an dich heran lässt. Aber glaub mir. Es wird auf die Dauer nicht funktionieren."
„Oh, jetzt hab ich Angst", versuchte ich die Situation ins lächerliche zu ziehen. Aber er verzog keine Miene.
„Ich habe meinen Vater auch sehr früh verloren. Ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn da ein neuer Mann im Haus steht und man das Gefühl hat, als ob er an die Stelle des eigenen Dad's tritt. Ich habe diesen Typen Abgrund tief gehasst. Damals war ich in deiner Position. Ich habe alles versucht, um ihn los zu werden. Wir haben die Trauer und die Wut in uns hinein gefressen. Nie über den Tod meines Vaters gesprochen. Alles sollte weitergehen wie bisher."
„Das tut mir sehr leid für dich", murmelte ich sarkastisch. Doch auch jetzt konnte ich ihn nicht aus dem Konzept bringen. Der Mann würde keine leichte Aufgabe werden. Auch wenn mich meine schnippische Art mittlerweile fast ein wenig selbst anwiderte. Das war nicht mehr ich, sondern ein selbstsüchtiger Teenager, der Rache für die Krankheit seines eigenen Vaters sühnte.
„Es ging soweit, dass ich seinen Tod nie verarbeitet habe. Das ist mir Jahre später bewusst geworden."
Ich musste an Wake me up when september ends denken. Den Song, den er einst an Gedenken an seinen Dad verfasst hatte.
„Ich muss dein Verhalten wohl oder übel akzeptieren. Aber trotzdem denke ich, dass du in Wirklichkeit ganz anders bist. Und deshalb sage ich dir nochmals. Ich will dir weder deine Mutter wegnehmen, noch deinen Vater ersetzen. Sie werden immer deine Eltern bleiben. Auch wenn es im Moment sehr schmerzhaft scheint."
Etwas baff und überfordert sah ich ihn an, bekam dann zum ersten Mal des Tages keinen kritischen Kommentar über die Lippen.
„Denk darüber nach. Ich wollte das nur klar stellen. Also dann, schlaf gut."
Mit dieser fragwürdigen Ansage ließ er mich zurück.
Für einen Moment wusste ich kaum, wie ich seine Worte deuten sollte. Es fühlte sich merkwürdig an. Gleichzeitig wusste ich, dass er recht hatte.
Mit schnellen Handgriffen schnappte ich nach meinem Ipod, rief die Youtube Seite auf, um schließlich heimlich mit den Klängen von "Wake me up when september ends" einzuschlafen...
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Sam (Green Day fanfiction)
Fanfiction(Green Day) Nachdem Sam ihren Vater verliert, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie flüchtet in ihre Erinnerungen, aus denen sie erst erwacht, als sie von ihrer Mutter mit ihrem neuen Stiefvater konfrontiert wird. Um wen es sich dabei handelt und o...