Kapitel 5

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Ich schloss die Augen, um den Moment des Kusses einzufangen und ihn voll und ganz zu genießen. Aber statt mich zu küssen, sagte sie: »Ich werde dir gern helfen. Wenn du möchtest, suchen wir für dich eine Frau. Also ich meine, damit du testen kannst, ob es dir gefällt.« Total irritiert öffnete ich die Augen, aber zum Glück konnte sie meinen Gesichtsausdruck nicht sehen. Dafür war es zu dunkel. »Hast du schon eine im Blick? Vielleicht die aus deinem Traum?«, fragte sie nach und ich hörte, wie sie leise auflachte. Ich konnte nicht antworten. Ob ich schon eine im Blick hatte? Natürlich hatte ich das. Sie. Ich wollte meinen ersten Kuss von ihr bekommen, aber das konnte ich ihr schlecht sagen. »Redest du jetzt nicht mehr mit mir?« Nun war sie etwas irritiert.

»Doch, klar.« Sollte ich es wagen? So viele Gedanken waren in meinem Kopf, alles war durcheinander. »Und? Gibt es nun eine, die dir gefällt?«, hakte sie nach. »Und ob es die gibt«, murmelte ich, schaltete meinen Kopf aus und küsste sie. Dieses Mal war es kein Traum! Ihre Lippen schmeckten etwas salzig, weil wir schon eine Weile hier am Wasser saßen, aber das störte mich überhaupt nicht. Sie stieß mich leicht von sich weg und unsere Lippen lösten sich voneinander. »Greta, es tut mir leid...«, fing ich an, aber sie zog mich wieder zu sich heran und erneut küssten wir uns. Ich hatte so etwas noch nie gefühlt. Es nahm meinen ganzen Körper ein.

Nach dem Kuss sagte niemand von uns etwas. Ich konnte nicht in Worte fassen, was gerade zwischen uns passiert war. Sie atmete tief durch. »Amelie, war ich die Frau aus deinem Traum?«, erkundigte sie sich vorsichtig. »Ja«, antwortete ich leise. »Aber du weißt, dass ich verheiratet bin und dass das gerade hier nichts zu bedeuten hatte? Es war nur so etwas wie deine erste Erfahrung, oder?« Ich schluckte. »Ja, das weiß ich. Aber ich hätte mir keine schönere erste Erfahrung vorstellen können«, vertraute ich ihr an und sie seufzte. »Es tut mir leid, ich hätte es nicht so weit kommen lassen sollen. Es war falsch von mir. Kannst du mir versprechen, dass das unter uns bleibt?« Wem sollte ich davon auch erzählen? »Ja, natürlich. Versprochen.«

»Ich werde dann jetzt besser mal gehen«, sagte sie und wollte aufstehen. »Nein, bitte. Bleib noch etwas«, flehte ich sie an. »Das halte ich für keine gute Idee.« Dann ging sie und ließ mich alleine in dem Strandkorb zurück. Was hatten wir getan? Ich musste an unsere Zukunft denken. Hatten wir unser gutes Verhältnis aufs Spiel gesetzt? Warum hatte sie mich wieder zu sich gezogen? Ich war noch verwirrter als zuvor. Das war nicht der Sinn dahinter gewesen, weshalb ich hierher kam. Aber war es Schicksal, dass wir uns hier getroffen hatten? Dann musste ich an Lina denken, an meine beste Freundin. Sie würde mich hassen, wenn sie davon erfuhr und ich konnte es verstehen. Ein Schamgefühl breitete sich in mir aus. Ich hatte ihre Mutter geküsst und dann hatte ihre Mutter mich geküsst.

Ich stand auf und ging nach Hause. Dort hüpfte ich unter die Dusche und kuschelte mich danach ins Bett. Immer wieder musste ich an diesen besonderen Moment denken. Die ganze Nacht über konnte ich nicht schlafen, weil ich nicht wusste, was auf mich zukam. Ich wälzte mich umher und gab den Versuch auf, nun endlich doch einzuschlafen. Deshalb schnappte ich mir mein Handy und öffnete WhatsApp. Ich wollte Gretas Gesicht sehen. Vor Schreck ließ ich fast mein Handy fallen, denn neben ihrem Namen stand »Online«. Mitten in der Nacht. Ließ ihr der Kuss etwa auch keine Ruhe? Ich tippte eine Nachricht an sie ein: »Hey Greta. Kannst du auch nicht schlafen wegen der Sache am Strand?« Fünf Sekunden später wurden die Häkchen blau. Sie hatte meine Nachricht gelesen und ging dann offline. Ich war enttäuscht, doch dann kam sie wieder online und ich konnte in unserem Chat das »schreibt...« lesen. »Hi, nein. Nicht wirklich. Weißt du, ich kenne dich schon so lange, da warst du noch ein kleines Kind. Ich könnte deine Mutter sein, verstehst du? Und was da passiert ist, kann man nicht entschuldigen. Was ich meinem Mann damit angetan habe... das war ein Fehler.« Ich las die Nachricht immer wieder. »Was DU deinem Mann angetan hast? Also ganz ehrlich, du solltest mal lieber darüber nachdenken, was er dir täglich antut!« Sie las die Nachricht, ging dann offline und kam in dieser Nacht nicht mehr online.

Auch am nächsten Morgen erhielt ich keine Antwort. Ich fand es irgendwie kindisch, wie wir miteinander umgingen. Vielleicht war es wirklich am besten, wenn wir uns etwas aus dem Weg gingen, damit wieder Normalität einkehren konnte. Auch wenn mir das gestern viel bedeutete, für sie war es eben nur ein Kuss aus der Situation heraus. Sie konnte nicht wissen, dass es mich mehr berührte als ursprünglich geplant, aber ich wollte mich auch nicht in ihr Leben einmischen. Ich selbst wusste ja auch nicht, was ich fühlen sollte.

Am Nachmittag schrieb Lina mir und fragte, ob wir uns treffen wollen. Ich sagte zu, aber wir vereinbarten als Treffpunkt den Strand und nicht ihr Zuhause. Ich packte meine Sachen zusammen und ging los. Ich musste mich unbedingt um mein Fahrrad kümmern. Am besten ging ich später kurz mit zu Lina und holte es ab. Als wir uns in der Sonne räkelten, redeten wir über Felix. Sie und Felix hatten sich bei einem Tanzkurs kennengelernt und würden demnächst ihr erstes richtiges Date haben. Sie war völlig aufgeregt. Plötzlich verstummte sie und setzte sich auf. Ein Schatten legte sich auf mein Gesicht. »Was ist los, Amelie?« Meine Augen blieben geschlossen, als ich antwortete: »Nichts. Was soll denn los sein?« Dann öffnete ich die Augen doch und sah, wie Lina mich musterte. »Du bist schon den ganzen Tag so komisch.« Mist, merkte man es mir wirklich so sehr an? »Tut mir leid, ich bin heute einfach nicht so gut drauf. Vielleicht brüte ich etwas aus.« Ich merkte, dass sie mir nicht glaubte. Dafür kannte sie mich zu gut. »Du weißt aber, dass du mit mir reden kannst, ja? Jederzeit und über alles.« Wenn ich ihr sagen würde, was mich belastete, würde sie das ganz sicher nicht mehr so sehen. »Natürlich. Du bist doch meine beste Freundin und wärst die erste Person, mit der ich reden würde.« Das beruhigte sie etwas und sie ließ sich zurück auf das Strandtuch sinken.

»Ich muss jetzt los«, sagte Lina eine Weile später und ich erwiderte: »Ja, in Ordnung. Ich komme noch kurz bei dir mit vorbei. Muss jetzt endlich mal mein Fahrrad holen und reparieren lassen.« Sie regte sich und schaute mich an. »Ich gehe nicht nach Hause, ich habe heute doch den letzten Termin beim Tanzkurs.« Ich biss mir auf die Lippen. Stimmt, das hatte sie mir heute schon erzählt. »Ach, ich Schussel! Das erwähntest du ja bereits. Dann komme ich eben doch einen anderen Tag vorbei, aber dir viel Spaß beim Tanzen mit Felix.« Sie grinste und ihre Wangen verfärbten sich leicht rot. »Danke, den werde ich haben. Du kannst trotzdem zu mir gehen, meine Mama ist da. Sie hat doch noch Urlaub und ist aber auch ganz schön mies drauf. Nur so als kleine Vorwarnung«, sagte sie und zwinkerte mir zu.

Ich war auf dem Weg nach Hause, aber dann entschloss ich, doch noch bei Greta vorbeizuschauen. Ich konnte es nicht sein lassen. Als ich bei ihrem Haus ankam, stand mein Fahrrad nicht mehr vorn, deshalb klingelte ich. Greta öffnete mir die Tür und sah mich entgeistert an. »Was willst du hier?«, flüsterte sie. »Keine Sorge, ich werde nicht über dich herfallen. Ich habe es schon verstanden, dass es nur ein Kuss war, der nichts bedeutet. Ich wollte mein Fahrrad abholen, es steht nur nicht mehr da, wo ich es abgestellt habe.« Sie sah mich mit einem Blick an, den ich nicht richtig deuten konnte, aber bat mich schließlich herein. »Ich habe es nach hinten geschoben.« Ich dankte ihr und wir gingen in die Küche. Dort war die Terrassentür, durch die wir in den Garten gelangten. »Hör mal, Amelie. So meinte ich das nicht. Ich hätte dir einen anderen ersten Kuss gewünscht und nicht einen mit mir. Du hast etwas Besseres verdient.« Etwas Besseres? Das war so eine dämliche Ausrede, dachte ich wütend. Sie kam einem »wird schon wieder« oder »es liegt nicht an dir« gleich. »Ernsthaft? Etwas Besseres? Du bist wunderschön, innerlich und äußerlich. Es gibt nichts Besseres. Es gibt so viele Frauen, aber niemand lässt mein Herz so hoch schlagen... wie du in letzter Zeit.« Jetzt war es raus. Ich war zwei Sekunden lang mutig und griff nach ihrer Hand, um diese auf meinen Oberkörper zu legen, dort wo mein Herz wild klopfte. Sie riss die Augen auf, als sie es spürte. Und ich spürte, dass es in diesem Moment wieder nur uns beide gab. Wir sahen uns tief in die Augen und näherten uns an. »Sicher?«, fragte ich sie, aber da bewegte sie sich mit ihrem Mund schon auf meinen zu. Und dann standen wir eine Ewigkeit da und küssten uns. Plötzlich drehte sich ein Schlüssel in der Haustür und wir fuhren entsetzt auseinander. Erschrocken sahen wir uns an, unsere Gesichter waren ganz rot und unsere Haare etwas zerzaust. Wir waren beide wie erstarrt, als Paul um die Ecke kam.

The way I feel for her || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt