Ich wusste am nächsten Morgen nicht mehr, wie ich eingeschlafen bin. Durch eine Bewegung neben mir wurde ich wach. Langsam öffnete ich die Augen. Alles war verschwommen, ich fühlte mich komplett gelähmt. Mit jedem Blinzeln schmerzten meine Augen. Ich hatte so viel geweint und nun hatte ich die Rechnung dafür erhalten. »Ich wollte nach dir schauen, bevor ich zur Arbeit fahre«, sagte meine Mama leise und dafür war ich ihr dankbar. Jedes Geräusch kam mir plötzlich unnatürlich laut vor. »Kann ich dich überhaupt alleine lassen? Du siehst wirklich nicht gut aus.« Ich setzte mich auf. »Ja, alles gut.« Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. »Was ist das denn?«, fragte sie erschrocken und starrte auf meine Arme. Ich trug ein Top und schaute auf die Stelle, die sie anvisierte. Meine Oberarme waren blau. Abdrücke von Hände zeichneten sich ab. »Hat er dich verletzt? Dieser Mann, von dem du gesprochen hast gestern?« Völlig irritiert schaute ich sie an. Dann fiel mir ein, was sie meinte. »Nein! So ist es nicht. Du denkst in die falsche Richtung«, versuchte ich zu erklären, aber sie hörte mir nicht mehr zu. »Du sagst mir jetzt sofort, wen du triffst und dann werde ich ihn mir mal vornehmen.« Ich schüttelte den Kopf. Was sollte ich ihr sagen? »Falls du es nicht tust, dann frage ich Lina.« Eine Trauerwelle durchfuhr meinen Körper. »Die wird dir nichts sagen.« Sie schnaubte wütend. »Das ist mir egal, dann rede ich mit Greta, dass sie mit ihr sprechen soll. Mütter haben viel Überzeugungskraft.« Greta. Ihren Namen zu hören, versetzte mir einen so heftigen Stich, dass es wehtat. Fürchterlich. »Was ist los?«, fragte sie ängstlich. Ich fing an zu weinen und es brannte höllisch. »Auch Greta wird dir nichts sagen dazu. Glaub mir.« Sie war hilflos. »Sprich doch bitte mit mir«, bat sie mich und ich konnte es nicht länger zurückhalten. Die Worte sprudelten aus meinem Mund: »Es tut mir so unglaublich leid, Mama. Aber es ist Greta. Ich treffe Greta.« Kerzengerade saß sie auf der Bettkante und rührte sich nicht.
»Wie meinst du das? Wie du triffst Greta?« Ich holte tief Luft. »So wie ich es gesagt habe. Wir haben uns ineinander verliebt.« Sie runzelte die Stirn und sah mich fassungslos an. »Was erzählst du mir hier? Greta ist doch mit Paul verheiratet.« Ich schüttelte den Kopf. »Noch. Sie lässt sich von ihm scheiden.« Sie stand auf, lief im Zimmer umher. Auf und ab. »Ich bin gerade irgendwie geschockt, mir fehlen die Worte. Aber warum hast du diese Stellen am Arm?« Sie blieb stehen und blickte mich an. Es war mir total unangenehm, ihr das zu beichten, aber ich musste. »Greta hatte gestern Abend sturmfrei und ich war bei ihr. Und dann kam Lina unerwartet früher nach Hause und... nun ja... sie hat uns... erwischt.« Nun war es raus. Ich konnte es nicht mehr zurücknehmen. Sie schloss die Augen und meinte nur: »Oh, Gott.« Dann fragte sie: »Und weiter? Hat Lina dir das angetan?« Ich schüttelte erneut den Kopf. »Nein, Lina hat mich nur angeschrien, sie will mich nicht mehr sehen. Als ich nach Hause gelaufen bin, habe ich Paul getroffen. Er hat mich zur Rede gestellt und in seiner Wut etwas fester zugepackt. Aber das ist nicht so schlimm, ich kann ihn verstehen.« Sie zog die Augenbrauen nach oben. »Amelie, ganz egal, wie sehr du jemanden verletzt hast, niemand hat das Recht, dich anzufassen. Wir werden ihn anzeigen.« Für einen Moment fehlte mir die Sprache. »Mama, nein! Damit machen wir alles nur schlimmer. Es ist sowieso egal. Das war es. Es ist vorbei mit uns.« Sie kam wieder auf mich zu und setzte sich. »Hat sie das gesagt?« Wieder weinte ich. »Sie hat gesagt, dass sie sich entscheiden muss. Entweder Lina oder ich. Aber ich liebe sie. Ich liebe sie wirklich. Und ich weiß auch, dass sie mich liebt. Lina verzeiht mir das nie.«
Sie küsste meinen Kopf und nahm mich in die Arme. »Es tut mir so leid. Aber du musst das akzeptieren. Irgendwann. Sie ist eine erwachsene Frau und Lina ist ihre Tochter. Du musst Lina auch verstehen, die Situation überfordert sie.« Ich nickte. »Ich weiß doch, aber ich war noch nie so glücklich.« Dann klopfte es an der Tür. Papa steckte seinen Kopf durch die Tür. »Wenn ich dich mitnehmen soll, dann müssen wir jetzt los.« Mama sah mich an und öffnete den Mund, aber ich kam ihr zuvor und sagte: »Geh ruhig, alles gut.« Sie schaute mir tief in die Augen. »Wirklich?« Papa sah uns fragend an. »Ja, wirklich.« Sie stand auf und ich flüsterte ihr noch fragend zu: »Kann das bitte unter uns bleiben?« Verständnisvoll nickte sie und antwortete: »Natürlich. Wenn etwas ist, dann kannst du mich anrufen, ja?« Und dann verließen sie das Haus.
Ich ließ mich zurück in das Bett fallen und schnappte mir mein Handy. Es war aus. Sollte ich es überhaupt jemals wieder einschalten? Ich fühlte mich nicht bereit. Wollte einfach in einer Blase leben, aber das war keine Lösung. Ich musste ihre Nachricht zu Ende lesen. Also schaltete ich es ein. Es vibrierte in einer Tour. Greta hatte versucht, mich anzurufen. Und das mehrere Male! WhatsApp zeigte mir 11 Nachrichten an von ihr, die sie in der letzten Nacht und auch heute früh geschrieben hatte. Ich scrollte durch die Benachrichtigungen und überflog sie. »Bitte melde dich, ich mache mir schreckliche Sorgen.« Das war die letzte Nachricht. Ich öffnete WhatsApp und schloss die Augen. Wollte ich das alles wirklich noch lesen? Konnte ich einen Schlussstrich ziehen? Ohne die Nachrichten je gelesen zu haben? Nein, das konnte ich nicht. Ich scrollte zurück. Und begann erneut zu lesen: »Lina ist enttäuscht, wütend, verletzt, einfach alles und ich kann es verstehen. Ich habe als Mutter versagt. Sie hat gesagt, ich soll mich entscheiden. Entweder sie oder du. Aber ich kann mich nicht entscheiden, Amelie. Ich liebe meine Tochter, aber dich auch. Keine Ahnung, wie es weitergehen wird mit uns, aber wir finden eine Lösung, ok?« Mir wurde schlecht und ich weinte. Dieses Mal aber vor Erleichterung. Warum hatte ich die Nachricht gestern nicht schon zu Ende gelesen? Ich las weiter: »Geht es dir gut?« Die nächste Nachricht war: »Amelie? Wo steckst? Bist du gut zu Hause angekommen?« Oh, Gott. Sie hatte sich die ganze Nacht Sorgen gemacht. »Ich kann dich nicht erreichen. Gehe doch bitte an dein Handy!!!« Den Rest überflog ich, es standen ähnliche Dinge drin. Sollte ich ihr antworten oder sie anrufen? Anrufen war wohl keine gute Idee, wenn Lina bei ihr war, oder? Ich schrieb ihr zurück: »Es tut mir so leid, mein Handy war aus. Ich habe geschlafen. Mir geht es den Umständen entsprechend. Wie geht es dir? Was ist mit Lina?«
Sofort kam sie online. »Gott, ich bin so froh, dass du geschrieben hast. Ich war kurz davor, bei deiner Mama anzurufen. Ich fühle mich etwas überfordert. Lina spricht nicht mit mir, sie hat ihre Sachen gepackt und ist nun zu Paul ins Hotel gezogen. Ich gebe ihr die Zeit, die sie braucht. Sie muss das auch erst einmal verarbeiten. Aber es ist nun mal passiert, wir können nichts rückgängig machen und das will ich auch gar nicht. Ich wünschte nur, ich hätte es ihr schonender beibringen können.« Mein Herz klopfte wild. Ich musste ihr erzählen, dass meine Mama Bescheid wusste. »Meine Mama weiß, was zwischen uns ist.« Innerhalb einiger Sekunden schickte sie drei Fragezeichen zurück. »Ich musste mit ihr darüber reden. Aber keine Sorge, sie behält es für sich, es ist alles in Ordnung.« Ich öffnete die Galerie und schickte ihr unser Selfie. »Du fehlst mir«, schrieb ich dazu. »Du fehlst mir auch.« Es tat so gut, das von ihr zu hören. Ich sah gedankenverloren unser Foto an. Wir sahen beide so glücklich aus, aber konnten wir es in Zukunft auch sein? »Wann sehen wir uns wieder?«, fragte ich, aber konnte mir die Antwort schon denken. »Ich weiß es nicht, ich muss schauen. Aber wir können gern telefonieren. Vielleicht heute Abend?«, kam zurück. »Klingt gut!« Ich konnte es kaum erwarten, ihre Stimme zu hören.
Dann tippte ich auf Linas Chat. Ich hatte das Bedürfnis, mich bei ihr zu entschuldigen. Ich musste das einfach loswerden. Aber sie gab mir keine Chance, denn ich konnte nichts sehen – kein Bild, keinen Status, nichts. Sie hatte mich blockiert und eine unendliche Traurigkeit breitete sich in mir aus, weil ich selbst die Schuld dafür trug.
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The way I feel for her || gxg
Romance»Amelie, es tut mir leid, aber zwischen uns war nichts, ist nichts und wird nie etwas sein. Du hast dich da in etwas verrannt«, flüsterte sie mir leise zu und ihre Augen glänzten feucht im Licht der Laterne. Sie sah sich immer wieder ängstlich um. »...