Ich starrte einfach so an die Wand. Ich war glücklich darüber, dass ich Greta etwas bedeutete, aber dafür war ich gerade auf dem besten Weg meine Freundin zu verlieren. Vielleicht war es auch schon zu spät. Aber das konnte und wollte ich nicht zulassen. Es war so, als wäre ich Meredith Grey und sie meine Cristina Yang. Sie war meine Person, meine Vertraute. Ich würde ihr die Zeit geben, die sie brauchte.
Den Tag über passierte bei mir nicht viel. Ich schaute meine Serie weiter und nach dem Mittag beschloss ich, etwas laufen zu gehen, um den Kopf frei bekommen. Also zog ich mich um, wärmte mich auf und lief los. Ich lief in Richtung Strandpromenade und es war heiß. So heiß, dass ich überlegte, wieder nach Hause zu laufen. Aber ich wollte es schaffen. Dieses Ziel setzte sich so in meinem Kopf fest, dass ich mein Umfeld gar nicht wahrnahm. Ich wusste nicht, warum ich in diesem Moment nach rechts schaute, aber ich tat es und erblickte Lina. Sie stand mit Felix am Strandaufgang. Sollte ich sie ansprechen? War es zu früh? Wie in Trance bewegte ich mich auf die beiden zu. Dann erkannte sie mich und ihr zuvor liebevoller Gesichtsausdruck verwandelte sich in Wut und Hass um.
»Was willst du?«, schnauzte sie mich an und Felix sah verwirrt zwischen uns beiden umher. Anscheinend hatte sie ihm nichts erzählt vom letzten Abend. Ihr Gesicht war ganz rot und ich wusste, dass nicht nur die pralle Sonne daran die Schuld trug. »Können wir bitte reden?«, flehte ich sie an. »Unter vier Augen?« Fassungslos sah sie mich an. »Dass du dich nicht schämst, Amelie. Erst die Sache gestern Abend und jetzt kommst du hier auch noch an und willst reden? Du spinnst doch total! Lasse mich bitte einfach in Ruhe, ok? Auf deine geheuchelte Scheiße habe ich keine Lust mehr.« Felix schaute sie an und konnte nicht glauben, was sie mir da gerade an den Kopf geworfen hatte. Sie nahm seine Hand und zog ihn mit in Richtung Meer. »Bitte, Lina. Du bist doch meine beste Freundin«, versuchte ich es erneut und sie schnellte herum. »Wehe, du nennst mich noch ein einziges Mal so. Wir waren beste Freunde. Das ist vorbei. Wir gehen ab jetzt getrennte Wege.« Und dann gingen die beiden mit schnellen Schritten weiter und ließen mich zurück.
Ich war absolut nicht in der Position, dass ich wütend sein durfte, aber ich war es trotzdem. Natürlich hatten Greta und ich einen Fehler gemacht, aber wir hatten es nicht absichtlich getan. Da waren einfach Gefühle im Spiel, die man nicht steuern konnte. Aber dass sie mir keine Chance gab, die Sache zu erklären – das machte mich richtig sauer. Ich drehte um und lief zurück nach Hause. Als ich dort ankam, war ich außer Puste. Ich hatte gerade einen neuen Rekord aufgestellt. So schnell war ich noch nie gelaufen.
In der Küche kippte ich mir ein Glas Wasser ein und trank es gierig leer. Dann zog ich die Klamotten aus und stopfte sie in den Wäschekorb, der hoch voll war. Ich seufzte. Wenn ich sowieso nichts zu tun hatte, konnte ich ebenso die Wäsche machen und meiner Mama etwas unter die Arme greifen. Ich brauchte Ablenkung und deshalb kümmerte ich mich nicht nur um die Wäsche, sondern saugte und wischte das Haus und entfernte das Unkraut auf der Terrasse. Danach nahm ich eine heiße Dusche und fühlte mich etwas besser. Als ich gerade zurück in meinem Zimmer war, klopfte es an der Tür. Meine Mama. Sie hatte Feierabend. »Hey, ich wollte nur mal nach dir sehen.« Sie lächelte mich aufmunternd an. »Das ist lieb, danke.« Sie kam rein und setzte sich auf meinen Stuhl. »Ich habe nachgedacht, Amelie. Vielleicht ist es doch ganz gut, dass Greta sich gegen dich entschieden hat.« Ich erstarrte. Warum sagte sie so etwas? »Also ich meine, du bist noch so jung und sie steht mitten im Leben, da...«, sprach sie weiter, aber ich unterbrach sie. »Warte, vergiss bitte, was ich heute früh gesagt habe. Ich habe ihre Nachricht zu Ende gelesen. Sie hat sich nicht für Lina entschieden. Also jedenfalls nicht so, wie ich dachte. Sie liebt mich trotzdem und möchte mit mir zusammen sein. Auch wenn alles kompliziert ist, finden wir schon eine Lösung.« Sie rieb sich die Augen. Sie hatte in letzter Zeit schon genug durchgemacht, ich wollte sie nicht auch noch mit meinen Problemen belagern. »Also alles in Ordnung. Fast jedenfalls. Ich war laufen und habe Lina getroffen. Sie will mich nicht mehr sehen.« Nun kam sie zu mir herüber und umarmte mich. »Gib ihr einfach ein wenig Zeit. Sie ist schockiert und muss die Nachricht erst einmal verarbeiten. Stell dir vor, du wärst in ihrer Lage, würdest du nicht auch so reagieren?« Ich nickte. »Natürlich würde ich das. Aber ich weiß nicht, wie ich Greta und Lina unter einen Hut bekommen soll. Sie wird das niemals akzeptieren!« Dass ich es mir noch einmal bewusst vor Augen führte, machte mich wieder traurig und meine Wut war verflogen.
Sie wollte gerade darauf antworten, da klingelte es an der Tür. Ich wollte aufstehen, aber sie meinte nur: »Du wartest hier, ich gehe und bin sofort zurück. Ist wahrscheinlich nur die Post, die wieder ein Paket für Frau Helm abgeben will.« Sie verdrehte lachend die Augen und sprang auf. Frau Helm war unsere Nachbarin und anscheinend kaufsüchtig. Jede Woche nahmen wir Pakete für sie an, weil sie stets und ständig unterwegs war. Mama hatte die Tür aufgelassen und ich konnte hören, wie sie erstaunt rief: »Oh, Paul! Dich habe ich ja ewig nicht mehr gesehen.« Ich saß wie angewurzelt auf meinem Bett. Paul? DER Paul? Ich musste es herausfinden und stand auf, um zu lauschen. »Wie kann ich dir helfen?«, fragte meine Mama und er antwortete: »Es geht um Amelie. Darf ich kurz reinkommen?« Ich hörte, wie sie beide in die Küche gingen und tapste leise bis zur Treppe, damit ich alles verstehen konnte. »Möchtest du etwas trinken?«, fragte sie freundlich, aber er verneinte. Dann sagte er: »Ich möchte nicht, dass Amelie noch einmal zu uns nach Hause kommt. Sie soll Greta in Zukunft in Ruhe lassen.« Meine Mama lachte böse auf. »Und mit welcher Begründung?« Er räusperte sich und erwiderte: »Das ist nicht so wichtig. Fest steht jedenfalls, dass deine Tochter nicht so brav ist, wie du vielleicht denkst. Sie ist kein guter Umgang mehr für meine Familie und setzt ihnen nur Flausen in den Kopf.« Seine Stimme klang gefährlich, aber meine Mama ließ sich davon nicht einschüchtern. »Jetzt höre mir mal gut zu«, sagte sie bestimmt. »Erstens ist Amelie alt genug und ich kann und möchte ihr nicht mehr vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hat. Und zweitens weiß ich Bescheid. Du musst hier nicht um den heißen Brei herumreden, weil dein Ego vielleicht angekratzt ist. Ich kenne die Geschichte, Paul. Denkst du, wenn Amelie sich von Greta fernhält, lässt sie sich doch nicht scheiden? Das glaubst du ja wohl selbst nicht, oder? Greta ist eine erwachsene Frau. Sie wird schon wissen, was die richtige Entscheidung ist. Die Unterhaltung ist für mich nun auch beendet.« Wütend schnaubte Paul und antwortete drohend: »Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt! Ich werde um Greta kämpfen und dann sehen wir ja, wer am Ende gewinnt.« Meine Mama klatschte in die Hände. »Super, wenn es das jetzt wäre, dann weißt du ja, wo die Tür ist.« Dann hörte ich die Haustür scheppernd ins Schloss fallen.
Ich war so unglaublich stolz auf meine Mama. Sie war eine starke Frau, die immer für ihre Familie da war. Ich liebte sie so sehr. Schnell schlich ich zurück in mein Zimmer und kurze Zeit später war sie zurück. Ich wollte mir nichts anmerken lassen, deshalb fragte ich beiläufig: »Und? Hat Frau Helm wieder etwas bestellt?« Kurz sah sie mich irritiert an, aber sagte dann: »Nein, da war nur ein Spinner, aber er hat sich wohl im Haus geirrt.« Ich musste mir das Lachen verkneifen, beließ es aber dabei. Wir redeten noch etwas über mein Problem und danach fühlte ich mich tatsächlich etwas besser. Schließlich ging sie, da mein Papa auch von der Arbeit kam.
Am späten Abend vibrierte mein Handy und eine Nachricht von Greta wurde mir angezeigt. »Hey, wie sieht es aus bei dir? Hast du Zeit, dann rufe mich an.« Und das tat ich dann auch. Als sie abnahm und ich ihre Stimme hörte, wurde mein ganzer Körper mit Glückgefühlen durchströmt. Ich sagte: »Es tut so gut, deine Stimme zu hören.« Sie lachte leise auf und mein Herz drohte zu explodieren vor Glück. »Auch wenn die Situation gestern nicht optimal war«, fing sie das Gespräch an. »Ich fand es trotzdem sehr schön mit dir.« Wieder fing mein Herz an zu rasen. »Ich fand es auch wunderschön.« Sollte ich ihr von Paul erzählen? Ich entschied mich vorerst dagegen. Ich musste aber eine andere Sache ansprechen, die mir auf dem Herzen lag. »Ich weiß, dass du gesagt hast, du möchtest jetzt nicht an die Zukunft denken und du dich nicht entscheiden willst. Aber wenn es wirklich dazu kommen sollte, würdest du dich für Lina entscheiden, richtig?« Sie sagte nichts. »Ich könnte deine Entscheidung verstehen. Sie ist deine Tochter. Sie ist der Mensch, den du am meisten liebst. Also... richtig?« Greta gab leise zu: »Richtig.«
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The way I feel for her || gxg
Romance»Amelie, es tut mir leid, aber zwischen uns war nichts, ist nichts und wird nie etwas sein. Du hast dich da in etwas verrannt«, flüsterte sie mir leise zu und ihre Augen glänzten feucht im Licht der Laterne. Sie sah sich immer wieder ängstlich um. »...