45. Doch die Kälte und der Schmerz bleiben.

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Sonntag, 19.November 2017

Auf der Party

Raven

Ich will hier nicht mehr stehen, diesen Schmerz fühlen. Ich will alles was zwischen mir und Blake passiert ist ungeschehen machen und mein altes Leben zurück. Wo war diese Grenze, von der immer alle reden, wo war sie? Wann habe ich sie überschritten? Er wendet sich ab, von dem was er zuvor mit finsterem Blick betrachtete. Er hat so nahe an mir vorbei gesehen und mich trotzdem nicht bemerkt. Nun spüre ich diese Kälte die in mir herankriecht und einen von innen auffrisst. Und diese Kälte verleiht mir für einen Moment Kraft. Ich bemerke diese wohltuende Wärme neben mir, doch ich setze mich in Bewegung und laufe. Ich werde von allen Seiten angemotzt und beschimpft, doch ich reagiere nicht darauf. Ich laufe die Straßen entlang. Der Schmerz und die Kälte trägt mich. Schluchzend komme ich nach einer Ewigkeit Zuhause an. Ich will diesen Schmerz in mir vergessen. Und jetzt, jetzt kann ich auch all die Menschen verstehen, die in diesen Momenten zur Rasierklinke greifen. Sie wollen durch diese Verletzungen und das Blut vom inneren Schmerz abgelenkt werden und zurück in die Realität geholt werden. Sie wollen aus diesem scheinbaren Traum erwachen. Doch irgendwann stellen sie fest, es ist kein Traum. Und plötzlich, da ich sie so gut verstehen kann, will ich auch wissen wie dieses Gefühl ist. Wie automatisch tragen mich meine Füße in das Bad und meine linke Hand greift nach der Klinke. Ich setze sie an meinen rechten Arm an und schneide mir ins Fleisch. Das Blut tropft aus der Wunde. Der Schmerz holt mich zurück in die Realität und ich bemerke erst jetzt, dass ich mich gerade wirklich zum ersten Mal geritzt habe. Schnell wasche ich das Blut weg, verdecke meine Wunde und verschwinde aus dem Bad. Etwas benommen ziehe ich mir mein Kleid aus und schlüpfe unter die Bettdecke. Im Mondlicht betrachte ich meine Wunde, die von einem Pflaster überdeckt ist. Und der Schmerz macht sich in mir wieder breit. Wieso? Wo war die Grenze? Tränen fließen über meine Wangen und Tropfen auf meinen Polster. Eigentlich dachte ich mir, dass ich stärker geworden bin. So was habe ich doch schon durch gemacht. Doch anscheinend habe ich mich da gewaltig getäuscht.

Mit dem Schmerz in mir weine ich mich in den Schlaf.

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Es ist nur ein Wimpernschlag. Ein Wimpernschlag durch den ich wieder aufwache. Die Tränen getrocknet auf meiner Haut. Die Schnittwunde an meiner Hand. Doch ich will nicht raus aus meinen Bett und mich den Alltag stellen. Langsam schließe ich meine Augen und öffne sie wieder langsam. Die Erinnerung an gestern, hat mich nicht eine Sekunde lang ruhig gelassen. Gefühlslos richte ich mich im Bett auf. Die Kälte in mir hat den Schmerz vertrieben. Doch ich bin mir sicher es wird nicht lange anhalten. Damals als mein Opa starb, sagten sie zu mir, mit der Zeit verheilen die Wunden, ich war ein naives Kind. Ich glaubte auch an die wahre Liebe und die Liebe auf den ersten Blick. Mir wurde es so gesagt, doch ich lernte schnell, dass alles nur aus Lügen, Betrug und dem Geld besteht. Die Wunden verheilen nicht mit der Zeit. Sonst hätte ich damals meinen Opa vergessen müssen. Doch an wichtige Menschen erinnert man sich, die vergisst man nie. Denn der Schmerz bleibt. Vielleicht vergisst man ihn zwischendurch, doch immer dann wenn man sich an die Person erinnert, bemerkt man, dass etwas fehlt und dass es nie wieder zurückkommt.

Mit Tränen in den Augen, schaue ich aus dem Fenster. Die Sonne kämpft sich den Weg durch die Wolken, bis sie mir ins Gesicht blendet. Doch das ändert rein gar nichts an der Kälte in mir. Ich wende mich ab und suche nach etwas, womit ich die Wunde verstecken kann.

Langsam und gefühlslos gehe ich dir Treppe hinunter und stehe nun vor der Wahl. Diesen Alltag beschreiten, ein Lächeln auf die Lippen zaubern und den ganzen Tag das eigene Lachen fälschen oder alles hinschmeißen, irgendwo herum hocken und den Schmerz spüren. Ich will hier einfach nur weg. Weg von jedem und allem.

All die Nachrichten und verpassten Anrufe auf meinem Handy ignoriere ich. Als ob sich wirklich jemand Sorgen macht. Meine Kopfhörer finde ich auf meinen Schreibtisch. Ich mache die Musik an, gehe an Gabes Haus vorbei, der gerade die Haustür öffnet. Doch ich ignoriere ihn, so wie jeden und alles.

So schleichend wie der Tag gekommen ist, geht er auch wieder. Doch die Kälte und der Schmerz bleiben. Die Anrufe nahm ich nicht entgegen. Auf Nachrichten antwortete ich nicht. Die Hausaufgaben machte ich nicht. Für Tests lernte ich nichts. In meinem Essen stach ich nur herum und schob es dann weg. Mein Lachen fälschte ich. Meine Tränen unterdrückte ich. Die Wunde von gestern, betrachtete ich und setzte daneben noch eine. Die Musik berührte mich nicht, doch ich verstand den Text. Fast den ganzen Tag verbrachte ich in meinem Bett und kroch nur selten heraus. Nicht mal eine brennend heiße Dusche konnte den Schmerz und die Kälte nur ein kleines Stückchen bessern. Und schließlich weinte ich mich wieder in den Schlaf.

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Montag, 20.November 2017

Zuhause

Raven

Meine Träume beinhalten nichts. Nur pure Leere. Kalt begebe ich mich, wie den Tag zuvor, zu meinem Schrank, suche mir etwas, wo man die zwei Wunden nicht sieht. Mache mich fertig und setze mich zu meinem Bruder ins Auto. All die Worte prallen an mir ab und seinen besorgten Blick ignoriere ich. Vielleicht gefällt ihm meine Laune jetzt mehr, nicht so wie diese, wo ich über beide Ohren grinste. Wenn sie mich fragen was los ist, antworte ich, dass ich nur müde bin. Ich steige aus seinem Auto aus, kuschle mich tiefer in meine Jacke und gehe ohne Emotion auf den Eingang zu. Alles lässt mich kalt, nichts macht mich glücklich, nichts bringt mich zum Lachen. Sie machen sich Sorgen, sie fragen nach, sie geben nicht nach, doch jeder bekommt die gleiche Antwort. Mir ist kalt, mir wird immer kälter, ich bin kalt. Den ganzen Tag laufe ich mit Jacke herum, jeder denkt ich wäre krank. Und vielleicht, vielleicht bin ich das auch. Das Einzige, was in mir eine Emotion hervorruft, ist dieses Lachen, dieses sorgenlose Lachen von Blake, als wäre er die Unschuld in Person. Er kann mich nicht bemerken, denn ich bin nicht die alte Person. Ich bin still, in mich gekehrt, Kämpfe gegen die Tränen an und würde am liebsten nur unsichtbar sein.

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Mit besorgten Blick mustert mich Jade, >>Was ist nur los mit dir?<<

>>Ich bin nur müde.<<, antworte ich ihr, wie zuvor jeden anderen auch.

>>Mir kannst du nichts vormachen. Wieso sagst du nicht einfach was los ist?<<

Ich atme tief ein und aus, während sich wieder Tränen in meinen Augen bilden. Schnell ziehe ich sie mit mir in die Toiletten. >>Du willst wissen was mit mir ist?<<

Jade bemerkt die Tränen in meinen Augen, >>Ja. Ich bin deine Freundin. Glaubst etwa ich will das nicht wissen? Ich mache mir echt Sorgen um dich.<<

>>Kannst du dich noch an die Party erinnern?<<, frage ich mit zitternder Stimme, >>Blake und ich haben uns geküsst.<<

Jades Augen weiten sich und für einen Moment freut sie sich, doch schnell begreift sie, dass es mir nicht so geht.

>>Dann ist er weg. Ich habe ihn gesucht. Ich hab' ihn gefunden.<<, eine Träne kullert über meine Wangen, doch kurz darauf macht sich die Kälte wieder breit, >>Er hat irgendein Mädel halb aufgefressen.<<

Raven - I love you betterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt