44. Kuss

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Samstag, 18.November 2017

Auf der Party

Raven

Als sich unsere Lippen wieder lösen, bin ich kurz davor ab zu hauen. Irgendwie ist mir das gerade zu viel. Doch ich weiß, dass ich mich hassen werde, wenn ich jetzt davon laufe und ich möchte auch nicht so sein wie diese Mädchen in den Filmen.

Mein Blick wandert wieder zu Blake, doch bevor er etwas sagen kann unterbricht uns eine bekannte Stimme.

>>Raven!<<, schreit Haley überrascht, >>Hast du nicht gesagt du kommst nicht?<<

Es dauert etwas bis ihre Worte in meinen Gehirn ankommen während ich hinter Haley eine grinsende Jade entdecke. Und dieses Grinsen ist echt vielsagend. Ich hoffe ich täusche mich, aber es sagt so viel wie, dass sie unseren Kuss beobachtet hat.

Mit einem schütteln hole ich mich selbst in die Wirklichkeit zurück, >>Ja. Ich hatte dann doch noch Zeit.<<

>>Und wieso meldest du dich dann nicht?<<

Neben mir bemerke ich wie Blake in sich hinein grinst, >>Sie hatte zu viel mit dem Aufkehren der Scherben zu tun.<<

Erschrocken reiße ich meinen Kopf in seine Richtung. Er jedoch grinst nur schelmisch entgegen und zwinkert mir zu.

>>Was?<<, ist Haley verwirrt.

>>Nichts.<<, versuche ich das Thema zu beenden doch Jades Gesichtsausdruck verrät mir, dass  das Thema noch lange nicht abgehackt ist. Warum muss sie auch immer sowas mitkriegen. Gott. Wird sicher noch lustig.

>>Sie hat nur einen Bilderrahmen runtergeschmissen, weil ich ihr geschrieben habe.<<

>>Nein, habe ich nicht.<<, streite ich ab. Vielleicht etwas zu schnell.

Blake jedoch raunt mir nochmals ins Ohr, >>Babe, du weißt genau das es so wahr.<<

Danach verschwindet er und lässt mich zurück bei Haley und Jade. Klar, ich stehe jetzt nicht alleine hier herum und meine Freundinnen ziehen mich auch schnell in irgendeine Richtung, um etwas zum Trinken zu holen, jedoch hat es sich wirklich gerade so angefühlt, als würde er mich einfach alleine zurück lassen. Dabei war ich doch die, die nach dem Kuss bei ihm geblieben ist. Ich bin nicht einfach auf und davon, so wie viele andere es machen. Ich habe mich dagegen gewährt und bin geblieben. Und er? Er haut jetzt einfach so ab? Vielleicht kann irgendwer verstehen, dass ich mich gerade dezent verarscht fühle.

Den ganzen Abend schweift mein Blick über die Menge, in der Hoffnung Blake zu finden. Ich suche die ganze Zeit nach ihm, während er, was weiß ich, tut. Und ganz langsam, und mit jeder Stunde, schleicht sich bei mir die Angst ein, dass dieser eine Kuss Blake nichts bedeutet hat. Ganz langsam werde ich immer unruhiger und der Gedanke, dass es eine Wette war, erscheint mir immer realer. Wo ich zuerst noch dachte, als ob, es gibt schon eine einfache Erklärung, vielleicht ist er einfach schon nach Hause, womöglich hat er mir schon geschrieben, aber ich habe die Nachricht nicht bekommen, nein, er hat sich doch verändert, glaube ich immer mehr, dass ich ihm doch egal bin. Dieser eine Kuss ist doch von ihm aus gegangen, jedoch wollte ich ihn auch. Und erst jetzt bemerke ich, in welcher Situation ich mich wieder finde. So was wollte ich doch gar nicht. Bis vor kurzem habe ich doch gesagt, dass ich keinen Freund will und ich generell keinen Bock auf den Scheiß habe. Und jetzt?

Das Brennen in meinen Augen holt mich aus meinen Gedanken. Schnell versuche ich die kommenden Tränen weg zu blinzeln und suche nach den Toiletten. Vermutlich sind sie sowieso überfüllt, aber einen Versuch ist es wert.

Langsam dränge ich mich an den Menschen vorbei. Ich bahne mir einen Weg vorbei an den knutschenden Pärchen, den besoffenen Grabschern und den tanzenden Mädchen. Manche der Leute kommen mir bekannt vor, andere nicht. So wie dieses eine Pärchen, dass ein paar Meter entfernt sich halb auffrisst. Sie scheint einer dieser typischen Tussis zu sein, die mindestens mit drei verschiedenen Typen auf einer Party knutscht und mit einem dann nach Hause mitgeht. Und er, keine Ahnung, er steht mit dem Rücken zu mir. Ich gehe weiter, doch kurz darauf stoppe ich und drehe mich zurück zu den zwei. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, aber nicht aus Freude, mehr aus Angst. Während sie sich aus dem Kuss lösen, hoffe ich, dass meine Befürchtungen nicht wahr werden.

Das ist doch nicht...nein, das kann nicht sein. Er ist doch bestimmt nicht mehr auf der Party, immerhin habe ich ihn seit vier Stunden nicht mehr gesehen. Doch mein Atem stockt und mein Herz bleibt für einen Augenblick stehen, als er an mir vorbei in eine Richtung schaut und sich sein Blick verfinstert.

Ein Teil in mir zerbricht und diese Hoffnung, die mir sagt, das kann nicht sein, versucht diese Teilchen aufzufangen. Dieser Teil der in mir zerbricht, von dem wusste ich bislang nichts. Wie auch immer ich es geschafft habe, so etwas zu entwickeln und gleichzeitig nichts davon zu bemerken, dieser Teil, der mir gerade wie ein Wunder vorkommt, dieser Teil ist gerade zerbrochen. Wie so ein kleines Wunder, dass in mir heran gewachsen ist und sich so versteckt hat, denn hätte ich es bemerkt, hätte ich es nicht zu gelassen. Denn dieser Teil ist vor drei Jahren abgestorben und auseinander gefallen. Und der Schmerz der dadurch entsteht, macht sich in mir breit. Dieser Schmerz an dem ich damals fast zerbrochen wäre, hätte mich der plötzliche Kontaktabbruch nicht gerettet. Und dieser verdammte Schmerz löst diese eine Träne aus. Ein Klos bildet sich in meinem Hals und schnürt mir die Luft ab. Die Tränen versperren mir die Sicht und meine Beine spüre ich nicht mehr. Ich will hier weg, doch sobald ich einen Schritt setzen würde, würden meine Beine unter mir versagen. Ich will mein Gesicht von ihnen abwenden, doch ich warte noch immer auf das Zeichen, dass es nicht so ist wie es aussieht. Ich will mir meine Hände schützend vor das Gesicht halten um den Schmerz zu verbergen, doch etwas in mir will ihm diesen verdammten Schmerz, an dem ich zerbreche, zeigen und ihm klar machen, das er gerade einen Menschen zerstört hat. Ich will schreien, doch aus meinen Mund weicht kein Wort. Ich will diesen kleinen Funken, diese kleine hoffnungsvolle Pflanze, diesen kleinen Teil Liebe, diesen kleinen Teil Leben, dieses kleine Licht in der Finsternis, in mir retten, denn ich dachte nicht, dass ich nochmals irgendwann in meinen Leben, dieses Gefühl der Liebe erlebe, doch dieses Licht, das wie ein Wunder entstand, erlischt gerade. Ich will die Zeit zurück drehen unsere erste Begegnung, wo ich auf seinen Platz saß, löschen. Ich will die Wette damals mit Drake rückgängig machen. Ich will meine Worte ändern und mich damals einfach entschuldigen. Ich will seine Entschuldigung im Krankenhaus angenommen haben. Ich will sein Geständnis, was er über mich denkt, aus meinen Kopf bekommen. Ich will zusammen mit ihm nicht nach Jade gesucht habe und mich danach von ihm nach Hause bringen lassen. Ich will nicht, dass ich mich damals entschloss mich mit ihm zu befreunden und ihm die Hand zu reichen. Ich will nicht, dass er mich mit seinen Händen berührte. Ich will nicht, dass er meine Nummer hat. Ich will nicht, dass er Kontakt zu mir hat. Ich will diesen verdammten Kuss rückgängig machen und jede Begegnung mit ihm. Ich will nicht wieder so leiden wie früher. Warum? Warum? Warum bloß? Wieso bemerke ich immer erst dann alles, wenn es schon zu spät ist? Wieso? Wieso kann ich nicht einmal Glück haben? Warum? Warum schenke ich jeden meine Liebe und warum muss ich immer alle lieben? Warum kann nicht einmal, nur einmal, mich mal jemand lieben? Warum? Warum bin ich immer die, die den Schmerz erleben muss und kämpfen muss? Warum bin ich immer die, die auf der Linie zwischen Leben und Tod steht? Warum muss ich all diesen Scheiß erleben? Warum ich? Wenn ich doch schon diesen Schmerz und diesen Kampf erleben musste.

Raven - I love you betterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt