Verblassen

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Dein Leben läuft nicht, wie du wolltest, dass es läuft. Dein Leben hat aufgehört, dein Leben zu sein, irgendwie. Das hast du herausgefunden. Du hast die Kontrolle verloren oder vielleicht  hattest du sie nie. Dein Leben läuft nichg, wie du wolltest oder vielleicht läufst du nicht so, wie das Leben es wollte, vielleicht. Wann, wie, was passierte, das weißt du nicht. Vielleicht  ist nichts passiert, vielleicht  ist  das das Problem. Hättest du es verhindern können, etwas ändern können, dafür sorgen können, dass dieser Zug des Lebens nicht entgleist? Hättest du? Menschen haben Horizonte, bemerkst du plötzlich, Grenzen in ihrer Vorstellungskraft, ihrer Wahrnehmung und du, bemerkst du, dubist hinter diesem Horizont.  Du bist nicht unsichtbar, nur allzu oft zu weit entfernt, außer  Sichtweite, wie nicht existent. Menschen stellst du dir wie Farbpaletten vor; bunt, so bunt, Pastell oder auch Acryl, Aquarell, manchmal Öl. Und du kannst sie sehen, diese Farben. Wie sie strahlen oder wie matt sie sind und du weißt auch genau warum du sie sehen kannst. Du bist nämlich kein Teil dieser farbigen Welt, so fühlt es sich an. Du fühlst doch nicht bunt, nicht mehr, fühlst dich verblasst und hast das Gefühl, immer mehr zu verblassen. Du bist der triste, graue, wässrige  Beobachter dieser farbenfrohen Seelen und Auren. Das Mädchen, das am heutigen Morgen den Gang hinaufläuft; sie lächelt ebenso energiegeladen wie sie läuft. Sie ist ein Acryl; Echtgelb und sie sieht dich nicht. Die drei Jungen, die dir kumpelhaft brüllend und lachend entgegen kommen sie sind ein auf einer großen Leinwand gespachteltes Dunkelblau oder vielleicht  ein Bordeaux; ihr Blick gleitet durch dich hindurch wie durch Wasser . Und schließlich die fünf Mädchen; die etwas verrückte, freudige, beliebte Gruppe, zu der du sehnsüchtig hinüberblickst. Ihre Farben gefallen dir, manche mehr, andere eher weniger. Du siehst ein sanftes Mausgelb, ein stürmische Rot, ein aufbrausendes Mittelblau, ein lebhaftes Pastell Violett und da, da siehst du sie, sie und ihre schillernden Farben. Mit deinem sehnsüchtigem Blick folgst du eigentlich immer bloß ihr. Nicht zu hoch, nicht so, dass sie in deine Augen blicken könnte, würde sie dich sehen. Auch wenn dir klar ist, dass sie dich nicht sehen wird, dich nicht bemerken wirst, die bist zu blass geworden, bist zu weit entfernt. Du folgst ihr weiter. Die Gruppe redet immernoch fröhlich und lacht viel dabei. Du kannst auch ihr Lachen hören und es ist so wunderschön, so zauberhaft, so magisch wie der ganze Rest an ihr. Sie ist alles, was du eigentlich brauchst. Doch sie sieht dich nicht, brauchst dich nicht mehr, natürlich nicht. Du bist nur du und sie... ist sie. Eines der fünf Mädchen, die Maisgelbe, lächelt dich kurz an und du lächelst zurück, wenn es auch ein trauriges Lächeln ist.Sie ist tatsächlich die Erste, die dich heute gesehen hat, dich wahrgenommen hat, aber leider nicht diejenige, von der du es dir so sehnlichst gewünscht hättest. Sie ist nicht sie. Sie ist nicht die Farbe, die du brauchst, nicht die Farbe, an die du deine eigene einst vorhandene Farbe verloren hast - leidenschaftlich. Und dabei weiß sie all das nicht einmal. Ein weiteres Mal fliegt ihr wacher, mutiger Blick über dich hinweg als gäbe es dich nicht. Deine leise Hoffnung schwindet wie du selbst es mit jedem Tage tust. Schmerzlich lächelst du, versuchst das Bedauern in dir zu verdrängen. Es ist besser für sie, das sagst du dir.
Aber nicht für dich, flüstert dein Herz. Doch das ignorierst du - wieder einmal.

Flügel der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt