Charlie war in eine wohlige Dunkelheit gehüllt. Irgendwo in weiter Ferne vernahm er das Rauschen des Regens, und eine Stimme in seinem Kopf sagte ihm, dass es Zeit war, die Augen zu öffnen. Doch die sanfte Schwärze um ihn herum schien ihm viel heilsamer. Er sank zurück in ihren wohligen Schoß.
Vor seinen Augen tanzten kleine bunte Lichter wie Funken im Wind. Er fühlte sich, als hätte ihn ein Zug überrollt. Es gab keinen Muskel in seinem Körper, der nicht dumpf vor Schmerz pochte. Er schlug die Augen auf und hustete schwach. Sein Rachen fühlte sich an, als wäre er aus Schleifpapier und das Schlucken fiel ihm schwer. Seine gesamte linke Körperhälfte brannte und er schmeckte Ruß. Langsam richtete er sich auf, um seine Verletzungen zu betrachten, da erkannte er, dass sein ganzer Körper von einer grünlichen Paste bedeckt war. Charlie schüttelte mit trockener Kehle den Kopf und sah sich zum ersten Mal um. Er war in einem kleinen schmuddeligen Zimmer. Überall standen, hingen und lagen Topfpflanzen. Er selbst lag auf einem kleinen Sofa und ein Farn kitzelte ihn am Zeh. Langsam versuchte er, sich aufzurichten. Hinter ihm raschelte etwas und eine junge Frau sagte: „Du bist der dümmste Ritter, den ich je gesehen habe und nun bleib' liegen und lass' die Pflanzen ihre Arbeit tun."
„Dank, ähm...", seine Stimme war rau und er musste Husten. Missmutig ließ er sich zurück in die Kissen sinken. Die junge Frau kam zu ihm und lächelte ihn aufmunternd an.
„Rose.", antwortete sie ihm und reichte ihm ein großes Glas Wasser. Charlie zog eine angekokelte Augenbraue hoch und merkte, wie die Haut seines ganzen Gesichts spannte. Er nahm das Glas jedoch und trank es gierig leer.
„Ich bin-"
„Interessiert mich nicht.", unterbrach sie ihn forsch. Er zog die Augenbrauen zusammen und warf ihr einen fragenden Blick zu. Dann sa er sich unauffällig in dem kleinen Raum um. Es schien nichts auf Magie hinzudeuten. Sie hatte keine seltsamen Gerätschaften herumliegen, über dem Kamin hing kein Kessel. Er sah auf dem Tisch ein kleines schwarzes Kästchen aufleuchten und ihm gegenüber an der Wand stand ein schwarzer Bildschirm. Charlie war natürlich schon ein paar Mal in den umliegenden Muggelbars und seine Kollegen hatten ihm erklärt, was das für Gerätschaften waren. Sie war also keine Hexe. Nur wie sollte er ihr erklären, dass er halbverbrannt mit den Überresten eines Besens mitten... tja mitten im Wald wenn er sich recht erinnert, gelegen hatte?!Rose musterte ihn kritisch und ihn überkam ein unangenehmes Gefühl dabei. Sie starrte ihn unentwegt an und erst als er sie genau dabei beobachtete, erkannte er, dass sie vielmehr seine Wunden inspizierte, als ihn. Sie kräuselte leicht die Nase und ließ sich dann neben ihm auf einem kleinen ledernen Sitzpouf nieder.
"Wie fühlst du dich?", fragte sie, noch immer den Blick auf seinen Hals gerichtet. Erst jetzt erkannte Charlie, dass sie mit britischem Akzent sprach. Er war es gewohnt, gebrochenes Englisch oder Rumänisch mit den Leuten in seiner Umgebung zu sprechen.
"Uhm." Charlie bewegte seine Beine ein wenig. Er fühlte sich erstaunlicherweise gut. Sein linker Oberschenkel juckte, aber ansonsten hatte sich der Schmerz zurückgezogen. Die Erschöpfung steckte ihm noch in den Knochen, aber nichts, was mit ein wenig Schlaf nicht zu beseitigen wäre. Er fragte sich, was für eine Paste er auf seinem Körper kleben hatte.
Rose zog die Augenbrauen fragend hoch.
"Gut, eigentlich." Er konnte das Erstaunen in seiner Stimme nicht gänzlich verbergen.
"Hm." Sie zuckte mit den Schultern und griff sich ein Stück Kuchen vom Teller. Charlie tat es ihr gleich.
"Willst du nicht wissen wie... Also was mit mir passiert ist?", fragte er schließlich. Der Kuchen schmeckte nach Karotten und Zimt, er griff erneut zu.
"Erzählst du es mir denn?"
"Naja...", begann er, nichtwissend, was er einer Muggel über seinen Unfall erzählen sollte.
"-Dachte ich mir." Rose erhob sich und brachte ihm ein weiteres Glas Wasser. Sie schien absolut nicht neugirig zu sein, und Charlie wurde skeptisch. Während sie ihm den Rücken zukehrte, musterte er sie erneut. Obwohl es in den letzten Tagen hochsommerliche Temperaturen hatte, trug sie lange, knallenge Jeans und ein blaues Sweatshirt."Ach Schätzchen, du siehst beschissen aus!", sagte Rose, ohne sich zu ihm umzudrehen. Charlie räusperte sich unbehaglich. Schätzchen?!
"Oh, Also-", stotterte er.
"Ach nicht du, dummer Ritter!", fauchte Rose und ließ das volle Glas neben ihrer kleinen Spüle stehen. Er seufzte. Sein Durst war groß und er sehnte sich nach dem Wasser. Doch Rose huschte stattdessen hinüber zum Fensterbrett und strich sanft über die Blätter eines unscheinbar wirkenden grünen Gewächses.
Charlie zupfte die Decke von seinen Beinen und sah, dass er seine eigenen Boxershorts trug. Der Drache hatte zum Glück nur seine linke Seite getroffen und seiner leicht rosa schimmernden Haut unter der grünen Paste nach, konnten seine Verbrennungen nicht so stark gewesen sein. Wenn er daran zurückdachte, dann fühlte er sich allerdings, als wäre er eine menschliche Fackel gewesen. Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Er hatte tatsächlich angenommen, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Dieses hinterhältige Biest!
„Dank dir stirbt meine Parietaria." Rose schlenderte, mit dem Topf im Arm und seinem Glas Wasser in der anderen Hand, zu ihm rüber.
„Tut mir leid.", Charlie fühlte sich nach seinem dritten Glas Wasser endlich imstande, sich gänzlich aufzurichten und betrachtete das kleine brennnesselartige Gewächs in ihrem Arm.
„Naja, wenigstens stirbst du nicht. Vorerst.", Rose zuckte mit den Schultern und betrachtete ebenfalls die Pflanze. Sie zupfte vorsichtig an einem der kleinen herunterhängenden Blätter und ihr Gesichtsausdruck wurde bekümmert. Charlie wollte etwas sagen um sie aufzuheitern, doch er schien nicht die richtigen Worte zu finden. Was sollte er denn auch sagen?!
„Danke.", brummte er dann noch immer heißer. Rose sah ihn nicht an, sondern zupfte weiterhin niedergeschlagen an dem kleinen Kraut herum. Es sah tatsächlich ziemlich tot aus, musste Charlie feststellen. Wenn er nur seinen Zauberstab hätte dann... Es durch zuckte ihn wie ein heißer Blitz. Wo war sein Zauberstab?! War er zerstört worden?! Er hatte die schlechte Angewohnheit, ihn immer in seiner linken Tasche aufzubewahren, so konnte er ihn schneller ziehen und er störte ich nicht so sehr beim Arbeiten.
„Rose, wo- wo sind meine Sachen?", fragte er vorsichtig. Sie hatte noch immer nicht den Blick von ihrer Parietaria genommen.
„Du kannst nicht gehen.", sie blickte nicht einmal auf bei ihren kalten Worten. Charlie erschauderte. Ihre Stimme war eiskalt. Sie sah ihn plötzlich an und ihre Augen brannten sich förmlich in seine. Was zur Hölle war hier los?! Er sah sich erneut rasch im Raum um, doch er konnte nichts Ungewöhnliches feststellen, außer der Unmenge an Pflanzen, die sie in allerlei Gefäßen herumstehen hatte. Manche von ihnen waren in alte Kochtöpfe oder Schuhe gepflanzt. Vielleicht war sie doch nicht so harmlos, wie er gedacht hatte. Sie musste seinen entsetzten Ausdruck gesehen haben und fügte nun mit ruhiger Stimme hinzu: „Du brauchst noch einmal einen Wickel, sonst kann sich deine Haut nicht richtig erholen. Keine Sorge, es wird nicht mehr lange dauern.", mit diesen Worten erhob sie sich, setzte die Pflanze behutsam auf den kleinen wackeligen Tisch vor ihr ab und ging zu einem großen Bücherregal.
Charlie merkte erst jetzt, dass es als Raumtrenner fungierte, denn sie verschwand halb dahinter, beugte sich nach unten und schien ein wenig herumzukramen. Dann erhob sie sich wieder mit einem Bündel in den Händen. Er konnte sofort seine Drachenlederjacke erkennen. Sie war als einzige seiner Kleidungsstücke vollkommen heil geblieben. In der linken Innentasche ertastete er seinen Zauberstab und das vertraute Kribbeln durchzuckte ihn, als er über den Stoff der Tasche strich. Sofort atmete er erleichtert auf. Das T-Shirt welches er noch getragen hatte, war an der Brust vollkommen verkohlt. Er hätte die Jacke schließen sollen, dachte er missmutig. Seine Hose, obwohl er das ganze linke Bein entlang Verbrennungen hatte, war auf wundersame Weise auch heil geblieben. Bei näherer Betrachtung musste er allerdings feststellen, dass das linke Hosenbein erneuert war.
„Danke.", meinte er erneut und erst jetzt war es ihm gelungen, erneut Blickkontakt mit dieser seltsamen jungen Frau aufzunehmen. Sie hatte große leuchtend grüne Augen und ein breites Gesicht. Ihre Nase war schmal und sie hatte kleine Lachfältchen um den Mund. Er erkannte, dass sie ein wenig älter sein musste, als er zuerst angenommen hatte.
„Kein Problem.", murmelte sie und wandte sich rasch ab um eine Schale mit lauwarmem Wasser und ein flauschiges Handtuch zu holen. Charlie schüttelte den Kopf über diese seltsame Gestalt und wusch sich die eingetrocknete grüne Paste vom Körper, während Rose in der Küche eine neue anrührte.Sie hieß ihn an, sich ein wenig auszuruhen als ihm immer wieder die Augen zufielen. Er sank ohne ein weiteres Wort zurück in die Kissen. Sein Blick wanderte die Decke entlang und er musste feststellen, dass sich auch bereits hier die Pflanzen ausgebreitet hatten. Er schüttelte sanft den Kopf und musste Lächeln. Dann schloss er genüsslich die Augen und die Erschöpfung zog ihn in einen ruhigen Schlaf.
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„Hey, dummer Ritter!", Roses Stimme riss ihn einige Stunden später hoch. Er sah sich verschlafen um. Es musste dunkel sein draußen, denn im Zimmer brannte Licht. Elektronisches Licht. Er seufzte und erinnerte sich daran, aufzupassen, was er sagte und tat.
„Hm?", brummte er und fuhr sich durch das zerzauste rote Haar. Es war ein wenig angekokelt, aber nichts, was sich nicht im Handumdrehen mit einem Zauber beheben ließ.
Rose stand in der Küche und rührte in einem kleinen rostigen Topf, sie stand mit dem Rücken zu ihm und Charlie konnte nicht umhin, sie ausgiebig zu mustern. Sie hatte sich umgezogen, trug nun eng anliegende Lederhosen, ein durschimmerndes lachsfarbenes Etwas und High Heels, in denen sie unmöglich laufen konnte. Alles was sie trug schmeichelte ihrer Figur und schien seine Sinne zu vernebeln. Es war viel zu lange her, dachte er seufzend und konnte erst den Blick von ihr wenden, als sie mit einer dampfenden Schüssel in den Händen auf ihn zukam, scheinbar barfuß gehend. Sie reichte ihm einen Löffel und die Schüssel, dann strich sie sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte, zurück und stemmte die Arme in die Hüften.
„Ich muss arbeiten gehen. Du musst bis morgen bleiben. Ruh dich aus und iss. Dort ist der Fernseher, falls dir langweilig wird. Halte dich von meinem Bett fern. Und meinen Kleider. Und meinen Pflanzen... Bewege dich einfach so wenig wie möglich und rühr nichts an." Sie sah ihn mit strengem Blick an konnte ein Grinsen allerdings nicht verhindern, als sein Magen demonstrativ rumorte. Er hörte sich an, wie ein missmutiger Drache und die beiden begannen zu lachen.
„Was arbeitest du?", ein wenig unsicher, ob er die Antwort hören wollte, stellte er die Frage trotzdem. Der Duft des Eintopfes stieg ihm in die Nase und er schob sich einen Bissen in den Mund, bevor Rose antworten konnte. „Ich bin Barkeeperin." Sie wandte sich um und verschwand hinter dem Bücherregal. Charlie wusste, dass sie nicht mehr von sich preisgeben wollte, dennoch ärgerte es ihn. Wenn sie etwas zu verbergen hatte, warum holte sie dann einen Fremden in ihr Haus?
„Warum eigentlich dummer Ritter?" fragte er dann. Sie kam hinter dem Bücherregal hervor, trug nun eine Jeansjacke über dem seidigen Top und zupfte sich etwas aus den Haaren.
„Wer sonst ist bescheuert genug, alleine gegen einen Drachen kämpfen zu wollen?!"
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Drachenherz & Kräuterblut
FanfictionCharlie Weasley kehrt nach dem Begräbnis seines Bruders nach Rumänien zurück und vergräbt sich in seine Arbeit mit den gefährlichsten Echsen der Welt. Bei einem seiner Abenteuer als Drachentrainer lernt er eine mysteriöse Frau kennen, die ein schrec...