Prolog

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„Ich werde Schildmaid, Da! Ob du willst oder nicht!"

Lasse verkniff sich ein Grinsen, als er Jules trotziges Gesicht sah.

Sein Bruder hatte wirklich seine liebe Not mit seiner ältesten Tochter und er wollte nicht der Nächste sein, der seinen Zorn zu spüren bekam.

Er drehte sich um, damit keiner von beiden sein Kichern bemerkte. Nein, er beneidete Stijn wirklich nicht. Jule war schon immer stur und verbissen gewesen. Und sie hatte von Anfang an klar gemacht, was sie wollte. Sie wollte kämpfen. Am Anfang hatten die Erwachsenen es noch belächelt, doch nun, da sie von dem Gedanken nicht abkam, versuchten sie alles um Jule daran zu hindern. Doch sie blieb stur.

Stijn seufzte.

„Deine Mutter will das nicht akzeptieren und auch mir dreht sich der Magen um, wenn ich daran denke, dass ich dich vergewaltigt auf dem Schlachtfeld finde. Oder Schlimmeres. Ich habe mehr als einmal miterlebt, was mit Frauen geschieht, egal ob auf dem Schlachtfeld oder außerhalb davon."

Lasse drehte sich um und starrte seinen Bruder an.

Er wusste genau, von welchem Ereignis Stijn sprach. Er war damals zu klein gewesen, aber er hatte gehört, was man der Frau seines ältesten Bruders Tjark angetan hatte. Stijn hatte sich nach dem Ereignis so verändert, dass ihn die Götter zur Strafe in die Zukunft geschickt hatten. Seit er wieder mit seiner Frau Liv und den Zwillingen Thorge und Jule zurück war, hatte er einen Beschützerinstinkt für seine Familie entwickelt, der beinahe schon mit Besessenheit zu vergleichen war. Und das galt vor allem seinen Kindern. All seinen Kindern.

Jule stampfte mit dem Fuß auf.

Obwohl sie mittlerweile vierzehn Jahre alt war, hatte sie diese Unart nicht abgelegt.

Lasse verzog das Gesicht. Er wusste genau, was nun kommen würde.

Das würde Ärger bedeuten.

Stijn richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Gesicht spiegelte die Wut wieder, die er verzweifelt versuchte zu unterdrücken. Seine Hände schlossen sich zu Fäusten und öffneten sich wieder. Sein Kiefer mahlte und ein Muskel an der Wange zuckte. Alles Zeichen, dass Stijn wütend war.

Obwohl er mittlerweile schon mehrere Kinder hatte, war Stijn noch jung. Bei den anderen Wikingern war er als Heißsporn bekannt, der immer noch zuerst seine Streitaxt schwang und sich erst danach fragte, ob es ein guter Einfall sei.

Doch jetzt beherrschte er sich. Wie immer, wenn er in Streit mit Jule geriet. Und das kam oft vor.

„Ich habe nein gesagt und es ist mein letztes Wort!"

Jule schrie ihre Wut heraus.

Wenn man sie zusammen sah, konnte man nicht meinen, dass Stijn nicht ihr leiblicher Vater war. Die beiden hatten das gleiche Wesen. Beide waren stur und dachten nicht nach bevor sie handelten. Nur wenn es um etwas Ernstes ging war wenigstens Stijn vernünftig. Doch Jule...ja, Jule war eindeutig von Stijns Brut, wie Tjark es immer zu sagen pflegte.

„Bei Thorge und Lasse machst du kein so Theater! Dabei ist Thorge genauso alt wie ich und Lasse nur ein Jahr älter! Ich verstehe deine Logik nicht!"

Lasse verdrehte die Augen.

Sie benutzte wieder Worte aus der Zukunft. Auch das kam oft vor, wenn sie in Wut geriet. Obwohl sie schon länger in dieser Zeit lebte, als in der Zukunft, konnte sie es einfach nicht ablegen. Und daran waren Liv und Tilda, seine Schwägerin und Ziehmutter, nicht ganz unschuldig. Auch sie warfen den Leuten Wörter an den Kopf, die man nie gehört hatte.

„Die beiden packst du auch nicht in Watte und behandelst sie, als ob sie Heulsusen wären! Nur mich! Als ob wir noch in der Zukunft wären!"

Stijn kniff den Mund hart zusammen.

Jules langer Weg -Gunnarsson-Saga Teil 3-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt