Langsam schlich sie die dunkle Straße entlang. Ein paar vereinzelte Straßenlaternen tauchten das Grau an manchen Stellen in dunkles gelb. Der Wind wehte durch ihre Haare und die Kälte schlich sich in ihren Körper.
Sie versuchte vergeblich ihr Minikleid etwas nach unten zu ziehen, damit sie nicht erfror. Die dünne Strickjacke nutzte ihr auch nicht wirklich etwas. Bei jedem zweiten Schritt knickte sie um und stolperte die Straße mehr entlang, als das sie ging. Die Schuhe waren eindeutig zu hoch. Was tat man nicht alles, um angenommen zu werden.
Der Wind pfiff ihr immer stärker um die Ohren und zu allem Überfluss fing es jetzt auch noch an zu regnen. Kleine Tropfen liefen ihre nackten Beine runter in ihre Schuhe. Und schon wieder stolperte sie. Laut seufzte sie und schlüpfte aus den hohen Hacken. Barfüßig über den kalten Asphalt setzte sie einen Fuß vor den nächsten und versuchte nicht vor Schmerz laut aufzuschreien.
Der Regen wurde immer stärker und klatschte gegen ihr mit Make-Up zugekleistertes Gesicht. Die Wimpertusche war mittlerweile sicherlich verschmiert, aber das war ihr egal. Es waren jetzt nur noch drei Straßen bis zu ihrem Haus. Drei Straßen voller Schmerzen und qualvoller Kälte. Die ganze Stadt schien wie ausgestorben. Sie hörte kein Geräusch; es herrschte Totenstille. Der Regen prasselte weiterhin auf die Erde herab und sie war mittlerweile überall klatschnass.
Zitternd lief sie weiter, mit den Gedanken an ihr warmes, gemütliches Bett. Mit blauen Fingern klingelte sie an der Haustür. Keine Reaktion. Genervt klingelte sie nochmal. Immer noch Stille.
„Ja.", hörte sie eine verschlafene Stimme hinter der Tür. Die Tür öffnete sich und eine sehr müde Bö machte die Tür auf.
„Bö? Warum zur Hölle bist du noch wach?", fragte sie entsetzt. „Lu! Da bist du ja endlich! Wir haben uns alle solche Sorgen gemacht!", sagte die Kleine und rieb sich die Augen. „Wir? Du meinst wohl du...", sagte Lu etwas säuerlich.
„Ich kann nicht schlafen.", antwortete Bö traurig. Die Kleine war schlau genug das Thema zu wechseln, sonst wäre wahrscheinlich wieder ein großer Streit ausgebrochen. Lu merkte das gar nicht wirklich und heftete ihre Gedanken wieder an ihr warmes Bett. Sie schubste Bö beiseite, um ins Haus zu kommen. „Dann versuch' es weiter. Gute Nacht.", sagte sie schnell und lies das kleine Mädchen allein im dunklen Flur zurück.
„Warte.", rief sie ihr mit verweinter Stimme zu und rannte ihr hinterher. „Ich hab Angst.", flüsterte sie. „Boah Bö. Nerv' mich jetzt nicht, mein Schädel brummt.", zischte Lu sie an und ging weiter.
Überrascht von der Kaltherzigkeit ihrer Schwester tapste das Mädchen zurück in ihr Zimmer. Sie würde nicht einschlafen können. Genau wie die Tage davor, an denen sie allein im dunklen Zimmer gesessen und zahllose Bilder gemalt hatte. Es beruhigte sie auf eine seltsame Art und Weise. Und sie malte für ihre sieben Jahre wirklich gut.
Bö tastete mit ihren dünnen, kleinen Fingern nach der Schreibtischlampe und suchte in den vielen Schubladen nach noch weißem Papier. Ihr Blick viel auf die alte Schreibmaschine, die ganz oben in dem alten Schrank stand. Wie gerne Bö schon schreiben und lesen können würde... Sie könnte die ganzen alten Bücher ihrer Mutter lesen, die unten im Keller standen und selbst welche schreiben. Generell war sie sehr schlau und weit für ihr Alter. Sie konnte ohne Probleme Nudeln kochen, den Müll rausbringen und andere Dinge, die eigentlich Lu machen sollte.
Irgendwann war sie dann wohl doch eingeschlafen, denn am nächsten Tag wachte sie mit dem Kopf auf dem Tisch auf. Lu schlief bestimmt noch. Sie schlief immer lange und ihr Vater war wahrscheinlich wieder arbeiten. Er arbeitet immer und war sehr selten zu Hause.
„Bö! Na endlich. Ich geh' jetzt zu meiner Freundin. Du kommst klar oder? Ich bin bevor es dunkel wird wieder zu Hause.", sagte Lu und war schon aus der Tür ehe sie zu Ende gesprochen hatte. Bö war es gewohnt allein zu sein. Oft ging sie dann in den Keller und durchstöberte die alten Sachen ihrer Mutter. Könnte sie nur lesen, dann würde sie die ganzen Sachen vielleicht verstehen.
Lu ging nicht wirklich zu einer Freundin, sondern in den Park, um mit den anderen eine zu Rauchen. Vor Bö rauchte sie allerdings nie, da sie nicht riskieren wollte verpetzt zu werden. Dabei hatte Bö sie noch nie verpetzt, dazu war sie zu gutherzig.
„Wow, ist die von Gucci? Ich bin ja eher ein Prada-Fan, aber die ist auch echt voll in Ordnung.", sagte Lina und strich über das schwarze Leder der Tasche. „Na klar, was denkst du denn." grinste Lu stolz. Wenn Lina wüsste, dass die Tasche gestohlen war, würde sie bestimmt noch breiter Grinsen. Dass Klauen und Stehlen mittlerweile zum Alltag der kleinen Bande gehörte, wussten natürlich weder Bö noch ihr Vater.
Lu hatte so einige Geheimnisse vor ihrer Familie, aber das war ihr egal. Ihre Familie war ihr egal. Natürlich bekam sie manchmal ein schlechtes Gewissen, wegen den Dingen, die sie tat, aber das war so selten, dass man es an einer Hand abzählen konnte. Sie hatte sich enorm verändert seit dem Tod ihrer Mutter. Mehr als ihr oder Bö lieb war.
„Man ich bräuchte dringend eine neue Sonnenbrille. Mir schwebt da was Teures vor. Wie wär's mit Morgen?", fragte Lina an Lu gerichtet. Ihr Blick war immer noch auf die Tasche geheftet und wenn man genau hin sah, konnte man erkennen, dass das Mädchen neidisch war.
„Geht klar.", grinste sie. „Was ist eigentlich mit deiner kleinen Schwester?", fragte Henry, der als einziger noch halbwegs vernünftig war und die kleinen Verbrechen nicht gut hieß. „Bö? Was soll schon mit ihr sein. Sie bleibt natürlich zu Hause."
„Wie? Allein?" Lu seufzte: „Natürlich allein." Henry wusste, dass Bö oft allein zu Hause bleiben musste und sie tat ihm ehrlich Leid. Er selbst war als Kind oft allein zu Hause gewesen und wusste wie schrecklich das sein konnte.
„Du kannst sie doch nicht immer wieder allein zu Hause lassen!", sagte er vorwurfsvoll. „Man Henry, es sind verdammt nochmal Sommerferien! Partys, Alkohol und das Leben genießen! Wir sind jung. Bö kommt schon klar.", sagte Lu zickig und zündete sich eine Kippe an.
Henry seufzte; er wusste, dass es unmöglich war Lu davon zu überzeugen, dass sie Bö nicht immer allein zu Hause lassen konnte. „Kippe?", fragte Lu in die Runde und Ash nickte. Er war sozusagen der Anführer der Bande und der beliebteste Junge der Schule. Keine Party fand ohne ihn statt und was er sagte, war Gesetz.
Lu streckte ihm die Kippe hin und er nahm sie mit spitzen Fingern entgegen. Dann ließ er sich ins Gras fallen und pustete den Rauch in die Luft.
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By My Side
Fiksi Remaja»Was willst du?«, ich versuchte meine Stimme taff klingen zu lassen, was mir bei seinem intensiven Blick absolut nicht leicht viel. »Ich weiß nicht. Ein Date? Das wär doch was oder Bö?« Als er meinen Namen sagte lief mir ein kalter Schauer den Rücke...