Regenpelz' letzter Tag

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Kurz nach Sonnenhoch lag Regenpelz träge im Felsenkessel und lies sich den Pelz von der schwachen Sonne der Blattleere wärmen. Im Lager war es recht ruhig, die meisten Katzen waren beim Training oder beim Jagen. Nur aus dem Heilerbau und der Kinderstube konnte er Stimmen hören. Auf einmal raschelte es in den Zweigen der Kinderstube und ein goldfarbener Kater betrat mit gesenktem Kopf die Lichtung. Interessiert setzte sich Regenpelz auf und betrachtete Farnpelz einen Augenblick eingehend, dann trottete er zu ihm hinüber. „Farnpelz, was ist los?“ Überrascht blickte der Kater auf, als hätte er den dunkelgrauen Krieger gerade erst bemerkt. „Regenpelz, Ampferschweif ist doch deine Schwester, oder?“ Verwirrt über diese Frage nickte er. Farnpelz schaute hinüber zum Eingang der Kinderstube, aufmerksam stellte er seine Ohren auf. „Ich mache mir Sorgen um sie“, murmelte er mit brüchiger Stimme. Überrascht beugte Regenpelz sich vor und blickte dem Gefährten seiner Schwester in die Augen. „Wieso? Was ist mit ihr?“ Farnpelz wollte etwas antworten, doch da raschelte es im Eingang der Kinderstube und Honigjunges rannte auf ihren Vater zu. „Farnpelz! Farnpelz! Spielst du mit mir? Rußjunges und Mohnjunges wollen nicht!“ Liebevoll beugte sich der goldene Kater zu der ihm so unglaublich ähnlichen Kätzin hinunter. „Jetzt geht es nicht, ich muss mit Regenpelz über etwas Wichtiges reden.“ Mit hängenden Ohren betrachtete Honigjunges den Kater. „Später vielleicht. Wieso fragst du nicht Disteljunges oder Löwenjunges?“, versuchte Farnpelz sie zu trösten. Das Junge nickte und trottete sandaufwirbelnd zur Kinderstube zurück.

Regenpelz musterte Farnpelz prüfend. „Am besten gehen wir aus dem Lager, dann kann uns niemand stören.“ Der goldene Kater nickte und trottete zum Lagerausgang, doch dann stoppte er auf einmal und murmelte: „Kannst du noch schnell Blattsee holen, damit sie mitkommt?“ Leicht irritiert nickte der dunkelgraue Krieger und eilte zum Heilerbau, aus dem gerade Eichhornschweif heraustrat, in die er beinahe hineingelaufen wäre. „Entschuldigung“, murmelte er und drückte sich an ihr vorbei. Er konnte den prüfenden Blick ihrer smaragdgrünen Augen in seinem Rücken spühren, trotzdem erklärte er ihr nichts und betrat den Heilerbau. Sobald er durch die herabhängenden Efeuranken schritt, umfing ihn der Geruch unzähliger verschiedener Kräuter und Salben, von denen einige aber äußerst unangenehm rochen. „Blattsee?“ Es raschelte im hinteren des Baus und dann kam die junge Heilerin mit etwas Borretsch im Maul hervor. Vorsichtig lies sie die Blätter vor ihre Pfoten fallen, dann musterte sie ihn kurz eingehend und schnüffelte prüfend, wahrscheinlich um sicherzustellen, dass er nicht in den Heilerbau gekommen war, weil er sich verletzt hatte. „Was gibt es, Regenpelz?“ Unruhig trat er von einem Bein auf das andere. „Farnpelz möchte mit uns beiden über Ampferschweif reden.“ Die gestreifte Kätzin legte den Kopf schief und brummte: „Und wo ist er dann?“ – „Ich soll dich holen. Er will im Wald mit uns reden.“

Besorgt nickte die junge Heilerin, schnappte sich die Borretschblätter und lief aus dem Heilerbau, Regenpelz war ihr dicht auf den Fersen. „Ich bringe das noch schnell zu Ampferschweif, warte vor dem Lager auf mich.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, huschte sie zur Kinderstube, wo sie zwischen den Haselnusszweigen verschwand. Gleich neben dem Eingang saß ein kleines, graues Junges, das Regenpelz mit seltsamem Blick musterte, bis dem Kater dann plötzlich bewusst wurde, dass es überhaupt kein Blick war. Es war Häherjunges, Eichhornschweifs blinder Sohn. Und er blickte Regenpelz, trotz der Blindheit direkt in die Augen. Manchmal fragte sich der dunkelgraue Kater wirklich, wieso der SternenClan so grausam sein musste und einer jungen Katze so etwas antun konnte. Wie sollte der arme Kleine nur je Krieger werden? Wahrscheinlich würde er sein ganzes Leben im Ältestenbau verbringen oder, noch schlimmer, von einem Dachs verschleppt werden oder von einer Klippe fallen.

Blattsee kam nach kurzer Zeit wieder aus dem Bau heraus und begrüßte das Junge mit einem bemüht fröhlichen Miauen, aber Regenpelz konnte erkennen, dass sie nicht fröhlich war. Sie wirkte eher schrecklich traurig und er machte sich schon Sorgen, dass etwas mit seiner Schwester oder ihren Jungen passiert sein könnte. Es war schon schlimm genug, dass Maulwurfjunges vor ein paar Sonnenaufgängen an grünem Husten gestorben war. „Ist etwas?“, fragte er vorsichtig. Für einen Moment wirkte die gestreifte Heilerin wie erstarrt, dann schüttelte sie wortlos den Kopf und lief mit eiligen Schritten zum Lagerausgang.

Warrior Cats - KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt