Erste Gehversuche in New York, oder doch nur eine Bauchlandung?

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In New York angekommen, steige ich in einer kleinen Pension mitten in der Stadt ab. Von außen wirkt das Gebäude nicht gerade vertrauenserweckend, auf mich. Es ist schon recht alt und marode. Überall sind Risse in der grauen Fassade und der Putz bröckelt auf den Fußgängerweg.   

Augen zu und durch Ana, mache ich mir Mut und öffne die Eingangstür, die, als ich eingetreten bin, hinter mir laut quietschend wieder zufällt.   

„Auf eine Türglocke können wir verzichten oder was meinen Sie, Miss?“ Vor mir steht ein etwas älterer, rundlicher Mann und lächelt mich freundlich an. „Ich bin Henry. Mir gehört dieses wunderschöne Haus.“, dabei deutet er mit einer ausladenden Geste auf das Gebäude, um sich herum. „Bitte lassen Sie sich vom äußeren Eindruck nicht täuschen. Das Haus ist sehr alt und kann so manche aufregende Geschichte erzählen.“, er schmunzelt wieder. „Aber was rede ich da. Sie möchten bestimmt ein Zimmer, oder? Es sind noch zwei frei, also greifen Sie besser schnell zu.“   

Voller Enthusiasmus strahlt Henry mich an und runzelt dann die Stirn, als er meinen traurigen Blick einfängt. Ich war noch nie in der Lage, meine Gefühle gut zu verbergen. Und nun, mit geschwollen Lidern und dunklen Augenringen, ist es mehr als offensichtlich wie es mir geht. Henry sieht mir meinen Kummer an und lächelt mitfühlend.   

„Kann ich mir vielleicht eins der Zimmer einmal ansehen?“, frage ich ihn kleinlaut. Ich möchte dem sehr freundlichen Mann zwar nicht vor den Kopf stoßen, aber die Katze im Sack will ich auch nicht. Schließlich habe ich vor, eine Weile hier zu bleiben und da muss ich mich wenigstens in meiner Unterkunft wohlfühlen können.   

„Aber selbstverständlich, kommen Sie. Wir müssen zwei Etagen nach oben. Einen Aufzug haben wir leider nicht. Aber wir sind ja auch nicht das Ritz, nicht wahr?“ Er grinst verschmitzt über die Schulter und zuckt entschuldigend mit den Achseln. „So wir sind gleich da. Es wird Ihnen gefallen, da bin ich mir sicher. Sie müssen wissen, dass meine Frau und ich das Haus erst vor 4 Jahren gekauft haben. So nach und nach modernisieren wir. Die Zimmer sind schon alle fertig. Abbi, meine Frau, hat da wirklich ein Händchen für. Jetzt fehlen nur noch die Fassade und ein paar neue Fenster. Und dann betreten die Gäste mit einem Lächeln das Gebäude und nicht, wie bis jetzt, mit einer Falte zwischen den Augenbrauen. Ähm, ich meine, nicht dass Sie so eine Falte haben. Ich meine ja nur. Ach ähm, so, hier ist es.“ Mit geübten Griffen, findet er an seinem Schlüsselbund, auf Anhieb, den passenden Schlüssel und lässt mich als erstes eintreten. „Oh“ sage ich erstaunt, als ich mich umsehe. Henry hat mir nicht zu viel versprochen. Das Zimmer ist wirklich sehr schön. Alles ist sehr hell, freundlich und mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. Es erinnert mich an einen skandinavisch Film, den ich vor kurzem gesehen habe. Dicke Holzbalken säumen die Decke und erwecken den Eindruck eines Fachwerkbaus, wie sie in Europa noch häufig anzutreffen sind. Die Möbel sind alt, wurden aber aufgearbeitet und erstrahlen nun in einem Cremeweiß. Ich mag diesen Einrichtungsstil und fühle mich sehr wohl in diesem Zimmer. Vor allem, als ich den mitten im Raum stehenden Traum von einem Bett bestaune. Ein weißes Himmelbett mit dicken Bettpfosten und unzählig darauf drapierten Kissen. In so einem Bett wollte ich schon, seitdem ich ein kleines Mädchen war, schlafen.   

Henry steht an der Tür und lässt mir ausreichend Zeit, mich umzusehen. Aber ich muss nicht lange überlegen. Das Zimmer ist wirklich sehr schön und ich kann mir vorstellen, hier für eine Weile zu bleiben. Ich drehe mich zu ihm um und nicke. „Ich nehme es.“   

„Ich kann Ihnen auch noch das andere Zimmer zeigen, wenn Sie möchten?“ „Nein, nein, danke. Das ist hier wirklich perfekt. Genau das richtige für mich.“   

„Schön, ich freu mich, dass Sie bleiben. Dann müssen wir nur noch die Formalitäten erledigen. Das machen wir am besten unten. Dann trage ich Ihnen den Koffer nachher noch mit nach oben.“ Freudestrahlend verlässt Henry vor mir das Zimmer und kann meine entgleisten Gesichtszüge zum Glück nicht mehr sehen. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Die Formalitäten! Das heißt meinen Namen angeben und das heißt wiederum, dass Christian mich finden kann. Es ist alles für die Katz gewesen. Ich hätte mir den ganzen Stress sparen können. Es ist doch klar, dass ich meine Angaben in einem Hotel oder in einer Pension angeben muss. Wie kann ich nur so gedankenlos sein, fluche ich innerlich. 

Vollkommen verstört, folge ich Henry nach unten. Nach den richtigen Formularen suchend, summt er hinter einem kleinen Tresen, ein Lied vor sich hin und blickt dann erfreut auf, als er gefunden hat, wonach er sucht. 

Als ihm meine fahle Gesichtsfarbe auffällt, zieht er fragend die Augenbrauen nach oben. Prüfend blickt er mir in die Augen und sieht meine Verzweiflung. Tief durchatmend schüttelt er verstehend den Kopf, lässt mich aber nicht an seinen Gedanken teilhaben. So schwer sind sie aber auch nicht zu erraten. Ihm ist anzusehen, dass ich nicht die erste Person bin, die, so wie ich, vor ihm stehe und sich vor irgendetwas versteckt.  

Meinen auf dem Tresen liegenden Pass, schiebt er mir ungesehen entgegen, setzt eine Brille auf und nimmt einen Stift. „Wie heißen Sie denn Mädchen?“, fragt er ohne von seinem Formular aufzusehen.  

„Kathrin?“, frage ich ängstlich. Was hat das zu bedeuten. Will Henry wirklich nicht meine richtigen Angaben aufnehmen? Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Voller Dankbarkeit beobachte ich ihn beim Schreiben. 

„Kathrin also. Gut. Und ihr Nachname?“

„Morgan?“  

Die restlichen Angaben sauge ich mir auch noch aus den Fingern und unterschreibe mit zitternden Händen. „Danke“, hauche ich Henry mit brüchiger Stimme entgegen, als er mir den Schlüssel für mein Zimmer aushändigt. „Alles gut Kathrin. Jetzt kommen Sie erst einmal an und packen aus. Wenn Sie Hunger haben, gegenüber ist ein sehr guter Inder und die Straße runter, ist ein kleiner Supermarkt. Wenn nichts mehr ist, gehe ich dann mal. Na dann, bis später.“   

Als die Tür sich schließt, lasse ich mich erschöpft aufs Bett fallen. Es war ein verdammt langer Tag. Ich bin sehr müde und überlege, mir etwas zu essen zu holen. Essen? Wann hatte ich das letzte Mal etwas gegessen? Die Hühnersuppe mit Kate? Ach, ich weiß es nicht und es interessiert mich auch nicht. Ich will mich nur noch verkriechen und schlafen. Am besten eine Woche am Stück.   

Die Euphorie über die Möglichkeit hier unentdeckt unterzutauchen, ebbt schnell ab. Schon nach ein paar Minuten falle ich wieder in ein bodenloses Loch der Einsamkeit. Durch die Busfahrt und den Flug und auch durch Henrys Freundlichkeit, war ich eine ganze Zeit abgelenkt und musste nicht an ihn und die Zeit, die wir miteinander verbracht haben, denken. Mein Verstand hat begriffen, dass ich Christian nicht wieder sehen kann und werde, aber mein Herz kämpft dagegen an. Es schlägt wie wild gegen meinen Brustkorb und weigert sich zu verstehen. Zu verstehen, dass ich alleine bin und weit weg von zuhause und von ihm. Von der schönen Zeit, die wir mit einander verbracht haben. Die wenigen Wochen des Glücks, haben mein Leben grundlegend verändert. Christian wird immer ein Teil davon bleiben.   

Allein bei dem Gedanken an ihn, bahnen sich die Schmerzen wieder einen Weg in meine Muskeln und in mein Herz. Ich wälze mich von einer Seite auf die andere. Aber die Schmerzen wollen nicht weichen. Es tut so weh, dass mir übel wird. Ich habe das Gefühl, mich übergehen zu müssen, strample mich hektisch frei, stürze ins Bad und reiße noch rechtzeitig den Toilettendeckel auf. Ich würge, huste aber außer Galle kommt nichts. Mein Hals brennt und das Blut schießt mir in den Kopf. Mir wird schwindelig. Mit wackeligen Beinen schleppe ich mich zurück ins Bett falle in einen tiefen, traumlosen Schlaf. 

***

Moin,

Ana ist wirklich am Ende, erkennt es aber nicht. Wie lange macht ein Körper so eine Tortur mit?

Ich poste nachher noch ein Kap. Ich habe es geteilt. Es wäre sonst zu lang geworden. Ich hoffe, es gefällt euch.

LG Marit

Shades of grey - Bittersüße EinsamkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt