Leben in Angst

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"Sein Zustand ist wirklich kritisch. Er ist nach wie vor bewusstlos. Sie dürfen zu ihm, allerdings müssen sie sich so ruhig wie möglich verhalten, da er Ruhe braucht, damit sich sein Zustand bessert." 
"Können Sie denn mit Sicherheit sagen, dass sich sein Zustand bessern wird und er wieder aufwacht?" 
"So leid es mir tut, ich weiß es nicht."

Die Worte des Arztes hallten in ihrem Kopf nach als sie sich auf den Weg zu ihrem Ehemann machte. Der Arzt wusste nicht ob Matthew wieder aufwachen würde! Was wenn nicht? Was wenn er sterben würde? Sie hätte nicht die Kraft ohne ihn weiter zu leben und ihren Sohn zu erziehen. Wie konnte ihre Welt nur von einem Moment auf den anderen so in sich zusammen stürzen? Warum? Warum musste dieser Unfall passieren? 

Marys Hand zitterte als sie die Türklinke berührte. Würde sie den Anblick ertragen? Sie musste! Schließlich musste sie für ihn da sein! Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter und betrat langsam das Zimmer. Als sie Matthew erblickte, zuckte sie zusammen. Ja, sie hatte ihn nach seiner Kriegsverletzung gesehen, aber das war kein Vergleich zu dem Anblick der sich ihr jetzt gerade bot. Er hatte einen dicken Verband um seinen Kopf, auf welchem sich bereits deutliche Blutspuren abzeichneten. Sein komplettes Gesicht war mir verkrusteten Wunden und Hämatomen übersät. 
Mit wackeligen Knien ging sie langsam zu seinem Bett. Sie setzte sich auf den Holzhocker der neben dem Bett stand und nahm seine Hand. In diesem Moment konnte sie sich nicht mehr zurück halten. Tränen schossen ihr in die Augen und liefen kurze Zeit später in Strömen über ihre Wangen. "Bitte, wach wieder auf!" flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. "Ich liebe dich über alles! George und ich brauchen dich!" Sie schaffte es nicht weiter zu sprechen, da sie von ihren eigenen Schluchzern unterbrochen wurde. Wie um Himmels Willen sollte sie weiterleben und sich um George kümmern, wenn Mattew nie wieder aufwachen würde? Kraftlos sackte sie in sich zusammen und legte ihren Kopf neben ihm auf seinem Bett ab.

Kurze Zeit später öffnete sich die Tür. Tom betrat vorsichtig das Zimmer. Der Anblick der sich ihm bot, ließ ihn zurück schrecken. Nicht nur Matthews Verletzungen sonder vor allem Marys leerer, ausdrucksloser Blick jagten ihm einen Schauer über den Rücken. Vorsichtig ging er auf die junge Mutter zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Mary würdigte ihn keines Blickes, sondern starrte einfach weiter gerade aus. Leise aber bestimmt sprach er zu ihr: "Mary, du musst dich ausruhen. Komm, lass uns wieder zurück in dein Zimmer gehen, damit du dich hinlegen kannst." 
Doch Mary fauchte zurück: "Wie soll ich mich denn in dieser Situation bitte ausruhen? Matthew braucht mich! Wenn es ihm durch meine Abwesenheit schlechter geht, verzeihe ich mir das nie!" 
Erschrocken von Marys harschem Ton, wich Tom etwas von ihrer Seite. Doch auch wenn sie ihn gerade mit harten Worten zurück gewiesen hatte, wollte er nicht so schnell aufgeben. Er machte sich große Sorgen um Mary, denn sie schien überhaupt nicht auf sich und ihr Wohlbefinden zu achten. Wenn Sie so weiter machte, würde sie an der momentanen Situation noch zu Grunde gehen. 
Doch andererseits konnte er Mary durchaus verstehen. Denn hätte er die Möglichkeit gehabt, wäre er auch Tage und Nächte lang nicht von Sybilles Bett gewichen. Und auch nach ihrem Tod hatte er Tage und Nächte lang weder gegessen noch geschlafen und sich somit auch weder um seinen Zustand noch um das Wohl seiner Tochter gekümmert. 
Tom versuchte die traurigen Gedanken an seine verstorbene Frau los zu werden und wieder ins hier und jetzt zu finden. Schließlich musste er Mary helfen! 
So gefasst und ruhig wie möglich, sprach er weiter: "Mary, hör zu. Ich weiß, dass deine Anwesenheit für Matthew sehr wichtig ist und ihm bei seiner Genesung hilft. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass es ihm sofort schlechter geht, wenn du einmal von seiner Seite weichst. Du musst auch nach dir schauen und zumindest versuchen ein wenig zur Ruhe zu kommen. Du hast eine Geburt hinter dir, nimm das nicht auf die leichte Schulter. Außerdem braucht George dich." 
Mary war während seinen Worten immer wütender geworden. Die folgenden Sätze schrie sie in einer solchen Lautstärke, dass Tom Angst hatte, dass ganze Krankenhaus könnte etwas von ihrer Auseinandersetzung mitbekommen. "Wie soll ich mich denn jetzt bitte um George kümmern? Zur Ruhe kommen? Du hast doch keine Ahnung wie sich die Situation gerade für mich anfühlt. Lasst mich einfach alle in Ruhe, ihr könnt mir doch sowieso nicht helfen! Auf eure guten Ratschläge kann ich echt verzichten. Ihr habt doch alle keine Ahnung!" 

Mit Tränen in den Augen verließ Tom das Zimmer. Wie konnte Mary es wagen so etwas zu sagen? Er konnte viel zu gut erahnen, wie sich die Situation anfühlte, in der sie sich gerade befand. Und das wusste Mary ganz genau!

Am Ende wird alles gut! -oder doch nicht?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt