5: Schock

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Überall rennen Leute vom Rettungsdienst. Vor dem Haus stehen zwei RTWs und zwei NEFs. Was ist hier bloß passiert und vor allem: wie geht es meinen Eltern?

Ich gehe näher ans Haus und erkenne Julia und Franco, wie sie jemanden reanimieren. Diese Person ist mein Vater. ,,Nein", schreie ich und starre auf ihn. ,,Lisa, kennst du diese Person?", fragt jemand neben mir. Ich weiß nicht wer es ist. ,,Das ist mein Vater. Was ist mit ihm?", frage ich leise. ,,Das wissen wir nicht. Die Polizei ist schon unterwegs", sagt diese Stimme. Ich schaue zur Seite und erkenne Florian. Ich sacke zu Boden und breche ich Tränen aus. ,,Es wird alles gut, nicht weinen", sagt er und nimmt mich in den Arm. Nach einer halben Stunde kommt Julia auf mich zu. ,,Was ist mit meinen Eltern?", frage ich sie. ,,Deinen Eltern?", fragt sie erschrocken. Ich nicke. ,,Tut mir wahnsinnig leid, aber deine Mutter hat es nicht geschafft. Dein Vater ist auf dem Weg in die Klinik", sagt sie und als Bestätigung fährt ein RTW mit Martinshorn weg. Mir laufen wieder Tränen übers Gesicht. ,,Was ist hier passiert?", fragt eine bekannte Stimme hinter uns. Ich schaue auf und sehe Cem und Paul. ,,Keine Ahnung. Wir haben zwei Personen vorgefunden. Der Mann ist auf dem Weg ins Krankenhaus und die Frau ist uns leider verstorben", informiert Julia die Beamten. ,,Wir schauen uns das mal an", sagt Paul und die beiden verschwinden im Haus. ,,Wie geht es meinem Vater?", frage ich mit verheulter Stimme. ,,Er überlebt es, Lisa", meint sie. Dann kommt Franco. ,,Paul hat es mir erklärt. Komm, Lisa. Wir fahren auf die Wache", meint er. ,,Ich will zu meinem Vater", sage ich. ,,Das geht jetzt aber nicht. Er wird in der Klinik behandelt und so lange kannst du nicht zu ihm. Komm mit uns auf die Wache", erklärt mir Julia. Schließlich willige ich ein und gehe mit ihnen mit.

Im Aufenthaltsraum sitze ich in einer Ecke und warte darauf, dass ich zu meinem Vater in die Klinik darf. ,,Lisa, ich habe einen Anruf aus dem Krankenhaus bekommen. Du kannst jetzt zu deinem Vater. Soll ich dich fahren?", fragt Julia mich. ,,Nein, ich muss los", sage ich und bin schon verschwunden. Ich renne zur Klinik, die nur ein paar Straßen weiter ist. In der Notaufnahme erkundige ich mich nach meinem Vater und bekomme schließlich die Zimmernummer. Ich gehe den Gang entlang und klopfe an die Tür. Da niemand antwortet, betrete ich das Zimmer einfach. Mein Vater liegt mit geschlossenen Augen im Bett und bewegt sich nicht. Ich berühre seine Hand und er schlägt die Augen auf. ,,Wie geht es deiner Mutter?", fragt er. ,,Sie ist ... tot. Ich konnte nichts tun. Als ich gekommen bin, haben die dich gerade reanimiert", antworte ich mit Tränen in den Augen. ,,Was? Wie kann denn das sein? Wieso? Ich ... weiß nicht mehr, was passiert ist", stammelt er. ,,Wir bekommen das wieder hin", sage ich leise und setze mich auf einen Stuhl. ,,Wie sollen wir das schaffen? Ich kann nicht mal kochen", jammert mein Vater. ,,Das kann ich übernehmen, wenn ich von der Schule komme. Und den Haushalt mache ich auch. Ich weiß, wie man das macht. Und Einkaufen gehen kann ich auch. Du gibst mir eben immer das Geld dafür. Und du gehst arbeiten", schlage ich vor. ,,Ja, so machen wir das. Und am Wochenende unternehmen wir etwas", sagt mein Vater. Ich nicke. Wahrscheinlich klappt das eh nicht, denn immer, wenn mein Vater Stress hat, arbeitet er sehr lange und viel. Und dann bin ich meistens alleine, denn meine Mutter war auch viel unterwegs, auch beruflich. Aber das ist jetzt nicht mehr. So wird es nie mehr sein. Leider. Ich werde sie vermissen.

Zwei Tage später wird mein Vater aus dem Krankenhaus entlassen. Wir laufen nach Hause und er legt sich auf die Couch. ,,Lisa, bring mir mal ein Bier", ruft er. Ich seufze und bringe ihm sein Bier. ,,Mach mir war zum Essen. Diesen Fraß habe ich nicht runterbekommen", ruft er mir nach, als ich das Zimmer verlassen möchte. Na super, das fängt ja gut an. Also mache ich meinem Vater ein Sandwich, da es in einer Stunde eh Mittagessen gibt. ,,Soll das etwa alles sein?", brüllt er. ,,Nein, aber in einer Stunde gibt es Mittagessen", stammele ich. ,,Verzieh dich in die Küche und mach mir etwas zu essen, du Miststück", brüllt mein Vater und springt von der Couch. Er kommt auf mich zu und ich renne sofort in die Küche, um etwas zu kochen. Zwanzig Minuten später stelle ich das dampfende und duftende Essen vor meinem Vater ab und renne in mein Zimmer. Langsam habe ich wirklich Angst vor meinem Vater. Erst gegen Abend komme ich wieder heraus und mache Abendessen. Ich belege mir schnell ein Brot und lasse es zusammen mit einer Flasche Wasser in meinem Zimmer verschwinden, ehe ich meinem Vater auch etwas mache. Dann gehe ich in mein Zimmer und esse etwas. Anschließend schaue ich auf meinem Laptop einen Film an. Dann gehe ich schlafen. Am nächsten Morgen mache ich sofort Frühstück, ehe ich in die Schule gehe. Unterwegs halt plötzlich ein Streifenwagen neben mir an. ,,Lisa, dich haben wir gesucht", meint Paul, der zusammen mit Cem aussteigt.

,,Was wollt ihr denn?", frage ich. ,,Geht es dir gut? Du bist richtig blass", meint Paul leicht besorgt. ,,Nichts ist gut. Ich habe meine Mutter verloren", sage ich. ,,Ich weiß. Aber wir müssen mit dir reden, weil es kein Unfall oder natürlicher Tod war. Jemand hat sie ...", sagt Cem. ,,Meine Mutter wurde ermordet?", frage ich entsetzt. ,,Ja, leider", sagt Paul. Ich schüttele den Kopf. ,,Kommst du mit uns mit?", fragt er vorsichtig. ,,Von mir aus. Hat doch alles eh keinen Sinn mehr", seufze ich und steige ins Auto ein. ,,Was hat keinen Sinn mehr?", fragt Paul und schaut mich an. ,,Alles", seufze ich. ,,Das musst du uns jetzt aber mal erklären", sagt Cem. ,,Da gibt es nix zu erklären, Cem. Mein Leben ist im Arsch", sage ich. ,,Aber wegen so etwas darfst du dein Leben nicht wegschmeißen. Wir sind für dich da und dein Vater doch sicherlich auch", meint Paul. ,,Hast du eine Ahnung", murmele ich leise. ,,Was hast du gesagt?", fragt Cem. ,,Nichts", sage ich. Dann sind wir am Präsidium und steigen aus. ,,Komm mit", sagt Cem und führt mich in ein Büro. ,,Setz dich. Möchtest du etwas trinken?", fragt Paul und schließt die Tür hinter uns. Ich schüttele den Kopf und lasse mich auf dem Stuhl nieder.

,,Was meint ihr mit 'keinem natürlichen Tod'?", frage ich. ,,Hämatome und ... ein Einschuss", sagt Cem. ,,Was? Wer ... erschießt denn meine Mutter?", frage ich völlig fassungslos. ,,Wissen wir noch nicht, aber die Tatwaffe wurde noch nicht gefunden. Wenn wir die finden, haben wir auch den Täter", meint Cem. ,,Dann beeilt euch mal lieber", murmele ich. ,,Wir geben unser Bestes", sagt Paul. Ich nicke und seufze. ,,Aber was ist denn jetzt mit dir? Du siehst nicht sonderlich Fit aus", sagt Cem. ,,Mir geht es gut", antworte ich schnell. ,,Dein Vater hat dich so in die Schule geschickt?", fragt Paul misstrauisch. ,,Ja. Das heißt nein. Er hat sich gestern betrunken und liegt jetzt im Bett", sage ich. ,,Nicht sehr verantwortungsvoll aber verständlich, nach dem Schock", meint Cem und notiert sich etwas. ,,Hier, da steht meine Nummer drauf. Falls irgendwas sein sollte, rufst du mich bitte an", meint er und reicht mir einen Zettel. Ich nicke. ,,Gib mal her, ich schreibe meine Nummer auch drauf", meint Paul und nimmt ihn mir wieder aus der Hand. Nun habe ich die Handynummern von zwei Bullen und weiß nicht, was ich davon halten soll.

Died in your ArmsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt