7: Verständnis?

1.8K 69 4
                                    

Am nächsten Morgen weckt Cem mich mit einer Tasse Kaffee. ,,Na, wie geht es dir?", fragt er. ,,Es geht. Danke, dass ich hier schlafen durfte. Ich glaube, ich gehe dann", sage ich. ,,Erst, wenn wir mit den anderen geredet haben", meint er. Ich seufze und nicke dann schließlich doch noch. Also mache ich mich fertig und folge ihm nach unten, ins Esszimmer. ,,Lisa? Wir haben dich die ganze Nacht gesucht. Wo warst du denn?", fragt Paul überrascht. ,,Hier?", sage ich kleinlaut. ,,Und du wusstest das?", meckert Julia. ,,Ja, aber ich weiß auch, was passiert ist. Lisa, möchtest du es den anderen vielleicht auch erzählen?", fragt Cem. ,,Mach du das einfach", sage ich und schaue auf den Boden. ,,Okay, also. Ich habe sie gestern Nacht im Wald gefunden und hierher gebracht, weil Lisa total unterkühlt war. Und dann hat sie mir ihre Geschichte erzählt. Warum sie weggelaufen ist. Ihr Vater ... hat ihr Ohrfeigen verpasst und sie geschlagen, weil er sein Essen nicht schnell genug bekommen hat", erzählt Cem den anderen. ,,Was? Also ich wäre auch weggelaufen", meint Franco. ,,Und jetzt?", frage ich. ,,Wir müssen es leider melden, dass du gefunden wurdest. Und dann müssen wir das Jugendamt informieren", sagt Paul. ,,Muss das denn sein?", frage ich. ,,Ja, Lisa. Aber jetzt setz dich erstmal zu uns und iss etwas", sagt Franco und deutet auf einen freien Stuhl. Ich setze mich einfach hin und starre vor mich hin. ,,Ist alles in Ordnung?", fragt Cem neben mir. Ich nicke und starre nur weiterhin auf die Tischfläche. ,,Lisa, kommst du dann?", fragt Paul. Ich stehe auf und folge ihm. Wir fahren zur Dienststelle und gehen in sein Büro. Dort telefoniert Paul mit jemandem. ,,Also die Fahndung wurde eingestellt. Ich rufe jetzt das Jugendamt an", erklärt er mir. ,,Mach doch. Es kümmert euch ja eh einen Dreck, wie es mir geht", sage ich und wische mir eine einzelne Träne weg, die mir über die Wange rollt. ,,So ist das nicht. Hör mal, wir versuchen, dass du bei uns wohnen darfst. Das versteht das Jugendamt nämlich auch", sagt Paul. Ich nicke, erleichtert über seinen Vorschlag

Er telefoniert wieder und legt dann auf. ,,Lisa, es sieht gut aus", meint Paul dann. ,,Wirklich?", frage ich. ,,Ja, ich kenne dort nämlich eine ganz tolle, junge Frau, die das regeln kann", meint er. ,,Ich merke schon. Dann ist ja gut", seufze ich. ,,Sie kommt gleich mal vorbei und unterhält sich mit dir", meint er. Ich nicke und lehne mich, etwas beruhigter, zurück. Paul fährt seine PC hoch und besorgt sich Kaffee. Mir bringt er auch einen mit und ich nehme ihn dankend an. ,,Wir biegen das hin", meint er und lächelt mich an. ,,Danke, Paul", sage ich. ,,Kein Ding. Wir haben dich alle gerne und Cem ... beaonders", sagt er. ,,Wirklich?", hake ich nach. ,,Ja, wirklich", meint er. Ich nicke und umarme ihn.

Dann geht die Tür auf und eine Frau, vielleicht Mitte zwanzig, kommt herein. ,,Hey, du musst Lisa sein. Ich bin Lilly. Hab schon gehört, dass du bei Cem und Paul bleiben willst", sagt sie. ,,Geht das denn?", frage ich. ,,Klar, ich schreibe in den Papierkram einfach, dass du mit niemand anderem redest und keinem traust und so. Und schon ist das geregelt", sagt sie. ,,Danke", sage ich und gebe ihr die Hand. Als die Tür hinter ihr zufällt, umarme ich Paul stürmisch. ,,So, jetzt muss ich aber arbeiten. Später holen wir deine Sachen ab. Oder weißt du was? Ich rufe Cem an und er kann das mit dir erledigen", meint er und greift zu seinem Handy. Nach einem kurzen Gespräch legt er es wieder weg. ,,Cem kommt", meint er und liest sich einen Bericht durch. Zehn Minuten später steht Cem auf der Matte und nimmt mich mit. Wir fahren zum Haus meiner Eltern und ich bleibe vor der Tür stehen. ,,Bist du soweit?", fragt er. Ich zucke mit den Schultern. ,,Lisa, ich bin da. Dein Vater kommt nicht in deine Nähe", meint er. Ich nicke und ziehe den Schlüssel aus meiner Tasche. Wir gehen die Treppe nach oben und in mein Zimmer. Ich ziehe zwei große Koffer unter dem Bett hervor und schmeiße meine kompletten Klamotten hinein. Dann meine Sachen aus dem Badezimmer und zuletzt meinen Laptop. Mein Handy stecke ich in die Hosentasche. ,,Hast du alles?", fragt Cem. In diesem Augenblick brüllt mein Vater: ,,Lisa, du undankbare Schlampe. Wo bist du?" Ich drehe meinen Kopf hektisch zur Tür. ,,Alles gut, sei einfach leise", flüstert Cem. Ich nicke und schließe die Koffer. ,,Hast du alles?", flüstert Cem. ,,Nein, mein Sparbuch und mein Geld fehlt noch. Das ist unten, im Büro", antworte ich leise. ,,Dann lauf und hol es. Ich bringe die Koffer nach unten", meint er. Ich nicke und schleiche die Treppe nach unten, ins Büro. Ich durchwühle die Schubladen und ziehe alles mögliche heraus. Ich finde noch sehr viel Geld, was ich in meine Hosentaschen stopfe. Dann finde ich endlich, wonach ich gesucht habe: mein Sparbuch. Gott sei Dank.

Ich stecke alles wieder in die Schubladen und mache sie zu. Plötzlich öffnet sich die Tür und geht wieder zu. Mein Vater kommt herein. ,,Du Göre, jetzt auch noch Diebstahl, oder was?", brüllt er. Ich weiche zurück und stoße mit dem Rücken an den Bücherschrank. ,,Bitte, ich habe nichts getan", wimmere ich und drücke mich an das Regal. Er kommt auf mich zu und schlägt mich zusammen. Auf einmal hört es auf. Ich liege immer noch zusammengekauert auf dem Boden und wimmere vor mich hin. ,,Lisa, komm hoch. Es ist vorbei. Wir fahren jetzt nach Hause, komm", meint Cem plötzlich und ich richte mich langsam ein bisschen auf. Im Raum ist nur Cem, von meinem Vater keine Spur. Ich will mich hinstellen, knicke jedoch weg, als ich den Schmerz bemerke. Mir tut alles weh. ,,Komm, wir fahren zu nach Hause. Julia kann dich untersuchen", meint er und hilft mir hoch. Cem stützt mich bis zum Auto und setzt mich hinein. Wir fahren zur WG und Cem hilft mir auch wieder bis ins Wohnzimmer. Dann holt er meine Koffer und bringt sie in mein Zimmer. Dabei schreit er das ganze Haus nach Julia zusammen. ,,Cem, was ist denn? Warum brüllst ...?", meint sie und verstummt, als sie mich sieht. ,,Was ist passiert?", fragt Julia. ,,Mein Vater ...", beginne ich und mir kommen die Tränen. ,,Ganz ruhig, es ist alles gut", beruhigt sie mich. Cem taucht hinter uns auf und ich zucke zusammen.

,,Ich habe ihre Koffer ins Auto gebracht und als Lisa nicht gekommen ist, habe ich nach ihr geschaut. Ihr Vater hat auf sie eingeprügelt", erklärt Cem. ,,Auch das noch. Okay, dann leg dich mal hin. Ich schaue, ob du irgendwelche schweren Verletzungen hast", meint sie und verschwindet, um zwei Minuten später mit dem Notfallrucksack wieder aufzutauchen. Ich kneife die Augen zusammen und verziehe das Gesicht vor Schmerzen. Mir tut alles weh. ,,Okay, ich taste dich ab und wenn etwas weh tut, sagst du bescheid" sagt Julia und beginnt am Kopf. Ich zucke bei jeder Berührung zusammen. ,,Tut mir echt leid, aber ich muss deinen Kopf untersuchen", entschuldigt sich Julia gefühlt alle zehn Sekunden. ,,Mach einfach", jammere ich und kneife die Augen noch fester zusammen. Ihre Hände wandern über meinen gesamten Körper und sind dann plötzlich nicht mehr da. Ich öffne meine Augen und sehe, wie Julia mit ihrem Handy in der Hand aus dem Raum läuft. ,,Wo geht sie hin?", frage ich. ,,Wahrscheinlich einen RTW rufen oder mit einer Kollegin telefonieren", sagt Cem und setzt sich auf die Kante. Wenig später kommt Julia wieder in den Raum. ,,Lisa, ich habe mit meiner Kollegin telefoniert, die sich mit inneren Verletzungen auskennt. Sie meint, dass du vermutlich keine hast", erklärt sie mir. Ich nicke erleichtert. ,,Bleib einfach noch liegen und ruh dich aus", meint sie. Ich nicke und schließe meine Augen.

Died in your ArmsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt