Ich sah, wie er schon den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Doch bevor er dies tun konnte, entriss ich ihm meinen Arm und stürmte aus der Mensa.Es hätte so einfach sein können, hätte ich ihm eine gute Ausrede aufgetischt. Jetzt denkt er doch erst recht, dass etwas im Busch ist. Warum konnte ich nicht einmal richtig Lügen? Menschen machen das doch andauernd. Aber mir konnte das wohl egal sein, was der von mir dachte, ich kannte ihn ja eh nicht. Obwohl ich Liam ja echt nett fand und schlecht sah er auch nicht aus. Eigentlich würde ich ihn schon gerne besser kennenlernen, aber jetzt hält er mich erst recht für komisch und sobald er von den Gerüchten hört, wird er auch nicht mehr mit mir reden.
Während ich nachdachte, lief ich schnell immer weiter weg von der Mensa, als ob ich so dem Geschehenen aus dem Weg gehen könnte, aber das war wohl unmöglich, da sich die Nachricht auf meinem Handy ja befand und das hielt ich ja schließlich in meiner Hand.
Ich irrte noch ein wenig durch den leeren Schulhof als ich mich schlussendlich auf eine etwas abgelegene Bank setzte und das kleine schwarze Ding in meiner Hand anmachte.
Ich tippte auf die neue Meldung und wurde nun auf den Chat umgeleitet. Dort stand immer noch dasselbe wie vor fünf Minuten, nämlich, dass er sich mit mir treffen wollte. Warum auf einmal jetzt? Nein, die Frage ist eher: Warum hatte ich nur jemals vorgeschlagen mich mit ihm zu treffen? Warum kam ich nur immer auf so dumme Gedanken?
Was würde passiere, wenn ich einfach sagen würde, dass ich keine Zeit hätte? Vermutlich würde ich ihn damit nur verärgern und ich würde womöglich noch ein Opfer von ihm, bei solchen konnte man ja nie wissen.
Würde ich ihn wütend machen, wenn ich um Bedenkzeit beten würde? In der Verfassung, in der ich grade war konnte ich keine solche Entscheidung treffen, da könnte ja sonst was passieren, bei dem Treffen.
Erst jetzt realisierte ich erst, wie sehr ich zitterte und das mir salzige Tränen die Wange herunterliefen. Wie konnte ich bloß die ganze Sache alleine durchstehen? Das alles war viel zu groß für mich. Vielleicht sollte ich einfach zur Polizei gehen und denen alles sagen. Aber das war eine echt schlechte Idee. Ich konnte ja nicht wirklich was sagen zu dem Täter, nur eben, dass ich mit ihm schrieb, aber mehr wusste ich ja auch nicht.
Ich sollte einfach mehr über ihn herausfinden und dann kann ich ja immer noch Hilfe suchen gehen.
Also tippte ich mit zittrigen Händen ein: Könnte ich da erstmal drüber nachdenken? Dabei hoffte ich inständig, dass er deswegen nicht wütend wird.
Leider hatte ich heute noch die restlichen Schulstunden des Tages mit Liam zusammen und da ich immer alleine saß, wird er wohl oder übel neben mir sitzen. Irgendwie werde ich das schon überleben. Und was sollte er sich schon denken? Mir hatte jemand geschrieben, ob wir uns treffen könnten, nichts weiter. War ja nichts Verbotenes oder irgenwas weswegen man sich Sorgen machen müsste. Aber warum hatte er mich dann so komisch angeschaut? War meine Körpersprache so offentsichtlich? Konnte schon sein, ich hatte mich ja auch ziemlich erschrocken. Hätte ich mich doch bloß nur nicht so auffällig verhalten und gleich weggerannt, dann dachte er doch erst recht, dass was los war. Egal, das würde er schon sicher bald wieder vergessen haben. Vorsichtshalber sollte ich ir eine gute Ausrede überlegen.
Der Schulgong ertönte, was bedeutete ich sollte zum Unterricht gehen, eine andere Wahl hatte ich ja kaum. Also atmete ich nochmal tief durch und stand auf und machte mich auf dem Weg zum Klassenzimmer. Derweil ich meine Sachen auf den Tisch legte, hörte ich, wie sich jemand neben mich setzte. Und dieser jemand begann auch gleich zu mir zu sprechen: "Es tut mir leid, dass ich vorhin so aufdringlich war." Ich drehte mich zu ihm und konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er es ernst meinte. "Alles gut", antwortete ich knapp. "Also ist jetzt wieder alles ok zwischen uns?", fagte er mich währenddessen er mir in die Augen schaute, als ob er sehen wollte, ob ich die Wahrheit sagte. "Ja alles ok", sagte ich mit einem leichten Lächeln, um zu betonen, dass ich es wirklich so meinte.
"Da wir ja jetzt so gut wie Freunde sind, hoffe ich natürlich, dass du mir die Stadt zeigst, ich kenn mich hier nämlich gar nicht aus", lud er sich praktisch selbst mit einem Grinsen ein.
Das war das erste Mal, dass mich jemand "Freund" genannt hatte und ich musste zugeben, dass hörte sich echt gut an. Aus diesem Grund willigte ich auch ein, ihn rumzuführen.
Ich wollte gerade fragen wann und wie wir das dann machen heute, da gab mein Handy einen Ton von sich, ich holte es aus meiner Tasche, um es Stumm zu schalten und die Nachricht anzuschauen.
"Deinem Gesichtsausdruck zu urteilen, war es die gleiche Person wie vorhin", hörte ich Liam amüsiert neben mir sagen. Ich blickte ihn anschuldigend an, um ihn zu zeigen, dass ich das grad echt nicht lustig fand. "Jaja schon gut, aber ich werd schon noch dahinter kommen, wer der da schreibt, dass du immer einen halben Anfall bekommst", witzelte er weiter neben mir. Wenn er nur wüsste, um was es hier wirklich bei dem Unbekannten ging, würde er vermutlich nicht mehr so lachen.
Ich drehte mich leicht von mir weg, sodass er keinen Blick auf mein Handy werfen konnte und ich die Nachricht schnell lesen konnte. In ihr stand einfach nur "Ja, aber nicht lange." Jetzt hatte ich mir ein bisschen Zeit verschafft, um nachzudenken, ob ich mich treffen wollte. Aber ich vermutete, dass der Fremde erwartete von mir, dass ich zustimmte. Und wenn ich ihn nicht gegen mich aufbringen wollte, sollte ich wohl auch wirklich "Ja" schreiben.
Wenn ich sonst wichtige Entscheidungen treffen sollte, ging ich meistens in den Park in meiner nähe, dachte dort ungestört nach und fertigte eine Pro- und Kontra-Liste an, doch heute ging das ja nicht, da ich ja schon was vorhatte. Aber Spontanität ist doch manchmal auch ganz gut, oder? Obwohl ich dran zweifelte, ob das in diesem speziellen Fall so eine gute Idee ist.
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Alone - Alleine gegen den Mörder
Bí ẩn / Giật gân*Longlist Wattys2018* Ein Fremder macht Mona ein Angebot: Er hilft ihr aus ihrer misslichen Lage des Schul-Mobbing-Opfers heraus, sie ist ihm einen Gefallen schuldig. Mona, die alles machen würde um nicht mehr das Opfer an der Schule zu sein, willig...