E I N S

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Man müsste annehmen, es sei nicht sonderlich schwer an eine Tür zu klopfen. Als ich jedoch vor der Tür von Ms Kanes Büro stand, die Hand bereits zur Faust geballt, dachte ich daran, dass es doch nicht so einfach war.

Mir lag nichts ferner, als mit einer Person über mein Leben zu sprechen. Und erst recht nicht, wenn es sich bei der Person um eine Lehrkraft handelte. Der Zwischenfall mit Cameron ließ mir allerdings keine andere Wahl.

Cameron, dieser unterbelichtete Idiot! Ich hätte ihm in die Eier treten sollen, anstatt ihm nur die Nase zu brechen.

Ich spürte, wie sich langsam die Wut auf ihn in mir bemerkbar machte und entschloss kurzerhand, einfach zu gehen. Ms Kane konnte mir gestohlen bleiben!
Mit diesem Entschluss drehte ich mich um, um gleich darauf einen Schritt nach hinten zu stolpern. Hätte ich das nicht getan, wäre ich geradewegs in die blonde Frau mir gegenüber reingelaufen. Und da diese zwei Tassen mit einer dampfenden Flüssigkeit in den Händen hielt, wäre ein Zusammenstoß weder für sie noch für mich angenehm gewesen.

„Tut mir leid, dass Sie auf mich warten mussten, Ms Callahan", sagte Ms Kane, ein kleines Lächeln auf den Lippen. „Ich dachte mir, mit einer Tasse Tee lässt es sich besser reden."  Sie drückte mir eine der Tassen in die Hand und für einen Moment überlegte ich, sie aus meinen Händen gleiten zu lassen. Ausversehen, versteht sich. Am Ende müsste ich die Sauerei aber selber wegwischen, weshalb ich den Gedanken wieder verwarf.

„Mit einem Glas Whisky ließe es sich um einiges besser reden", sagte ich, mir nicht die Mühe machend, den provokanten Unterton aus meiner Stimme zu verbannen.

Ms Kane sah mich einen kurzen Moment an, dann zuckte es verschwörerisch um ihre Mundwinkel. „Hätte ich das früher gewusst, hätte ich natürlich eine Flasche davon aus dem Lehrerzimmer mitgenommen."

Mit diesem Konter hatte ich nicht gerechnet, weshalb mir nichts anderes übrig blieb, als mitanzusehen, wie sie mit ihrer freien Hand ihren Schlüssel hervorholte und die Tür aufschloss. Nachdem sie offen war, gab sie mir den Vortritt, als wolle sie sicher gehen, dass ich nicht das Weite suchte. Daraus würde eh nichts mehr werden.

Als die Tür geräuschvoll hinter mir ins Schloss fiel, verspürte ich einen Anflug von Panik, der sofort verflog, als Ms Kane wieder in mein Blickfeld trat. Es war nur Ms Kane. Kein Grund, um sich zu sorgen.

Meine Vertrauenslehrerin gab mir zu verstehen, mich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch zu setzten. Sie selbst nahm hinter ihm Platz.

Mein Blick wanderte kurz durch den Raum, nahm das kleine Sofa in der Ecke wahr, ein Bücherregal, das viel zu groß für diesen kleinen Raum aussah und das Fenster hinter Ms Kane, das hinter hellen Vorhängen verborgen lag. Für eine Person bot es sicher ausreichend Platz, aber mit Ms Kane hier drinnen herrschte eine bedrückende Enge.

„Ich würde gerne mit Ihnen darüber sprechen, warum Mrs Sinclair sie zu mir geschickt hat", kam Ms Kane ohne Umschweife auf den Grund unserer heutigen Zusammenkunft zu sprechen.

Ich stellte die Tasse Tee auf den Tisch - unfassbar wie ordentlich die Frau war - und erwiderte ihren Blick. „Wenn Sie unbedingt wollen, dann können sie gerne darüber reden, aber ich fürchte, dass wird ein sehr einseitiges Gespräch."

Sie ließ sich nicht anmerken, was sie von meinen Worten hielt, behielt stattdessen die Ruhe, wie sie es oft tat.

„Wenn Sie nicht reden möchten, dann ist das in Ordnung", sagte sie zu meiner Verwunderung und holte ihr Handy hervor. Sie tippte ein paar Mal darauf, dann legte sie es vor mich, sodass ich das Bild sehen konnte, das sie geöffnet hatte.

Ich musste unweigerlich schlucken, als ich es genauer betrachtete. Es zeigte Jasper und mich auf einer Party, wie wir enganeinander geschmiegt miteinander knutschten. Während meine Hände seine hellen Haare durchwühlten, lag Jaspers Hand an meinem entblösten Po. Ich wusste nicht mehr, ob mir mein Kleid während unserer wilden Knutscherei hochgerutscht war oder Jasper es hochgeschoben hatte.
Fakt jedenfalls war, dass Cameron in diesem höchst entwürdigenden Moment sein Handy gezückt und ein Foto gemacht hatte. Es hatte keinen halben Tag gedauert, da hatte sich das Foto über etliche Sozial-Media-Plattformen verbreitet.

Die altbekannte Wut auf diesen Idioten stieg in mir auf. Dieses Mal vermischte sie sich mit etwas. Panik. Der Raum schien mir in den paar Sekunden, in denen ich das Foto angeschaut hatte, um einiges kleiner geworden zu sein. Mir war bewusst, dass das alles meiner Einbildung  verschuldet war. Das beklemmde Gefühl in meiner Brust konnte es dennoch nicht mindern.

„Was Mr Hayes getan hat, war alles andere als in Ordnung", begann Ms Kane zu sprechen. Ihre Stimme klang weich und sanft, aber es brauchte mehr, um zu mir durchzudringen.
„Dass Sie ihm die Nase gebrochen haben war ebenso wenig in Ordnung."

„Das ist das Mindeste, was er verdient hat", unterbrach ich sie verärgert, was sie jedoch nur gefließentlich ignorierte.

„Es wäre mir lieber gewesen, wenn Sie schon eher zu mir gekommen wären, noch, bevor die Situation eskaliert ist. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, sich jemanden anzuvertrauen. Aber Sie sollen wissen, dass Sie die Möglichkeit haben, mit mir über alles zu reden, ohne, dass jemand anderes davon erfährt."

Ich brauchte niemanden, der den Seelenklemptner für mich spielte. Das ließ ich auch mein Gegenüber wissen.
„Hören Sie zu, Ms Kane. Vielleicht gibt es Schüler auf dieser Schule, die liebend gerne über ihre Probleme mit Ihnen sprechen, aber ich gehöre definitiv nicht dazu. Der einzige Grund warum ich trotzdem hier sitze und Ihnen zuhöre, ist der, dass ich keinen Schulverweis gebrauchen kann."

Ms Kane hob eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen. „Glauben Sie wirklich, ich wüsste das nicht. Ich hätte es bevorzugt, wenn sie aus ihrem eigenen Willen zu mir gekommen wären, so aber bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als das Beste aus dieser Situation zu machen."

Sie schenkte mir ein warmes Lächeln. „Ich werde Sie nicht dazu drängen, mit mir zu sprechen, oder gar zwingen, aber ich verlange, dass Sie jeden Dienstag und Freitag nach der letzten Unterrichtsstunde bei mir erscheinen. Sei es auch nur, um uns eine halbe Stunde anzuschweigen."

Das gefiel mir ganz und gar nicht. Aber in diesem Fall blieb mir nichts anderes übrig, als mich mal an die Regeln zu halten. Mit einem Schulverweis hätte ich leben können, aber nicht mit Karens Enttäuschung, die dieser verursachen würde.

Ms Kane erhob sich aus ihrem Drehstuhl, nahm ihr Handy wieder an sich und sah mich schließlich direkt an. „Für heute reicht es. Gehen Sie nach Hause und genießen Ihr Wochenende, Ms Callahan. Wir sehen uns wieder am Dienstag."

Innerhalb einer Sekunde schulterte ich meine Tasche, verabschiedete mich anschließend mit einem schnellen "Tschüss" von meiner Vertrauenlehrerin und verließ den Raum.

Das beklemmende Gefühl in meiner Brust verschwand augenblicklich.






Scherbenherz [TxS / GxG]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt