Z E H N

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Ich hatte Penny gesagt, ich würde einfach so weiter machen wie bisher. Dass das gar nicht so einfach war, wurde mir am Montag bewusst, kaum, dass ich das Schulgebäude betreten hatte. Die Sorge, Ms Kane auf den Fluren zu begegnen, war allgegenwärtig. Mir war, als hätte ich etwas Verbotenes getan und nun darauf wartete, dass man mich erwischte.

Der Dienstag war noch schlimmer, da Musikunterricht bei der blonden Lehrerin anstand.
„Alles in Ordnung, Mel?", fragte mich Jasper auf dem Weg zur besagten Unterrichtsstunde. Er hatte einen Arm um meine Taille gelegt und sah besorgt zu mir. Was sollte ich ihm sagen? Dass ich Ms Kane nicht mehr gegenüber treten konnte, weil ich nicht nur vor ihren Augen geweint, sondern auch noch von ihr geträumt hatte? Das käme sicher großartig.

„Ich fühle mich nicht besonders gut", gestand ich, was nicht einmal gelogen war. „Ich glaube, ich lasse Musik heute ausfallen." Vorhin noch hatte ich lediglich mit dem Gedanken gespielt, jetzt war ich mir sicher, ihm auch nachzugehen.

Jasper blieb stehen und ich somit auch. Seine Gesichtzüge waren ungewohnt ernst, als er die folgende Frage stellte und mich damit vor den Kopf stieß.
„Ist es wegen Freitag?"

„Wie kommst du denn darauf?", wollte ich sogleich von ihm wissen.

„Du warst ganz schön aufgelöst, als du am Freitag bei mir warst und da du an dem Tag das Gespräch mit Cam hattest, dachte ich ... " Er ließ den Satz in der Luft hängen. Ihn zu beenden, wäre gar nicht nötig gewesen, da ich ihn auch so verstand.

„Ich hab mich mit Cam ausgesprochen. Daran liegt es nicht. Ich fühle mich einfach nicht gut gerade."

„Dann fahr ich dich heim", kam es von ihm entschieden, doch ich schüttelte nur den Kopf.

„Nicht nötig, Jas. Die paar Minuten‌ Fahrweg werde ich noch schaffen", winkte ich ab. „Es reicht, wenn einer von uns beiden fehlt, sonst heißt es noch, wir beide schwänzen, um sonst was zu machen." Ich schenkte ihm ein liebevolles Grinsen, stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Die zwei Stunden wirst du auch ohne mich überleben."

Mein Freund wollte zum Widerspruch ansetzten, doch dann sah ich ihn gespielt böse an und er verwarf den Gedanken wieder.

„Falls was sein sollte, du weißt, dass du mich jederzeit anrufen kannst", erinnerte er mich an etwas, das mittlerweile eigentlich selbstverstädnlich war.

Wenige Minuten später befand ich mich auf dem Weg zum Sekretariat, um mich abzumelden. Dumme Vorschriften! Als das aber endlich getan war und ich gerade aus der Tür heraustrat, wäre ich beinahe in jemanden hineingelaufen.

„Tut mir leid. Ich hab -", erklang vor mir eine vertraute Stimme und als ich aufsah, hätte ich beinahe laut aufgelacht. Für einen Bruchteil einer Sekunde hatte ich tatsächlich gedacht, Ms Kane stände vor mir. Dabei war es nur ein Mädchen mit einem freundlichen sommersprossigen Gesicht und roten Haaren.

„Alles gut", meinte ich nur, ehrleichtert, dass sie es nicht war, und machte dem Mädchen Platz, damit es ins Sekretariat eintreten konnte.

Es gelang mir eine ganze Woche, Ms Kane nicht über den Weg zu laufen. Das hieß allerdings auch, sowohl ihren Unterricht als auch die Gespräche ausfallen zu lassen.

Am darauffolgenden Dienstag konnte ich das Unausweichliche jedoch nicht mehr vermeiden. Jasper würde es auffallen, wenn es mir kurz vor der Musikstunde wieder nicht gut gehen würde und sich rausreden war daher keine Option.

Und ehrlich gesagt wollte ich das nicht. Ich war schon lange nicht mehr das kleine Mädchen, dass sich ängstlich zurückzog, wenn es schwierig wurde. Cameron hatte ich immerhin auch gegenüber treten können, dann würde ich das bei Ms Kane auch können.

Scherbenherz [TxS / GxG]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt