●Kapitel 10●

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"Alaris!"

Die Stimme des Azurdrachen erreichte ihre Wahrnehmungen, doch ihr Bewusstsein verarbeitete sie nicht.
Ebenso sandte ihr Körper Schmerz aus...doch ihr Bewusstsein verarbeitete diese Information nicht.
Sie sah Blut aus ihrem Handgelenk fließen. So viel Blut. Doch ihr Bewusstsein verarbeitete diese Bilder nicht.

Sie verstand nichts mehr.

Wieso stand sie hier?
Wieso war sie gerade an ausgerechnet diesem Ort und keinem anderen?
Wieso kannte sie niemanden?
Wieso kannte sie sich selbst nicht?
Wieso...bewegte sie sich?
Und wohin?
Warum konnte sie nichts dagegen tun?

Irgendeine Stimme schrie nach Sindustrasz.

"Hmh.", machte sie, doch warum tat sie das?
Wie bewegte sie ihre Lippen überhaupt? Ihren Körper?

Alles fühlte sich so...falsch an.
So...unwirklich.

Sie spürte Druck an ihrem Oberarm, ihr Kopf drehte sich und sah dorthin.
Eine Hand...

"Was zur Hölle ist los?!", hörte sie eine Stimme fragen. Wieder der Azurdrache.
"Hmh.", erwiderte sie und ging weiter.

Ihre Füße schmerzten und irgendetwas knirschte.
Etwas weißes erfüllte ihr Blickfeld.

Doch urplötzlich konnte sie nicht mehr gehen.

"Warte hier. Ich hole Sindustrasz."

Sindustrasz.
Dieser Name war das Einzige, was ihr Bewusstsein aufnahm.

Sindustrasz.
Sindustrasz.
Sindustrasz...

Das verschwommene Bild vor ihren Augen bewegte sich wieder.
Und nicht nur das.
Alles wurde weiß.
Bis auf ihre roten Haare die ihr mitunter ins Gesicht peitschten.
Sie machte sich nicht die Mühe sich zu bewegen.
Sie wusste sowieso nicht wie.

Und als der Boden plötzlich verschwand war jede weitere Bewegung unnötig.
Sie schlug auf dem Boden auf.

Und endlich wurde das Weiß durch Schwarz ersetzt.

•▪■▪•

"Verzeih mir, wenn ich störe..." Xerastrasza trat zu ihm und erntete einen neugierigen Blick von Eastrasza, die sich in Sindustrasz' Händen zusammengerollt hatte. "Amigos will, dass du sofort zum Wyrmruhtempel zurückkehrst. Eine Katastrophe oder ähnliches."

Sindustrasz wurde blass.
Dann drückte er Xerastrasza den Welpling in die Hände und ließ den Boden unter sich zurück.
Er machte sich nicht die Mühe, seine Drachengestalt anzunehmen.

Als er auf dem obersten Plateau landete, entdeckte er schon einen unruhigen Amigos...doch Alaris konnte er nicht finden.

"Sindustrasz..." Amigos schien erleichtert zu sein, als er zu ihm trat. "Schnell, wir müssen zu Alaris!"
"Wieso wusste ich, dass diese Katastrophe etwas mit ihr zu tun hat?", knurrte Sindustrasz und packte den Azurdrachen grob an den Oberarmen. "Ich schwöre dir, wenn Alaris tot ist, wenn wir sie finden, dann drehe ich dir den Hals um. Mehrmals, wenn es sein muss."
"Schon kapiert, aber wir sollten wirklich zu Alaris. Jetzt." Amigos wandte sich in seinem Griff.
"Wo ist sie überhaupt?"
"Nicht weit vom Wyrmruhtempel entfernt. Aber bekanntlich ändern sich solche Dinge ja sehr schnell."
"Erzähl mir unterwegs wenigstens, was passiert ist." Sindustrasz ließ ihn los und bewegte sich zum Rand des Plateaus.
Amigos trat neben ihn, dann ließen sie sich fallen.

Im Fall tanzten goldene und violette Lichter um sie herum und wenig später hatten sie ihre geschuppten Gestalten angenommen.

Amigos' "nicht weit entfernt" traf nicht zu.
Zudem machte der Schneesturm die Sache komplizierter.

"Du bist so ein Vollhonk, Amigos...", fluchte Sindustrasz vor sich hin, während er mit den Augen die wilde weiße Landschaft absuchte. "Eine Schande für deinen Schwarm und sogar der ist schon ehrenlos..."
"Ich habe es verstanden!", fauchte Amigos und machte eine scharfe Kurve nach rechts.
Da sein Manöver seine Flugbahn kreuzte, musste Sindustrasz ihm folgen.

"Und das war?!"
"Ich habe ein Signal gespürt, das dir nicht gefallen wird."
"Und das wäre?"
"Alaris ist in Kaltarra."
"Bitte?!" Sindustrasz behinderte den Flug des Azurdrachen, sodass sie beide auf der Stelle fliegen mussten. "Kaltarra ist weiter weg, als dass Alaris diese Strecke innerhalb von fünf Minuten oder zwanzig bewältigen könnte!"
"Beweg dich, verdammt noch mal!", brüllte Amigos verzweifelt, doch bevor Sindustrasz sich auch nur fragen konnte, warum er sich bewegen sollte, ließen seine Flügel nach und er fiel...und fiel...und fiel...
Und schlug auf dem Boden auf.

Überrascht, wenn auch schmerzerfüllt, stellte er fest, dass er noch lebte.
Und dass er wieder seine sterbliche Gestalt angenommen hatte.

Erleichtert seufzte er auf, spannte sich allerdings sofort wieder an.
Zwei Wesen, von denen nicht nur starke magische, sondern auch Leerenenergie ausging, bekannt als die Astralen, tauchten neben ihm auf.
Sie schienen nicht lange zu überlegen, packten seine Arme und schleiften ihn hinter sich her zu einer Art arkanen Blase, doch Sindustrasz wusste es besser.
Es war etwas wie ein Leerenvakuum, nur dass man darin noch lebte, für magische Tastsinne jedoch unerreichbar war.

Was bedeutete: wenn Amigos ihn nicht schleunigst rettete, würde er ihn und Alaris suchen müssen.

Doch das war nicht nötig.
Der Azurdrache durchbrach gerade die letzten Schneeflocken des Sturm...und offenbar auch eine magische Falle, denn urplötzlich war er wieder sterblicher Gestalt und fiel...blinzelte sich aber zum Boden und entging so einer schmerzhaften Landung.

Trotz allem konnte er einem plötzlich entstehenden Vakuum nicht entgehen...und Sindustrasz konnte nur entgeistert zusehen, wie der Körper des Azurdrachen erschlaffte, bevor ihn und seine Umgebung ebenfalls die violette Wand eines Vakuums trennte.
Er verlor die Kontrolle über seinen Körper.

Doch das einzige, was ihn jetzt noch plagte war die Frage, ob Alaris auch in solch einem Vakuum gefangen und nach Kaltarra gebracht worden war...was unweigerlich hieß, dass sie ein verdammtes Problem mit Amigos' Schwarm bekommen würden.

Imprisoned in a different bodyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt