5. Die geheimnisvolle Schatulle Teil II

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Wie angriffslustige Soldaten stellten sich die geschlossenen Tore des königlichen Sitzes Yia entgegen. Goldene Lanzenspitzen säumten die metallen Stäbe und glühten, im roten Sonnenlicht der untergehenden Sonne. Tödlich und zugleich wunderschön, umgaben sie den kompletten Schlosspark.

Selbst der Wind schien sich sich vor ihnen zu fürchten. Nervös und unruhig blies er Yia durch ihre hochgesteckten Haare, brachte Fensterläden zum Zittern und scheuchte Vögel von den Dächern.

Hinter den kalten Pforten säumten stramm stehende Skulpturen den Weg und beobachteten wie Wächter jeden, der es wagte über den weißen Kies zu schreiten. Der Anblick des steinernen Löwen und seine leblosen Augen, die Yia direkt anstarrten, jagte ihr ein Schauer über den Rücken.

Es schien fast so als ob er jeden Moment von seinem Sockel springen und sie in Stücke zerfetzen würde. Auf einmal war Yia sich nicht mehr so sicher das Richtige getan zu haben. Sie hätte vielleicht doch lieber in ihrer Hütte vor dem wärmenden Feuer sitzen sollen, statt im schneidenden Wind vor verschloßen Toren zu stehen und sich den toten Blicken der Figuren auszusetzen.

Yia hatte keine Ahnung, wie sie in das Innere der Festung gelangen sollte, geschweige denn ob Prinz Taylan seinen Auftrag einhielt und sie nicht einfach in eine gemeine Falle lief.

Sie zuckte erschrocken zusammen. Das unüberwindbarere Tor vor ihr öffnete sich. Ohne einen Laut von sich zu geben, wie von Geisterhand. Der eiskalte Wind kroch ihr angstvoll unter ihre Jacke, lies sie zittern.

Plötzlich stoben die Vögel auf dem Dach einer Villa kreischend auseinander. Sie flogen rasch, fast so als ob sie etwas verfolge, sie unbarmherzig jagte.

Sollte sie sich jetzt wirklich in die Höhle des Löwen wagen? Eine Stimme in ihren Kopf wollte sie daran hindern, doch Yia setzte entschlossen den ersten Schritt in Richtung des Palastes. Ihre Neugierde siegte.

Die kleinen Steine unter ihren Stiefeln knirschten leise. Sie hasste es, denn das verriet sie. Mit klopfenden Herzen lief Yia durch die Reihen der Skulpturen. Den Blick starr nach vorne gerichtet, spürte sie die Blicke in ihren Rücken. Stechend wie kleine Nadelstiche. Yia fühlte sich beobachtet und das machte ihr Angst. Sicher war sie hier ganz sicher nicht.

Der Weg führte vorbei an farbenfrohen Blumen, die sich der eisigen Kälte der Skulpturen stellten und trotzig ihre Köpfe erhoben hatten.

Yia zog genüsslich die süßliche und reine Luft auf, schloss für einen kurzen Moment ihre Augen. Vergessen war die Angst und Beklemmtet. Es roch wie es immer in Märchen beschrieben war.

Als Kind hatten sie und ihr Bruder oft bis spät Abends wachgelegen und der wundervollen Stimme ihres Vater gelauscht. Er hatte ihnen vorgelesen, aus dem einzigen Buch was sie besaßen.
Wenn es spannend wurde hatten sich die kleinen Ärmchen ihres kleinen Bruders um sie geschlungen. Sie hatte ihm die Decke enger gewickelt und ihn in eine Umarmung gezogen.

In diesen Momenten hatte sie sich groß und stark gefühlt.

Sie blinzelte erstaunt. Vor ihr erhob sich ein wundervoller Brunnen. Das Wasser flitzte über den Mamor, pries seine gesamte Schönheit an und verschwand schließlich in dem Inneren des Bodens aus weichem Stein. Es flüsterte ihr verlockend zu, hell und lieblich. Ermutigte Yia ihre Hand hinein zu halten. Fasziniert beobachtete sie wie sich die klare Flüssigkeit einen anderen Weg nach unten bahnte und ihr über die Finger streichelte. So reines und sauberes Wasser hatte sie noch nie gesehen.

Yias Faszination wurde plötzlich durch ein leises Geräusch neben sich unterbrochen. Sie erstarrte. War da jemand und beobachtete sie? Was wenn es eine Wache auf ihrem Patrouillen durch das königliche Anwesen war.

Das vergessene LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt