4. Die geheimnisvolle Schatulle Teil I

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Mit funkelnden Augen betrachtete Yia die Waren. Kostbare Salben, die eine weiche ebenmäßige Haut versprachen und einen wundervollen Geruch verströmten. Warme, köstlich duftende Fladenbrote und süßlich riechende Früchte mit schillernden Schalen, bei den einem das Wasser im Mund zusammenlief. Zu gerne hätte sie sich eine geschnappt und voller Freude verspeist. 

Seufzend blickte Yia auf die vier kleinen Silberstücke in ihrer Hand. Von den angelaufenen Münzen würde sie sich das nicht leisten können, da blieb es wohl doch wieder bei dem gleichen trockenen halben Leib Brot und einer geflochtenen Schale aus Blättern voll Wasser. Vielleicht reichte das Geld noch für eine andere kleine Sache, aber Bürger außerhalb der Stadtmauern konnten sich nur selten solchen Köstlichkeiten hingeben und die aus den Slums schon gar nicht. 

Sie bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, schlängelte sich unter den bunten und farbenfrohen Tücher der Stände hindurch. An den, im kühlen Schatten, stehenden Händlern, die lautstark ihre Waren anpriesen und sich gegenseitig einem Wettstreit lieferten.

Ein Ellenbogen wurde Yia in die Seite gerammt. Widerwillig gab sie den Vorrang. Reichtum dominierte den Markt, jeder musste dem Höherrangigen Platz machen. Frauen wohlhabender Männer stolzierten leichtfüßig durch die Reihen der Stände, während der Rest hastig den Weg freigab. Tücherkränze, bestückt mit funkelnden Juwelen, gaben ihren gesellschaftlichen Status preis. Sie waren spielend leicht um ihre Haare gewickelt und spielten mit dem feuchtwarmen Wind.

In einer Seitengasse des Marktes, blieb Yia endlich an einem schon etwas heruntergekommen Stand stehen. Hier war das Revier der Armen. Keiner, der etwas Geld besaß wagte sich hier her. Die Luft war nicht besonders wohlriechend und es wirbelten zahlreiche Fliegen durch die Luft, die sich an dem nicht sehr frischen Obst satt fraßen. Mit allerlei Zeug, lieferten sich die Händler dort einen unerbitterlichen Kampf mit den Plagebiestern.

Yia erledigte ihre Einkäufe. Sie gönnte sich noch ein Stückchen einer ovalen, grünen wässrigen Frucht und bezahlte dann, darauf bedacht, dass niemand sie übers Ohr hauen wollte.

„Hey, Yia", übertönte plötzlich eine Stimme das stetige Summen der Menschenmenge. Verwundert blickte Yia sich um und entdeckte, nicht all zu weit entfernt, eine bekannte Gestalt.

„Novalie!" Bei ihrem Anblick stieg Wut in ihr auf.

War es sie, die geredet hatte? Die dem Prinzen von ihrer Sehnsucht nach ihrer Mutter erzählt hatte. Sie war die einzige, die davon wusste.

Doch Yia bemühte sich ihren Groll herunter zu schlucken. Novalie würde Yia nie so hintergehen. Oder vielleicht doch?, flüsterte eine hämische Stimme in ihrem Kopf. Sie verdrängte sie, verbannte sie in die hinterste Ecke ihrer Gedanken. Mit so einer Anschuldigung würde Yia alles zerstören. Die jahrelange Beziehung, das blinde Vertrauen aufeinander. Nein, das würde sie nicht kaputt machen.


Eiligen Schrittes kam sie auf die Frau hinter einem Stand zu und stellte ihre Einkäufe ab.

„Was machst du denn hier bei dem Alten?", fragte Yia außer Atem, beugte sich etwas vor, sodass niemand anderes sie hören konnte und warf einen verstohlenen Blick auf den alten Man, der ein paar Meter weiter auf einem Stuhl am Stand hing.

Seit Yia denken konnte, verkaufte er in diesem Teil des Marktes seine Waren. Die Menschen hier waren sich nicht wirklich sicher, ob er stumm war, denn noch niemand hatte einen Laut über seine Lippen gehen gehört.

„Ich hab einen Job bekommen", erwiderte Novalie stolz und fuhr sich durch ihre kohlenfarbenen Haare. Yia musste lächeln. Novalie hatte jetzt vielleicht nach langer Zeit endlich mal die Chance ihre kleine Horde satt zu kriegen. Sie konnte ihr einfach nicht böse sein.

Das vergessene LandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt