18.12.2018 - #NATURVERBUNDENHEIT

194 16 0
                                    

Winter Winds - Mumford & Sons
✩✩✩

Liebe Mrs. Perfect,

es passiert selten, dass ich mich einfach an einem schönen Ort draußen in der Natur hinsetze, um diese zu betrachten. Dabei schätze ich sie wirklich sehr und gehöre tatsächlich zu den Leuten, die den Klimawandel als problematisch ansehen.

Ich muss zugeben, dass ich meistens nur im Winter von den Wundern der Natur fasziniert bin. Wenn ich in der richtigen Stimmung bin, dann könnte ich stundenlang aus dem Fenster starren, nur um dem Schnee beim Fallen zu zusehen. Ich mag es, wenn das Wasser zu Eis wird. Bäume ohne Blätter sind für mich nicht kahl. Im Gegenteil: Sie wirken auf ihre eigene Art fast ein wenig magisch oder mysteriös.

Wäre der Winter nicht so kalt, dann wäre er meine Lieblingsjahreszeit. Dann ist mir die Tugend ›Naturverbundenheit‹ ins Auge gestochen. Vielleicht sollten wir alle Jahreszeiten mit ihren Besonderheiten auf gleiche Weise lieben. Heute, als wir den Baum gekauft haben, der alle Jahreszeiten überdauert, habe ich mir das fest vorgenommen.

Sean, xo.

✩✩✩

»Ist der nicht viel zu riesig? Ich meine, passt der überhaupt in den Saal? Und wie kriegen wir den mit?« Während ich eine Frage nach der anderen heraushaute, glitt mein Blick immer wieder an der Tanne entlang. Bestimmt war sie nahezu drei Meter groß.

»Ruhig, Sean. Ich habe einen Spanngurt. Die Tanne kommt auf mein Autodach.« Ob das überhaupt legal war? Auf jeden Fall wollte ich mitansehen, wie sie mit solch einem Monstrum durch die vollen Straßen von New York City fuhr.

Bei dem Gedanken, dass wir sie aber erst dorthin tragen mussten, war mir allerdings nicht mehr nach Lachen zumute.

Barbara bezahlte die Tanne, kam allerdings ohne einen Verkäufer zurück. Wie stellten die sich das hier vor? Sollten wir beiden etwa zusammen eine drei-Meter-Tanne tragen? Barbara war so zierlich... Und außerdem war mein letzter Besuch eines Fitnessstudios Urzeiten her. »Wo bleibt die Unterstützung?«

Barbara verdrehte die Augen. »Wir sind doch schon zu zweit! Die Verkäufer haben definitiv Wichtigeres zu tun.« Da war aber jemand optimistisch.

Ohne lange zu überlegen, nahm Barbara den Tannenbaum aus den Halterung und drehte ihn um, sodass er mich liegend anguckte. Sie sah mich abwartend an. Still forderte sie mich dazu auf, das andere Ende des Baums zu nehmen. Schließlich gab ich klein bei und versuchte mein Bestes.

Tatsächlich gelang es uns sogar, den riesigen Baum zu tragen. Barbara musste doch stärker sein, als sie auf mich wirkte. Das Problem, das ich eher wahrnahm, waren die hervorragenden Äste, die mit ihren Nadeln ordentlich in meine Hand stachen. Warum konnte der Tannenbaum nicht, wie alle anderen Bäume auch, seine grüne Farbe verlieren?

Es war mir ein bisschen peinlich, einfach nur doof in der Gegend herumzustehen, während Barbara den Tannenbaum auf dem Dach befestigte. Ich hatte auch echt keinen Plan, was ich machen sollte. Natürlich hielt ich das Seil, wenn Barbara das von mir verlangte, aber mehr tat ich nicht, aus Angst Fehler zu machen.

»Tannenbäume sind mit das schönste an Weihnachten«, schwärmte Barbara plötzlich. »Ich mag ihren Geruch.« Sie steckte einmal kräftig ihre Nase in die Nadeln, bevor sie sich gegen das Auto lehnte.

»Du magst doch sicher alle Bäume — so als Biologiestudentin.« Ich nahm den Platz neben ihr ein.

Ihre Miene wurde plötzlich nachdenklich. Es lag fast schon ein wenig Traurigkeit darin. »In Wahrheit habe ich Biologie nur studiert, weil es in der Highschool mein bestes Fach war. Ich habe keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Irgendwie bin ich in nichts außergewöhnlich gut.«

»Was? Natürlich bist du das!«, beharrte ich. »Ich muss zugeben, am Anfang dachte ich zwar noch, Biologie würde perfekt zu dir passen, aber jetzt wo ich dich besser kenne, frage ich mich echt, warum du keine Eventmanagerin geworden bist — so wie du dich für diesen Winterball einsetzt.«

In ihrem Gesicht fand sich kein Erstaunen und auch keine Begeisterung wieder. Es schien also, als wäre ihr der Gedanke bereits selbst schon gekommen. »Auf Dauer würde ich das nicht hinbekommen.«

Ich viel aus allen Wolken. Am liebsten hätte ich jetzt lauthals losgelacht, wenn Barbara das nicht so ernst gesagt hätte. »Warum denkst du das denn?«

»Es wäre zu stressig, weil alles für mich perfekt sein muss und ich das einfach nicht hinbekommen würde.« Dem hätte ich gerne widersprochen. Sicher wäre Barbara wunderbar in diesem Job, nur fiel mir wieder ein, dass sie ja einen anderen Maßstab für perfekt besaß, mit dem nicht zu spaßen war.

Ich wünschte, sie würde mir einfach erzählen, warum das bei ihr so war. Andererseits konnte ich auch verstehen, warum sie es nicht tat. »Keine Veranstaltung kann perfekt sein. Die besten Partys, auf denen ich war, waren nicht geplant«, versuchte ich es, in der Hoffnung sie würde dadurch ihre Zunge lockern.

Laut atmete sie aus. »Das weiß ich. Es geht einfach nicht, okay?«

»Okay.« Was sollte ich auch anderes sagen? Okay war es definitiv nicht. Sie verbaute sich damit ihre bestmögliche Zukunft.

Irgendwann stemmte sie sich vom Auto ab. »Lass uns losfahren, wenn du keine mehr rauchen willst.« Deshalb war sie noch nicht losgefahren?

»Nein, warte. Ich könnte tatsächlich eine vertragen.« Ich holte mir eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Barbara bot ich aus Höflichkeit ebenfalls eine Zigarette an, allerdings lehnte sie dankend ab.

Ich hasste es, dass sich der Zug so befreiend anfühlte und der Rauch, den ich ausatmete, mich zur Ruhe brachte. Langsam ließ ich meine Augen wieder über den Tannenbaum gleiten. Zumindest waren seine Zweige schön dicht und buschig. Mit dem richtigen Weihnachtsschmuck konnte er wirklich eine wunderbare Dekoration im Saal darstellen.

»Du hast recht. Vermutlich sind Tannenbäume wirklich schön.« Zu jeder Jahreszeit.

Ihre Hände vergrub sie in den Taschen ihrer Jacke. »Zumindest so lange, bis sie im neuen Jahr zu nadeln beginnen.«

✩✩✩

Habt ihr dieses Jahr Weihnachten auch einen Weihnachtsbaum? Und wenn ja, wann besorgt ihr den? Wir bekommen unseren am Donnerstag. 🎄

Dear Mrs. Perfect Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt