Zielstrebig ging Cineris voraus. Jasper und Kieran folgten dem Engel mit den anthrazitfarbenen Flügeln und den beinahe bodenlangen orangefarbenen Haaren. Als sie um die Ecke bogen in Richtung der Tür hinaus zum Innenhof, stand ein mürrischer Engel mit grünen Federn und verschränkten Armen neben einer Wache bei der Tür und räusperte sich während er die drei kommen sah. "Was habt ihr vor?", fragte Ajax misstrauisch. Cineris hob eine Hand, zeigte im Vorbeigehen Ajax die Handfläche, würdigte ihn keines Blickes und säuselte "Ruhe auf den billigen Plätzen" als sie durch die bereits durch eine Wache geöffnete Tür hindurch ging. Ajax funkelte sie wütend an. "Das hier ist nicht Hollywood, du hohles Verkehrshütchen", zischte er. Kieran begann zu kichern und Jasper kniff sich die Lippen zusammen um sich trotz der Situation um einen neutralen Blick zu bemühen. Noch einen Blick zum vor Wut kochenden Ajax und Kieran brach vollends in Gelächter aus. Jasper schob ihn durch die Tür, murmelte noch kurz "Auftrag in Prag" zu Ajax und folgte Kieran hinaus in den Innenhof, wo Ceneris bereits mit gestreckten Flügel in die Lüfte sprang.
Der Flug nach Prag war öde. Kieran liebte es zu fliegen, doch dies eher bei Nacht. Im Sternenhimmel fühlte er sich zuhause. Nun flogen die drei in Dreiecksformation zielstrebig und schweigend Richtung Nordosten. Ceneris mal wieder voraus. Kieran begann etwas hin und her zu fliegen. "Müssen wir da eigentlich jetzt direkt hin? Ich habe Hunger", murmelte er vor sich hin und bekam nur ein "Klappe halten" von Cineris. Kieran begann nach unten zu schauen. Die drei flogen über Dörfer, Berge, Wälder und Flüsse. Die Welt erschien Kieran endlos riesig zu sein. Eine Welt voller unzähliger Abenteuer und verschiedener Möglichkeiten. Als sie über ein kleines Dorf am Rande eines Waldes flogen, stieg Kieran der Duft eines frisch gebackenen Kuchens in die Nase. Schokokuchen. Er liebte Schokokuchen. Kieran atmete tief ein. "Leute, ich will ja nichts sagen, aber dieser Ferrari muss auftanken", grinste er und nutzte seine Luftfähigkeit um Ceneris und Jasper eine volle Ladung des herrlichen Duftes in die Nase steigen zu lassen. Cineris schaute wütend über ihre Schultern. "Wenn die Rostlaube da hinten noch mehr meckert, kommt sie auf den Schrottplatz", zischte sie und begann schneller zu fliegen. Kieran verdrehte die Augen und begann mit seinen Flügeln ebenfalls kräftiger zu schlagen. "Wann sind wir überhaupt endlich da?"
Als sie nach weiteren Stunden endlich in Prag landeten, grummelte Kieran's Magen lauter als ein brüllender Löwe. Cineris warf ihm einen genervten Blick zu und Kieran zuckte unschuldig mit den Schultern. "Ich habe dir doch gesagt, dass ich ich Hunger habe." Cineris' Augenbrauen senkten sich noch ein weiteres Stück, doch sie erwiderte nichts, drehte sich wieder um und zeigte auf ein Haus am Ende der Straße. "Dort hat das Opfer mit seiner Familie gewohnt." Die Straße war totenstill. Nicht eine einzige Seele war draußen. Was auch immer hier vorgefallen war hatte den Anwohnern einen Schrecken versetzt. Je näher sie dem Haus kam, desto ungemütlicher wurde die Situation für Kieran. Irgendetwas war hier nicht richtig. Als sie vor der Tür des Hauses standen, konnte Kieran den Geruch deutlich wahrnehmen. Er nutzte zunächst seine Fähigkeit um die flüchtige Duftnote aus der Luft einzusammeln um sie etwas konzentrierter zu riechen, doch er bereute es sofort und stieß die Luft von sich. "Igitt", schüttelte er sich mit verzogenem Gesicht. Es fühlte sich an als würde sich sein innerstes in eine Ecke verkriechen wollen. Sein gesamtes Wesen erschauderte vor dem Gestank. Es war etwas furchtbares an dem Geruch. Ein Hauch von Verwesung und Dunkelheit. Nicht die natürliche Dunkelheit der Nacht, die er so liebte, sondern eine Art von Dunkelheit die ihm die Nackenhaare kräuseln ließ. "Ich weiß", murmelte Cineris, "Ist nicht gerade Dior oder Channel." Ihr Mund verzog sich und sie klopfte an der Tür. Ein Mann öffnete die Tür und starrte die drei Engel verdutzt an. "Was wollen Sie hier?" Der Mann hatte dunkle Augenringe die von Schlafmangel zeugten. In seinen Augen lag Schmerz und tiefe Trauer. "Wir sind wegen ihrem entführten Sohn hier. Wir würden gerne einige Informationen sammeln", begann Cineris. Die Augen des Mannes weiteten sich hoffnungsvoll. "Werden Sie ihn finden?", fragte er leise. Ceneris schüttelte den Kopf. "Nein, nein. Wir..", doch weiter kam sie nicht, denn Jasper trat schnell vor und begann die Hand des Mannes, welcher nun vollkommen entsetzt Cineris anstarrte, zur Begrüßung zu schütteln. "Natürlich werden wir das. Wir geben unser Bestes. Warum zeigen sie mir nicht wo sie ihren Sohn das letzte Mal gesehen haben und erzählen mir was genau geschehen ist?" Er ging mit dem Mann ins aus. Cineris pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Wow, du bist ein richtiger Menschenflüsterer. Vielleicht sagst du ihm auch noch, dass sein Kind vermutlich tot ist", grinste Kieran schief als er an ihr vorbei in das Haus eintrat. Überall im Haus hingen Bilder einer glücklichen dreiköpfigen Familie. Kieran musste an seinen kleinen Bruder Cassian denken. Was dieser wohl gerade tat? Hoffentlich ärgerte Izara ihn nicht schon wieder.
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Midnight Whispers
FantasyAuf der Flucht vor einer geheimen Forschungseinrichtung trifft Lillith, eine verschlossene High-Class Assassine, per Zufall auf den freiheitsliebenden und von sich selbst überzeugten Keiran. Keiran, mit den Sternenhimmelflügeln. Vom ersten Moment an...