Lillith saß in einem schlecht beleuchteten Raum, der verwunderlicherweise nicht der weiße Raum war. Das war neu. Alle vier Wände waren verspiegelt, samt Tür. Vermutlich Einwegspiegel, dachte Lillith, denn natürlich wurde sie beobachtet, was sonst. Unangenehm bohrte sich der kalte Stahl des Metallstuhls auf dem sie saß in ihren Rücken. In einer anderen Situation hätte sie wohl humorlos aufgelacht, denn sie steckte doch tatsächlich in einer dieser weißen Anstaltsjacken, dessen Ärmel man hinten am Rücken verknotete. Jener war an den Stuhl gefesselt. An sich allein hätte dies ausgereicht, dass Lillith sich befreien konnte, immerhin war es Teil ihrer Ausbildung aus solchen Situationen "das Beste" zu machen, wäre da nicht schon wieder eine Droge in ihrem Kreislauf gewesen. Man hatte sie ihr injiziert als sie sie vorhin aus ihrem Zimmer geholt hatten. Und bevor sie sie in diese dämliche Jacke stopften. Irgendwie traurig, dachte sie.
Lillith fühlte sich schummrig und wenn sie den Kopf bewegte drehte sich alles, was eine immense Übelkeit nach sich zog. In diesem Zustand hatte sie keine Chance irgendetwas zu tun. Sie war sogar froh, dass sie saß!Plötzlich strahlte man ihr grellweißes Licht ins Gesicht, der Rest des Raumes verschwand in Dunkelheit. Trotzdessen konnte sie die Gestalten, welche hinter den verspiegelten Wänden standen, förmlich spüren. Ihre Blicke schienen sie zu durchbohren. Ein Käfer bereit seziert zu werden. Eine Person trat aus der Dunkelheit hervor. Sie hatte einen weißen Kittel an, welcher um die breiten Schultern herum spannte. Generell sah es aus als wäre sie gerade aus einer OP gekommen. Am linken Hosensaum konnte Lillith trotz des schlechten Lichts rote Sprenkel ausmachen. Sie wollte nicht darüber nachdenken was es war. Zu allem Überfluss hatte die Person ein Paar der verhassten Plastikhandschuhe an. Sie musste schlucken und sah der Person - sie tippte auf männlich - ins Gesicht, oder zumindestens in das was davon zu erkennen war. Ein Mundschutz, eine verspiegelte Brille und eine OP-Haube machten es schwierig genaueres auszumachen. Es sah aus als würde der Typ nicht nur direkt aus dem OP-Saal kommen, sondern direkt weiter in den Urlaub fliegen. Idiot. Die Brille war nun wirklich lächerlich. Der Mann blieb vor ihr stehen und betrachtete sie eine Weile. Es schien ihm zu gefallen was er sah, denn er nickte abwesend, als würde er eine mentale Liste durchgehen. Vermutlich bestätigte er einiger seiner Theorien. Lilliths Nackenhaare stellten sich auf und sie blinzelte gegen das grelle Licht an, welches sie wirklich blendete.
"Wir sind enttäuscht", fing er an. Seine Stimme klang verzerrt. Er nutze wohl ein Gerät unter seinem Mundschutz. Das wurde ja immer besser. Mal wieder verdrehte Lillith innerlich die Augen. Doch als der Typ begann weiterzusprechen machte sich mit jedem weiteren Wort Entsetzten in ihrem bereits zu Tode verängstigtes Herzen breit.
"Dein letzter Auftrag war...", er suchte das richtige Wort. Nach einer Weile verzog er das Gesicht und fuhr grimmig fort: "Sagen wir dein letzter Auftrag war mehr als suboptimal. Deswegen wirst du deinen Mist selber ausbaden. Morgen Nacht wirst du erneut auf Mission geschickt, sei also bereit." Lillith erstarrte. Sie wollten, dass sie ihren Mist ausbadete? So schnell hintereinander Aufträge? Ihr Kopf schwirrte. Das Blut pochte in ihren Adern und ihre Sicht begann zu verschwimmen. Was hatten sie ihr nur gegeben?
"Zudem", fuhr der Mann fort und schob seine Brille mit einem behandschuhten Zeigefinger weiter hoch auf seine Nase. Sie versuchte sich auf ihn zu konzentrieren und das Rauschen in ihren Ohren zu ignorieren. "Zudem wirst du noch einmal zur Anwendung müssen." Lillith schnaubte. Anwendung, ja so konnte man es auch nennen. Hübsches Wort, Bastard. Ihr Blut kochte. Sie spürte jede Faser ihres Körpers und gleichzeitig versuchte sie ihren schwindelnden Kopf wieder in den Griff zu bekommen. Ihr war schlecht.
"Es fehlen nur noch die letzten Schliffe. In drei Tagen beginnt dein neues Training um deine Fähigkeiten zu kontrollieren. Wenn du dein Bestes gibst und Resultate vorweisen kannst soll der vorgestrige Vorfall bald vergessen sein." Letzteres sagte er so herablassend, dass Lillith in sich zusammenschrumpfte. Resultate. Es war klar was sie von ihr halten würden, sollte sie diesen Auftrag wieder vermasseln. Sie schloss kurz die Augen. Alles drehte sich. Das hier war zu viel. Zum Glück schien das Gespräch für den Mann beendet zu sein.
"Enttäusche uns nicht erneut", zischte er ihr noch zu bevor er auf dem Absatz kehrt machte und in die Dunkelheit verschwand.Ihr war so schlecht. Mühsam versuchte Lillith einen Ausweg aus dieser Situation zu finden, jedoch konnte keinen klaren Gedanken fassen. Alles woran sie denken wolllte war, wie sie einfach nur weg von hier wollte. Fernab von all dem Leid. Sie wollte nicht erneut die Drecksarbeit erledigen. Sie wollte kein neues Training, keine Familien mehr zerstören und vor allem wollte sie nicht erneut auf dem Seziertisch landen. Was sollte dieses mysteriöse Training überhaupt beinhalten? Es fiel ihr nichts ein. Sie hatte keine Fähigkeiten. Jedenfalls nicht mehr. Jene verschwanden als sie nicht nur ihre Locken und Flügel genommen hatten, sondern ihr gesamtes "Engel-Sein". Ihr Heiligenschein war, wie auch ihre Farben, mit jeder zunehmenden Stunde in dem weißen Raum verblasst.
Mutlos ließ sie ihren Kopf nach vorne sacken und stöhnte bei dem verursachten Drehschwindel leise auf. So verharrte sie und wartete bis jemand sie losband und auf eine Trage hiefte, sie durch die altbekannten neonbeleuchteten Flure schob, hinein in den Raum der Albträume. Es gab kein Entrinnen.Dieses Mal injizierten sie es ihr während Lillith bei Bewusstsein war. Sie wusste nicht was es war, aber es fühlte sich an wie an diesem Morgen, als sie aufgewacht war. Nur hundertfach schlimmer. Flüssiges Feuer in ihren Adern. Ein sengende Glut, welche durch ihren gesamten Körper strömte. Sie fühlte wie die Glut sich mit jedem weiteren Herzschlag ausbreitete. Alles an was sie denken konnte war Schmerz. Ihr Körper stand in Flammen. Jede Zelle brannte, verbrannte und versuchte sich vergebens zu regenerieren. Es schien sie von Innen zu verzehrend. Tränen formten sich in ihren Augen, doch ihr entrang kein Laut. Die Droge hielt sie in Schach. Ihr Sichtfeld wurde schwarz, doch ihre Augen waren offen. Alles brannte.
Sie war Feuer.Als Lillith wieder zu sich kam lag sie in ihrem Zimmer auf dem Bett. Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, aber sie brannte immer noch. Schlimmer als am letzten Morgen und sie konnte sich nicht bewegen. Es folgten Stunden des Dämmerzustandes, in dem sie in den Schlaf driftete und wieder hochschreckte. Irgendwann wurde sie von pochenden Klopfen an der Metalltür ihres Zimmers geweckt, ihr Anzug wurde auf ihr Bett geworfen und ein Befehl gekeift, sie solle sich gefälligst umziehen. Als Lillith sich demnach aufsetzte stützte sie sich schnell an der Wand ab um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie fühlte sich als hätte sie ein LKW überfahren. Oder noch besser: eine ganze Kolonne. Ihr Kopf pochte wild. Na super. Wie sollte sie so arbeiten? Vorsichtig stieg sie aus dem Bett. Ihre wackeligen Beine schienen sie zu tragen, also erleichterte sie sich schnell, ging dann zum Waschbecken und betätigte den Knopf. Klares, kaltes Wasser rann über ihre Finger und auf Handgelenke. Es tat so gut. Es kühlte ihre fiebrige Haut und - genervt drückte sie den Knopf nochmal. Verdammtes Autostopp. Wieder so eine Vorsichtsmaßnahme. Nach 30 Sekunden floss das Wasser wieder. Sie wusch sich das Gesicht und den Nacken, und verzog das Gesicht als ihr klar wurde wie sehr sie eigentlich roch. Sie hatte diese Nacht wohl viel geschwitzt und musste mieserabelst aussehen. Trotzdem mied sie es in den Spiegel zu sehen. Sie hatte nicht die geringste Lust in ihren Befürchtungen bestätigt zu werden. Nach einer kurzen Katzenwäsche zog sie rasch den Anzug an und bemerkte wie der Schmerz erträglicher wurde. Gewappnet für den heutigen Auftrag schritt sie zur Tür.
Somit entgingen ihr die kleinen roten Sprenkel, die sich in ihrer farblosen Iris gebildet hatten.
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Midnight Whispers
FantasíaAuf der Flucht vor einer geheimen Forschungseinrichtung trifft Lillith, eine verschlossene High-Class Assassine, per Zufall auf den freiheitsliebenden und von sich selbst überzeugten Keiran. Keiran, mit den Sternenhimmelflügeln. Vom ersten Moment an...