Kieran fuhr sich durch die Haare. "Echt jetzt?", zischte Cineris und schaute ihn empört an und Kieran zuckte erneut mit den Schultern. "Reflex", grinste er. Jasper rappelte sich fluchend auf. Für so ein hübsches Flattervieh hatte er ein beeindruckendes Repertoire an Kraftausdrücken. Die drei gingen auf die zierliche Gestalt zu. Noch immer standen Kieran die Nackenhaare zu Berge. Als die Sonne kurz in diese Augen geschienen hatte... Dieser rote Ring um ihre Iris. Dies war kein Mensch. Nichts an ihr war normal. Wer kam überhaupt auf die bescheuerte Idee so einen klebrigen Mist auf andere zu werfen? Uncool. Extrem uncool. Seine Jacke klebte immer noch wie bekloppt. Was für ein Biest. Aber was sie da mit Jasper gemacht hatte? Es war beeindruckend. Jede ihrer Bewegungen kontrolliert, elegant und tödlich. Es war faszinierend um ehrlich zu sein. Jasper schien anderer Meinung zu sein. Nun war sie wie ein Vogel an eine Glasscheibe geklatscht und lag auf dem Boden. War doch eigentlich eine ganz gute Reaktion von ihm gewesen die Luft zu verdichten und sie einzusperren. Er hatte nur nicht erwartet, dass sie da so gegen latschen würde.
Die Drei standen über der Gestalt und betrachteten sie. Cineris bückte sich hinunter und zupfte die Mütze von ihrem Kopf und zog den Schal etwas weg. Es kam ein junges Mädchen mit weißen Haaren zum Vorschein. "Ist die Bitch tot?", knurrte Jasper wütend und Kieran fing an zu lachen. "Hat dein Ego das kleine Tänzchen nicht überlebt, Jasper?", säuselte er. Jasper gab ihm einen Schubs. "Klappe, Zuckerstange."
Cineris fühlte den Puls des Mädchens und stand wieder auf. "Sie lebt noch." Sie steckte ihren Dolch weg und betrachtete das Mädchen wieder. Kieran kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. "Und jetzt?", fragte er als er sein Schwert wieder zurücksteckte. Cineris begann langsam zu Grinsen. "Nein", sagte Kieran reflexartig, "Auf gar keinen Fall." "Oh doch. Du trägst sie während des Fluges zurück zum Spiegelschloss in Venedig", grinste sie. Jasper nickte: "Ich fasse das Biest nicht an." Kieran ließ seine Schultern hängen. "Warum muss ich Packesel für das Krümmelmonster spielen? Cineris kann sich sogar in einen richtigen Esel verwandeln. Ist doch viel praktischer", meckerte er, doch Cineris haute ihm ohne ihn anzusehen mit der Hand an den Hinterkopf. "Aua! Du musst damit echt aufhören", zischte Kieran genervt und hockte sich neben das Mädchen. Der seltsame Geruch hing an ihr wie ein seltsamer Schleier. "Wollen wir das Stinktier wirklich mitschleppen?", sagte er etwas abwesend und betrachtete ihr Gesicht. Sie war hübsch, aber das mit den Augen war gruselig. Hatte er das wirklich gesehen? Mit seinem Zeigefinger öffnete er vorsichtig ihr Augenlid und zog seinen Finger schnell erschrocken zurück. Das war nicht nur ein roter Ring. Erneut schob er ihr Augenlid hoch. Tatsächlich. Ihre Iris war rot. "Wow", staunte er. Das ganze war gleichzeitig faszinierend wie auch gruselig. "Was bei den Göttern nochmal tust du da?", fragte Cineris und streckte ihren Kopf an seinem Flügel vorbei. "Oh shit", hauchte sie als sie die roten Augen sah. "Sie ist der Teufel inkognito", grummelte Jasper. Kieran ließ das Augenlid wieder zufallen. "Muss ich sie wirklich tragen?", fragte er ein letztes mal missmutig. Eine hochgezogene Augenbraue von Ceneris und ein mürrisches Grummeln von Jasper war seine einzige Antwort. Er seufzte und sammelte sie in seine Arme. Das kleine Muskelpaket war erstaunlich leicht.
Was für ein Tag. Cineris und Jasper flogen schweigend voran. Kieran flog mit dem Mädchen in den Armen hinterher. Die Sonne war mittlerweile gänzlich untergegangen und eine Stille schien sich über die Welt gelegt zu haben. Hier oben in der Luft knabberte der kühle Wind ihm an der Nasenspitze. Er schaute hinunter zu dem Mädchen in seinen Armen. Vielleicht nicht Mädchen, sondern eher Frau. Ihr Gesicht hatte nichts kindliches an sich. Ihre weißen Haare flatterten wie Schneeflocken im Wind. Sie war hübsch, doch die Sache mit dem Gebäckstück nahm er ihr immer noch übel. Wenigstens würde sie nun nachher auch kleben. Der Gedanke gab ihm etwas Genugtuung. So bewusstlos schien sie so friedlich und unschuldig, doch Kieran war bewusst, dass dies keineswegs der Fall war. Durch ihre Jacke spürte er ihren muskulösen Rücken und auch ihre Beine waren trainiert wie die eines Kriegers. Ihr Körper war weitaus zierlicher als sein eigener, doch er würde wetten, dass sie eine ähnliche Ausbildung genossen hatte. Die Frau war ein Rätsel für sich und dennoch schien ihr Gesicht keinerlei Lachfalten oder Fröhlichkeit aufzuweisen. Als hätte sie schon lange mehr keine pure Freude empfunden und nicht täglich etwas zum Lachen gefunden. Kieran verzog den Mund. Hatte die Frau ein langweiliges Leben genossen? Er schaute hoch zu den Sternen. Sie funkelten in der endlosen Weite wie polierte Diamanten. Ein kleiner Teil von ihm wünschte die Frau würde den Sternenhimmel nun sehen können. Seiner Meinung nach gab es nichts besseres als Nachts den Sternen nah zu sein. Den kühlen Wind im Haar und unter seinen Flügeln genießen zu können. Die endlose Weite mit ihrer grenzenlosen Freiheit. Ob sie wohl lachen würde, wenn sie die Sterne so nah sah?
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Midnight Whispers
FantasyAuf der Flucht vor einer geheimen Forschungseinrichtung trifft Lillith, eine verschlossene High-Class Assassine, per Zufall auf den freiheitsliebenden und von sich selbst überzeugten Keiran. Keiran, mit den Sternenhimmelflügeln. Vom ersten Moment an...