Vielleicht war ich doch etwas zu voreilig gewesen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Es war kaum ein paar Wochen her, dass ich wie gelähmt gewesen war nach dem Vorfall im Stall und jetzt wollte ich da freiwillig hin. Ich war doch komplett bescheuert. Bis ich mich mit Damian treffen würde um zum Stall zu fahren war es noch einige Stunden hin, aber schon jetzt konnte ich an nichts Anderes mehr denken, und zwar nicht im guten Sinne. Ich erwischte mich dabei, wie ich nervös mit dem Fuß unter dem Schreibtisch wippte, als ich auf Livs Email antwortete. Sie hatte, wie ich, nicht viel Gutes zu berichten. Es fing schon einmal damit an, dass sie die Stadt wo sie jetzt wohnte –und Städte im Allgemeinen– nicht mochte. Hinzu kam, dass in der Nachbarschaft eine nervige Gruppe Teenager herumhing, wie sie beschrieb. Das einzig Gute bis jetzt, schrieb sie, wäre, dass direkt neben ihr ein, ich zitiere „mega süßer" Junge wohnte. Liv war eher kritisch, was das betraf, also musste wohl etwas Wahres dran sein. Auf ihre Frage hin, wie es mit Damian liefe, versuchte ich möglichst neutral zu antworten. Zum Glück konnte sie mich nicht sehen.
Meine Mutter rief mich zum Mittagessen und ich klappte meinen Laptop zu und stand auf. Ich war am Verhungern und es duftete schon seit einer halben Stunde verführerisch nach Lasagne. Ich war die Letzte, die die Küche betrat und setzte mich an den Tisch zu meiner Familie. Lia erzählte aufgeregt von einer Vorführung der Reitschüler auf dem Sommerfest, bei dem sie mitreiten dürfe. Ich freute mich für sie. Früher war ich dort ebenfalls dabei gewesen. Nur was sie dann sagte ließ mich kurz aufhorchen. „Vivian hat gesagt, sie würde mir ein paar Tipps zum Reiten geben. Wenn wir heute Nachmittag zum Stall fahren, werde ich sie dort treffen", schloss sie zufrieden. Vivian und meine kleine Schwester. Das war ein Gedanke, mit dem ich mich erst noch anfreunden musste. Aber gut, war ja nicht meine Entscheidung. Was mir in dem Moment mehr Sorgen bereitete war, dass ich Vivian wohl oder übel heute über den Weg laufen würde.
„Und? Wie geht es Liv und Damian?" Ich stockte kurz. „Mhm, gut", gab ich nur zurück. Ich haderte mit mir ob ich erzählen sollte, dass er mir mit meinem Angst-Problem helfen würde. Im Stall würden sie mich so oder so sehen, aber sie mussten ja nicht gleich alles erfahren. „Ich treff' mich später mit Damian im Stall", sagte ich deshalb nur. Meine Eltern schauten etwas verwundert. „Dann können wir dich ja mit dem Auto mitnehmen, wenn du willst." „Danke, ich fahr' lieber mit dem Fahrrad." Jetzt hatte meine Mom einen Blick drauf, den ich nicht ganz deuten konnte. „Zusammen mit Damian?" „Ja." Ich senkte meinen Kopf ein bisschen, nur für den Fall, dass ich rot wurde. Mein Vater wechselte jetzt glücklicherweise das Thema und erzählte, dass Paddy sich wohlfühlte auf ihrer neuen Koppel und dass er sie regelmäßig bewegte. Bei dieser Gelegenheit begann auch wieder die altbekannte Diskussion, wie es denn nun weitergehen würde. Meine Mutter war noch immer der Meinung, dass Paddy wegmüsse. Mein Vater war nach wie vor überzeugt davon, dass es besser wäre sie zu behalten und dass er noch einmal versuchen würde, sie zu reiten. Mir war das im Moment eigentlich egal. Meine Gedanken kreisten um heute Nachmittag.
Wenig später stand ich unentschlossen vor meinem Kleiderschrank und versuchte etwas Praktisches, aber gleichzeitig Hübsches zu finden. Schließlich entschied ich mich für eine bequeme lange Hose und ein schlichtes Top. Meine Weste band ich mir um die Hüften und meine Haare wurden zu einem Zopf geflochten. Das sah doch ganz passabel aus. Jetzt musste ich nur noch den Rest des Nachmittags überstehen. Ich wünschte, Liv wäre hier, dann wäre das Ganze viel einfacher gewesen. Aber die saß ja weit entfernt in einer Stadt fest. Aki wartete bereits schwanzwedelnd darauf, dass ich ihr die Haustür öffnete, als ich nach unten kam. Damian wartete wie immer an der Straßenlaterne und wie schon so oft setzten wir unseren Weg Richtung Stall gemeinsam fort. Meine Mutter und Lia waren bestimmt schon da, ebenso Vivian. Ich hoffte einfach, dass sie keinen ihrer blöden Sprüche loslassen würde. Ich wusste, wie sehr es an ihr nagte, dass Damian nicht auf ihre Versuche, seine Aufmerksamkeit zu erregen reagiert hatte, und stattdessen lieber mit Liv und mir zusammen abhing. Da käme es ihr doch nur gelegen, mich an meinem Schwachpunkt – meiner Angst – zu erwischen.
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Zwei Herzen, eine Seele
Teen FictionKatelyn hat sich vor Jahren, nachdem ihre Stute nach einem Unfall verkauft wurde, geschworen, nie wieder auf ein Pferd zu steigen. Sie lebt ihr Leben ohne viel Aufregung und versucht ihre Noten auf die Reihe zu bekommen. Das Spannendste was seit lan...